MASCHINENRAUM / WIENER ZEITUNG. Wie geht Zukunft? Ein “neues Standardwerk” will Antworten geben. Ärger ist angebracht.
“Die Welt, die ihr nicht mehr versteht” – das ist, zugegeben, ein aufreizender, anstachelnder Titel für ein Buch. Er sagt: kauf mich!, schau rein, da lernst Du was. Fürs restliche Leben. Freilich nur dann, wenn man sich eher dem “ihr” zurechnet als der durch eine unsichtbare Trennlinie separierten Schar der Auskenner rund um den Buchautor Samuel Koch. Wobei: Schar ist es aus Sicht von Koch keine. Sondern eine ganze Generation. Die Jungen. Tutti completti in Geiselhaft genommen. Mit dem alten, forschen Distinktions-Trick: wir hier, die da. Ich gehöre nicht dazu. Denn ich verstehe schon den Untertitel des Buchs nicht: “Inside Digitale Revolution”. Ist das jetzt Jugendsprache? Ein Druckfehler? Oder kann da jemand nur schlampig Englisch?
Ich habe mir das Buch bestellt, nachdem ich ein recht kurzweiliges, weil keckes Interview mit Samuel Koch im “Standard” gelesen hatte. Der junge Mann, 1994 in Deutschlandsberg in der Steiermark geboren und eingeführt als Schüler-Lobbyist und digitaler Unternehmer (was immer das sein mag), holte sich dort im Online-Forum gleich jede Menge virtuelle Watschen für seine provokanten Wortspenden. Andererseits sind Großkotzigkeit und Aufbegehren ein natürliches Privileg der Jugend. Ich beschloß also, mich ernsthaft mit seiner Botschaft auseinanderzusetzen. Zumal ein vertrauenswürdiger Entrepreneur, der EU-Jugendbotschafter (was immer das sein mag) Ali Mahlodji, das Buch so anpreist: “Samuel Koch hat den eindringlichsten Wegweiser ins digitale Zeitalter geschrieben. Ein Werk, das auf den Tisch jedes Erwachsenen gehört.”
Da liegt es nun. 156 Seiten stark. Man braucht nicht lange, um es zu lesen. Auch, weil man irgendwann dazu übergeht, das Buch nur mehr durchzublättern und mal hie einen Absatz zu studieren und da ein, zwei Gedanken wahrzunehmen. Immerhin. Es ist nicht so, dass dieses Werk keine Gedanken enthielte. “Kein Respekt mehr vor der Tradition”, wie es Ali Mahlodji formuliert, “nur mehr vor der Vernunft.” Aber warum ist dann zwei Seiten weiter schon von einem “eisigen Gegenwind gegenüber der Digitalisierung” die Rede, wenn eh alles rasant in diese Richtung treibt? Doch lassen wir Youngster Samuel selbst zu Wort kommen: “Ich fordere euch auf, euch zurückzuziehen, oder euren Rückzug jetzt vorzubereiten.” Jössas. Warum? “Ihr habt den Anschluss an den technologischen Wandel, der alle Lebensbereiche durchzieht, verloren.”
Kurzum: hier regiert – noch – ein “überholtes Modell Mensch”, das einfach im Weg steht. Ich fühle mich mäßig angesprochen. Mache aber auch gern Platz, nicht nur in der vollen Straßenbahn. Auftritt Koch, ganz Generation Business-Punk: “Ich habe eine Mission. Sie besteht darin, jungen Menschen unternehmerisches Denken beizubringen.” Immerhin kommt in diesem Umfeld Greta Thunberg mehr Einfluß zu als dem Erfinder des Geilomobils (den Samuel Koch angeblich berät). Und schließlich rutschen sogar Straßenschlachten ins visionäre Radar. Die politische Position des Buchautors bleibt unklar. Am ehesten ist es wohl die eines neoliberalen Utopisten mit autoritär-anarchistischem Drall. Vielleicht gehts auch nur um ein Business-Modell. Original-Ton: “Mit links oder rechts hat das nichts mehr zu tun.” Elon Musk, deine Jünger.
Das ist grundsätzlich nicht unsympathisch. Zumal, so eine eingeflickte These des Mediziners Johannes Huber, ein Übergang vom “Homo brutalis” der Vergangenheit zum “Homo amans” der Zukunft in Aussicht gestellt wird – ein friedlicherer, sozialer, empathischer und technikverbundener neuer Mensch. Und für die regressiven Alten sind dann immerhin Pflege- und Kuschelroboter da. Als post-profitkapitalistisches Konzept winkt final eine vage Aussicht auf forcierte Selbstverwirklichung vor – Medizintechnik 8.0! Homo tempo! – spätem Tod. Zukunftspessimismus? Auch ein überholtes Modell. “Wir brauchen den Fortschritt zur Rettung der Welt.”
Wie genau die Welt gerettet werden kann und soll, wo uns doch die Zeit davonläuft (Rasanz ist aber grundsätzlich positiv!), bleibt leider offen. Letztlich werden viele Themen in diesem manisch mutigen Manifest zumeist nur sehr oberflächlich angerissen. Und manchmal sind die Deckungsungleichheit von Realität und Koch-Rezept richtig ärgerlich. Dass “in der digitalen Wirtschaft Unternehmen ihre Kunden nicht mehr steuern und manipulieren können wie in der analogen”, das wollen mir die Propheten des Cyber-Elysiums allen Ernstes unterjubeln? Und, nein, Big Brother möchte ich auch dann nicht als Freund, wenn man ihn zum “wahrscheinlich mächtigsten Sozialdemokraten aller Zeiten” erklärt. Dass Politik einmal weltweit “endlich richtig sexy” werden wird – auch so eine Prophezeiung aus dem Handgelenk – , werde ich wahrscheinlich nicht mehr erleben.
Ich will nicht zynisch sein: es wäre leicht, dieses Manifest in Grund und Boden zu argumentieren. Aber es zu lesen, ist kein Fehler. Das Buch (wohl eine Art Voraussetzung, um mit Vorträgen und Consulting Kleingeld machen zu können) ist auf eine widrige Weise sehr lehrreich. “Wir denken anders”, schreibt Samuel Koch. Ich glaube, er irrt. Gewaltig. Aber dem Jungspund das genauer zu erklären, dafür fühle ich mich nach der Lektüre einfach zu alt.