Archive for Dezember, 2016

Lest Lem!

25. Dezember 2016

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (391) Die Liebe zu Science Fiction-Lektüre kann durchaus den Realitätssinn schärfen.

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„I hadn’t known there were so many idiots in the world until I started using the internet.“

Jener Mann, der dies – in aller gebotenen Arroganz – sagte, war einer der vielleicht letzten Universalgebildeten dieses Planeten: der polnische Autor Stanislaw Lem. Dass er vorrangig Science Fiction schrieb – eine Genre, das im deutschsprachigen Raum weithin als Trivialliteratur gilt – spricht eher für als gegen den Urheber. Lem selbst hat immer wieder betont, wie herrlich es sei, humanistische, politische und philiosophische Überlegungen unter diesem Chiffre – gleich einem Trojanischen Pferd – an der (damals noch kommunistischen) Zensur vorbeischmuggeln zu können.

Dabei ist Science Fiction, wirft man einen detailscharfen Blick auf den technischen und gesellschaftlichen Status Quo der Menschheit, eine vielfach realitätsnähere Beschreibung der Wirklichkeit als jede andere Form von Gegenwartsliteratur. „Good books tell the truth, even when they’re about things that never have been and never will be. They’re truthful in a different way.“ Auch ein Lem-Zitat.

Apropos Internet: da der visionäre Denker – mit dem ich einige ausführliche Interviews zu führen das Privileg hatte – schon vor zehn Jahren verstorben ist, kannte er Facebook noch gar nicht. Oder nur in frühesten Ansätzen. Es wäre interessant gewesen, seine Meinung dazu zu hören. Und die künftige Entwicklung von Social Media zu antizipieren. Facebook hat sich – zur Überraschung vieler Experten, auch meiner – in einer Rasanz zum disruptiven Metamedien-Monster entwickelt, die nicht nur Medienmanager und Wertpapier-Broker beschäftigt, sondern auch Psychologen, Juristen, Politiker und Kommunikationswissenschaftler. Mit der üblichen Ambivalenz in der Betrachtung.

Zur Zeit scheinen sich jene Kräfte durchzusetzen, die diese Maschinerie (die sich selbst immer ganz unschuldig als freiwillig nutzbares, kommerzielles Entertainment-Angebot geriert, keinesfalls als Spähplattform, Hass-Schleuder und Manipulationsvehikel) an die Kandare nehmen wollen – sei es, durch gesetzliche Auflagen oder staatliche Aufsicht. Andererseits sollte man ihre Antagonisten nicht unterschätzen, die sich „im Namen des Fortschritts“ und nicht selten unterspickt mit Lobbying-Investitionen der Silicon Valley-Denkfabriken – konsequente Neoliberalität auf die Fahnen geschrieben haben.

Wir werden ja sehen, wie’s kommt. Die Zukunft ist – selbst als Abenteuerspielplatz für Utopisten – rascher Gegenwart, ja Vergangenheit, als vielen lieb sein mag. Die potentiellen Facebook-Nachfolger scharren schon in den Startlöchern (mehr dazu demnächst in diesem Theater). Für das Jahr 2017 hab’ ich mir nur zwei Dinge vorgenommen: 1.) Ja nicht groß rumtönen, man verlasse Zuckerbergs virtuelle Gummizelle (demonstrativ!), wenn man dann doch picken bleibt. Und 2.) wieder mehr Stanislaw Lem lesen.

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Künstliche Unintelligenz

18. Dezember 2016

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (390) Was technisch machbar ist, wird gemacht. Ob es sinnvoll ist, steht oft auf einem anderen Blatt.

A prototype of Google's own self-driving vehicle is seen during a media preview of Google's current autonomous vehicles in Mountain View, California

Hier und heute lesen Sie bestenfalls die zweitbeste Technik-Kolumne, die diese Woche in der „Presse“ erschienen ist. Die erstbeste (im Sinn von: die mit Abstand gelungenste) war am Donnerstag im Blatt und im Netz zu finden.

Sie stammte von Friederike Leibl – und war, oberflächlich betrachtet, durchzogen von Technikfeindlichkeit. „Jedes Mal, wenn von selbstfahrenden Autos die Rede ist, denke ich mir, wer will soetwas eigentlich?“ hob die geschätzte Kollegin ihr aufreizendes Pamphlet an, um letztlich zum Schluß zu gelangen: „Ich will keinen Kühlschrank, der selbst bestellt, wenn er leer ist, ich will auch keine Heizung, die sich automatisch einstellt, ich will Dinge, die so funktionieren, wie ich das bestimme.“

Nun könnte man einwerfen, gelegentlich würde es reichen, die Bedienungsanleitung zu lesen, damit Dinge auch wirklich so funktionieren, wie es ihrer Bestimmung entspricht. Aber, sorry, dieser Ansatz greift zu kurz. Friederike Leibl hat recht. Punktum. Technik, die sich nur an den eigenen Möglichkeiten und ihrer inhärenten Logik beweist, darf getrost als Fehlkonstruktion betrachtet werden. Der Mensch – so ziemlich das unberechenbarste, unmündigste und unvollkommenste Wesen des bis dato erforschten Weltenraums – ist der entscheidende Faktor. Und bleibt es auf absehbare Zeit.

