MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (391) Die Liebe zu Science Fiction-Lektüre kann durchaus den Realitätssinn schärfen.
„I hadn’t known there were so many idiots in the world until I started using the internet.“
Jener Mann, der dies – in aller gebotenen Arroganz – sagte, war einer der vielleicht letzten Universalgebildeten dieses Planeten: der polnische Autor Stanislaw Lem. Dass er vorrangig Science Fiction schrieb – eine Genre, das im deutschsprachigen Raum weithin als Trivialliteratur gilt – spricht eher für als gegen den Urheber. Lem selbst hat immer wieder betont, wie herrlich es sei, humanistische, politische und philiosophische Überlegungen unter diesem Chiffre – gleich einem Trojanischen Pferd – an der (damals noch kommunistischen) Zensur vorbeischmuggeln zu können.
Dabei ist Science Fiction, wirft man einen detailscharfen Blick auf den technischen und gesellschaftlichen Status Quo der Menschheit, eine vielfach realitätsnähere Beschreibung der Wirklichkeit als jede andere Form von Gegenwartsliteratur. „Good books tell the truth, even when they’re about things that never have been and never will be. They’re truthful in a different way.“ Auch ein Lem-Zitat.
Apropos Internet: da der visionäre Denker – mit dem ich einige ausführliche Interviews zu führen das Privileg hatte – schon vor zehn Jahren verstorben ist, kannte er Facebook noch gar nicht. Oder nur in frühesten Ansätzen. Es wäre interessant gewesen, seine Meinung dazu zu hören. Und die künftige Entwicklung von Social Media zu antizipieren. Facebook hat sich – zur Überraschung vieler Experten, auch meiner – in einer Rasanz zum disruptiven Metamedien-Monster entwickelt, die nicht nur Medienmanager und Wertpapier-Broker beschäftigt, sondern auch Psychologen, Juristen, Politiker und Kommunikationswissenschaftler. Mit der üblichen Ambivalenz in der Betrachtung.
Zur Zeit scheinen sich jene Kräfte durchzusetzen, die diese Maschinerie (die sich selbst immer ganz unschuldig als freiwillig nutzbares, kommerzielles Entertainment-Angebot geriert, keinesfalls als Spähplattform, Hass-Schleuder und Manipulationsvehikel) an die Kandare nehmen wollen – sei es, durch gesetzliche Auflagen oder staatliche Aufsicht. Andererseits sollte man ihre Antagonisten nicht unterschätzen, die sich „im Namen des Fortschritts“ und nicht selten unterspickt mit Lobbying-Investitionen der Silicon Valley-Denkfabriken – konsequente Neoliberalität auf die Fahnen geschrieben haben.
Wir werden ja sehen, wie’s kommt. Die Zukunft ist – selbst als Abenteuerspielplatz für Utopisten – rascher Gegenwart, ja Vergangenheit, als vielen lieb sein mag. Die potentiellen Facebook-Nachfolger scharren schon in den Startlöchern (mehr dazu demnächst in diesem Theater). Für das Jahr 2017 hab’ ich mir nur zwei Dinge vorgenommen: 1.) Ja nicht groß rumtönen, man verlasse Zuckerbergs virtuelle Gummizelle (demonstrativ!), wenn man dann doch picken bleibt. Und 2.) wieder mehr Stanislaw Lem lesen.