Archive for Juli, 2016

Das bin doch nicht ich

16. Juli 2016

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (368) Facebook verzerrt unsere Gesichter zu Fratzen. Vorsätzlich. Oder spiegelt es nur unser wahres Ich?

Zeichnung WG zensored

Si tacuisses… Hättest Du geschwiegen, hätte man Dich weiterhin für einen Philosophen gehalten. Was schon die alten Lateiner wussten – nämlich, dass man sich um Kopf und Kragen reden bzw. schreiben kann –, scheint in der Gegenwart noch nicht angekommen zu sein.

Einer Gegenwart, die nicht nur den Irrsinn des Terrors, der religiösen Verhetzung und der blutigen politischen Inszenierung kennt, sondern auch sogenannte „first world problems“. Probleme, die bei genauerer Betrachtung meist banalen Befindlichkeitsschwankungen und alltäglichen Luxusjuckreizen geschuldet sind. Derlei forciert Zwist und Hader, die wie aus dem Nichts entstehen – und offenbar zum unabdingbaren Grundinventar der conditio humana zählen.

Sie ahnen, worauf ich anspiele? Ja, es geht (auch) um das aktuelle Hickhack zweier Fixgrössen der jüngeren österreichischen Autorenlandschaft, das um die Frage entbrannt ist, ob es eine Schnittmenge zwischen Literaturkritik und Sexismus gibt. Und, wenn ja, wie damit umzugehen ist. Dass die – notwendige und berechtigte – Debatte darüber behend zum Scherbengericht gerät und bei Beschimpfungen weit unter der Gürtellinie endet, ist so bedauerlich wie symptomatisch. Und fast unvermeidbar. Ich sage dies, weil ich freiwillig unfreiwillig Zeuge der Entstehung dieses Streits wurde. Und leider auch meinen Teil dazu beigetragen habe. Indem ich, wider besseren Wissens, in eine Facebook-Diskussion eingestiegen bin.

Facebook ist aber – wie fast alle heute existenten Social Media-Erscheinungsformen – weder ein soziales noch ein seriöses Medium. Es ist, und das ist die Erkenntnis vieler Jahre intensiver Involviertheit, ein Durchlauferhitzer zutiefst menschlicher Verhaltensweisen und Regungen. Ein Perpetuum Mobile der Aufschaukelung. Und ein Katalysator der Polarisierung. Facebook lebt davon, mittels undurchschaubarer Algorithmen, vorsätzlicher Filterung, geschickter Wirklichkeitsverzerrung und oberlehrerhafter Zensur ein Affentheater zu inszenieren, bei dem wir gleichzeitig Akteure und Zuschauer sind. Die Eintrittskarten sind gratis (sie kosten uns nur Lebenszeit), mit der Bandenwerbung verdient Marc Zuckerberg Milliarden. Durchschauen tun die gefrässige Clickbaiting-Maschinerie nur die allerwenigsten, beherrschen nur jene, die bewusste Entsagung üben.

Was unterscheidet nun aber die neuen Medien von den althergebrachten – Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen? Leider wenig. Sie agieren, bis auf wenige Ausnahmen,  nach denselben Regeln – Stichwort: Ökonomie der Aufmerksamkeit – und unter denselben kapitalistischen Grundkonditionen wie die zwiespältigen Paradeunternehmen der post-analogen Medienwirtschaft. Und beziehen ihre Rohstoffe und Neuigkeiten zunehmend aus dem verseuchten Terrain der Konkurrenz. Die heiße Druckluft aus den Echokammern des eigenen Ichs wird gerade dort gierig aufgesogen (und weiter aufgeheizt), wo Abkühlung Grundvoraussetzung für ernsthafte Kommunikation wäre.

Schweigen ist, so scheint es, keine Option. Ich fürchte, dafür ist der Mensch nicht gebaut.

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Ein Loblied auf die Registrierkasse

8. Juli 2016

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (367) Schau einer an: Registrierkassen haben auch ihre Vorteile. Nicht nur für den Finanzminister.

ARCHIVBILD/THEMENBILD: DAS BRINGT 2016: REGISTRIERKASSENPFLICHT / BETRUGSBEKÄMPFUNG

Der Witz ist ja: was der Staat von seinen Bürgern verlangt, schafft er selbst nicht umzusetzen.

Seit 41 Jahren (!) blockieren die Länder und Gemeinden Österreichs jeglichen Fortschritt in Sachen einheitlicher und transparenter Rechnungslegung, die eine essentielle Voraussetzung für eine vernünftige Finanzgebarung wäre. Wirklichen Einblick, z.B. für den Rechnungshof, gibt es auch in Zukunft nicht.

„Eine föderale Bösartigkeit der Sonderklasse“ nennt das der „Presse“-Journalist Josef Urschitz – was eher noch untertrieben ist, wenn man bedenkt, dass z.B. der in Niederösterreich dafür jahrelang zuständige, als Spekulant agile, nunmehrige Innenminister S. gerade Scharfmacher gegenüber Mindestsicherungsbeziehern spielt. Politisches Kleingeld macht auch Mist, aber die grossen Beträge sind anderswo zu holen.

Das denken sich freilich auch tausende Geschäftsleute, denen man die Registrierkassenpflicht aufs Auge gedrückt hat. Seit 1. Juli gibt es keine Ausreden und Schonfristen mehr: wer dabei erwischt wird, Waren ohne Rechnung zu veräussern, darf sich auf einen eingeschriebenen Brief des Finanzamts freuen.