Es mag ja zum Beispiel gut sein, dass autonome, also von künstlicher Intelligenz gesteuerte Fahrzeuge theoretisch weniger Unfälle bauen als solche, die von Menschenhand gelenkt werden. Aber wie will man das in der Praxis erproben? Solange humanoide Unintelligenz auf unausgereifte High Tech-Systematik trifft – und das wird wohl im Alltagsverkehr der Fall sein (müssen) –, sehe ich schwarz. Erst recht, wenn sich die Bahnen von dogmatischen Technik-Trunkenen, beschwingten Fuzzy Logic-Autopiloten und herkömmlichen Besoffenen kreuzen.

„Form follows function“, heisst ein kluger Leitsatz des Produktdesigns. Schon aus der äusseren Form (und, in komplexeren Gegenständen, der Qualität der Benutzeroberfläche) soll sich ohne Umwege, Umständlichkeiten und überflüssigen Zierrat der Gebrauchswert ableiten lassen. Hier Gehirnschmalz reinzustecken ist eine Investition, die sich möglicherweise nicht in Profit, aber in Nutzer-Zufriedenheit niederschlägt. Der Angelpunkt ist schon heute (und wird es in Zukunft stärker denn je sein), die Schnittstellen zwischen den immer mächtigeren Möglichkeiten der Technik und den oft banalen Wünschen der Menschen so elegant, zielführend, solide und verlässlich wie möglich zu gestalten.

Man kann Friederike Leibl – die stellvertretend für Millionen Laien ihr Unbehagen am Status Quo formuliert hat – Fortschrittsfeindlichkeit vorwerfen. Aber wirklich ewiggestrig ist es, Ihre Botschaft nicht mal ansatzweise verstehen zu wollen.

Abgesang

9. Dezember 2016

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (389) Die Handelskette Libro will sich aus dem Geschäft mit Tonträgern und DVDs zurückziehen. Ernsthaft?

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Man wird mir bei dieser Kolumne Eigeninteressen – in meiner hauptberuflichen Rolle als Label-Betreiber und Musikproduzent – nachsagen. Aber sie sind, wenn überhaupt, nur am Rande gegeben. Ich schreibe diese Epistel vorrangig als Konsument. Als jemand, der es schätzt, dass es in vielen Städten, Märkten, Bezirken Österreichs noch Nahversorger gibt. Also Geschäfte, in denen man Lebensmittel, Kleinkram und Dinge des täglichen Bedarfs erwerben kann, ohne einen Tagesausflug an den Stadtrand planen zu müssen.

Zu meinen persönlichen Über-Lebensmitteln zählen freilich auch Papierprodukte wie Zeitungen, Zeitschriften und Bücher, weiters Batterien, Schreibstifte, Technik-Accessoires und, ja, Filme und Musik. Hier kann ich auf eine privilegierte Situation bauen: im 7. Wiener Bezirk gibt es Elektronikmärkte, Plattenläden und Bürowarenspezialisten sonder Zahl. Wenn ich aber zu meiner Mutter ins nördliche Weinviertel fahre, wird mir die Misslichkeit der schwindenden Nahversorgung rasch bewusst. Was es in Hollabrunn grad noch käuflich zu erwerben gibt, ist in Retz schon ein fragliches Gut.

Apropos: nutzen Sie noch CDs und DVDs? Weit mehr als die Hälfte der Österreicher/innen tun das. Ungebrochen. Nun: es hat sich noch nicht weiter herumgesprochen, ist in der Branche aber kein Geheimnis mehr – der heimische Handelsriese Libro plant, 2017 keine CDs mehr in die Regale zu stellen. Ausser eventuell eine Handvoll Kinder-Produkte und Charts-Giganten. DVDs stehen „unter Beobachtung“, wie es firmenintern heisst. Man will sich mittelfristig wohl komplett aus dem Geschäft mit Bild- und Tonträgern zurückziehen.

Nun ist Libro nicht irgendeine Kette. Im Non Food-Bereich hat das aktuell 241 Filialen und 1600 Mitarbeiter zählende Unternehmen österreichweit fast ein Monopol. Und einen überproportionalen Marktanteil bei Schlager- und Volksmusik-CDs, Middle of the Road-Pop und Charts-Compilations. Nicht gerade das Repertoire, das ich persönlich höre. Aber: Mitnahmeartikel bleibt Mitnahmeartikel. Und sei es als billiges Geschenk. Warum also will das Management freiwillig auf einen Umsatz- und Frequenzbringer verzichten? Hat man ein geheimes PR-Abkommen mit Amazon abgeschlossen? Andersrum (und härter) gefragt: glaubt man noch an die eigene Zukunft?

Die revolutionäre Digitalstrategie der Libro-Geschäftsführung ist mir, sofern existent, unbekannt. Und ich bin auch kein Experte für Groß- und Einzelhandel im Hier & Heute. Aber der Zweikampf analoges versus digitales Business – der ja, der menschlichen Natur entsprechend, nicht zwingend ein Entweder/Oder kennt – wird von einer Filialkette nicht online zu gewinnen sein. Physische Produkte mit einer aus Glamour, Marketingbudgets und Medienaufmerksamkeit gespeisten produktimmanenten Strahlkraft tolldreist zum Gerümpel von gestern zu erklären (und die leerwerdenden Regalmeter genau wofür zu nutzen?), erscheint mir dann doch wie Selbstmord mit Anlauf.

Ja, Amazon, Netflix, Spotify, also Online-Einkauf, Download und Streaming kennt man auch in Retz und Hollabrunn. Manchmal möchte man aber doch eine handfeste Silberscheibe nachhause tragen.

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