Dass das Parlament in letzter Sekunde Ausnahmen für gemeinnützige Vereine und Körperschaften (und, wenig wundersam, auch für Vorfeldorganisationen von Parteien) geschaffen hat, ist für jene, die sich täglich mit dem Zettelwerk herumschlagen müssen, eher kein Trost. Das Thema wird uns noch monate-, wenn nicht jahrelang juristisch und emotional beschäftigen – mittlerweile wird die Registrierkassa und ihr überdimensionaler Symbolwert ja sogar von Popgruppen besungen und von Kabarettisten analysiert.

Aber ist so ein Ding automatisch des Teufels? Ich sage: nein. Und gelte dabei gemeinhin nicht als Freund überbordender Bürokratie. Doch ein funktionierendes Computer-Kassensystem, eventuell in direkter Verbindung mit einem Warenwirtschaftsprogramm, kann einem auch Arbeit abnehmen: jene der peniblen Verwaltung der Ein- und Ausgänge, der Lagerhaltung, des Controllings und der internen Abrechnung. Selbst ganz simple, billige Software-Lösungen liefern hoch interessante Statistiken und Auswertungsmöglichkeiten. Smarte IT-Kassen schupfen die Daten gleich in die Buchhaltung oder zum Steuerberater weiter. Von der Rechtssicherheit bei Steuerprüfungen ganz abgesehen.

Meine Behauptung lautet also: nicht wenige, die anfänglich rumgemosert haben über die Kosten und Komplexität einer Registrierkasse, haben inzwischen auch ihre Vorzüge erkannt. Und sind heimlich heilfroh, ihren Angestellten auf die Finger schauen zu können und aussagekräftige Zahlen frei Haus geliefert zu bekommen.

Wenn es der Finanzminister nun auch noch schafft, das vorbildhaft seinen Kollegen in den Ländern und Gemeinden zu verklickern, spende ich beim nächsten Feuerwehrfest glatt ein paar Cent für die Parteikassa. Auch ohne Rechnungszettel.

Im Bett mit Sargnagel

1. Juli 2016

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (366) Mehr Gefühl, Spaß und Kurzweil, weniger Fakten und Wirklichkeit: Willkommen in der Echokammer des eigenen Ichs!

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Ob Stefanie Sargnagel beim Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt nun den einen oder den anderen Preis gewinnt: egal. Irgendeinen Pokal wird sie abräumen. Sicher.

Und womit? Mit Recht. Als Hohepriesterin hellwacher Wurschtigkeit erzählt sie uns mehr über uns und unsere Zeit, als uns vielfach lieb ist. Jedenfalls mehr, zynischer und zielsicherer als der anämische Literaturregelbetrieb. Und das, ohne gravitätische 700-Seiten -Wälzer zu verfassen. Ob da oder dort ein Beistrich fehlt oder der sog. gute Geschmack verletzt wird, ist zweitrangig, Verstörung dagegen unabdingbar. Sargnagel (eigentlich: Sprengnagel) macht ihrem Namen alle Ehre – und sie ist wie beiläufig zur Stimme ihrer Generation herangereift. Respekt!

Die Autorin, die gern „einfach nur im Bett liegt“ und dabei Bewunderung und Hass wie ein Elektromagnet anzieht, erzählt uns gelegentlich auch etwas über Technik. Und ihre Beziehung zu Technik. Online. „Erst wollt ich kein Internet daheim, weil es ein Zeitfresser ist“, gab sie dem „Standard“ zu Protokoll. „Deshalb hatte ich den Fernseher, weil ganz ohne Berieselung ist es auch blöd in der Wohnung. Im Internet hat man nur die Informationen, die man sich selbst sucht, im Fernsehen kommt halt immer irgendwas.“ Eine Tierdoku etwa. Über Löwen. Wer käme auf die Idee, einfach so im Internet nach Löwen und ihrer Lebenswelt Ausschau zu halten?

So banal diese Erkenntnis auch scheinen mag: sie ist hoch brisant. Denn „das Internet“, das sind anno 2016 zuvorderst soziale Medien wie Facebook, Twitter, Snapchat, Instagram, YouTube, LinkedIn, Tinder und und und. Gewiss auch Suchmaschinen, für viele die einzigen Wegweiser im digitalen Labyrinth. Wie finde ich sonst überhaupt Frl. Sargnagel? Klagenfurt? Einen Freund bzw. eine Freundin? Mehr Löwenstories und Katzenbilder? Das Fernsehprogramm? Von der realen Welt ganz zu schweigen. Existiert die überhaupt noch?

Apropos: warum muss man eigentlich vom Bett oder Sofa aufstehen und z.B. wählen gehen (und das zum wiederholten Male) – liesse sich das nicht auch per Like erledigen? Daumen rauf, Daumen runter? Emoji nach Belieben hintnach. Wie’s ausgegangen ist, werden mir dann schon Freunde mitteilen. Oder so. Althergebrachte Medien braucht’s dafür nicht, die stehen sowieso unter „Lügenpresse“-Verdacht.

Okay, das war eine sehr zugespitzte Zusammenfassung des Status Quo in Sachen Social Media. Wenn aber, wie diese Woche, eine Meldung die Runde macht, Facebook (Werbeslogan: „Mehr von dem, was Dir gefällt“) werde demnächst an seinen Algorithmen schrauben und Hard News zugunsten Wortmeldungen von Freunden und Bekannten zurücknehmen, ahnt man, in welche Richtung es geht.

Willkommen in der wohlig temperierten Filterblase! Gegenstimmen? Ausgeblendet. Rüpelhaftigkeit, Hysterie, Abstinenz, Sexismus, Verschwörungstheorien, Gewaltphantasien? Anderswo. Da können noch so viele den Finger erheben. Oder in den Holzmedien rumgeistern. Noli me tangere.

Gut, wenn man dann mindestens noch eine Sargnagel in der Echokammer rumplärren hört.

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