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Ganz Wien revisited

10. September 2017

Die Aufarbeitung der Populärkultur-Historie Österreichs hat begonnen – ein so schillerndes wie mit Missverständnissen aufgeladenes Thema.  Mit „Ganz Wien“, zu sehen vom 14.09.2017 bis 25.03.2018 im Wien Museum, steht die erste Gesamtschau der Wiener Musikszene seit den 1950er-Jahren zur Besichtigung.

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Allmählich reicht es dann mit dem Austropop. Also: mir ganz persönlich.

Um den Austropop selbst muss man sich keine Sorgen machen – er ist tot. Oder, präziser: er existiert einfach nicht mehr. Es handelt sich um eine abgeschlossene historische Phase der österreichischen Musikgeschichte, deren Hochblüte in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts lag.

Wenn Sie mich nach einem exemplarischen Belegstück jener Ära fragen, würde ich Ihnen das Album „Es lebe der Zentralfriedhof“ von Wolfgang Ambros, erschienen 1975, ans Herz legen. Wie kaum ein zweites Werk vermittelt es die Tristesse jener Zeiten, die seltsam fern und grau erscheinen, in denen aber die Widrigkeiten der Gegenwart schon genetisch festgeschrieben waren. Kaufen Sie, so Sie denn meinem Ratschlag folgen, das Album auf Vinyl (idealerweise gebraucht, keine in Plastik verschweisste Neuauflage) – erstens ist dieses Format erstaunlicherweise wieder in Mode gekommen, zweitens bedarf die Zelebration des „Zentralfriedhofs“ begleitenden Knisterns und Knackens. Schon allein das Cover erzählt uns eine wunderbare Geschichte der Vergänglichkeit.

Warum ich Ihnen jetzt mit Austropop komme? Weil es der weitestverbreitete signifikante Reflex ist, wenn man die demnächst anlaufende Ausstellung „Ganz Wien. Eine Poptour“ (14.09. 2017 bis 25.03.2018, Wien Museum) erwähnt. Als einer von drei Kuratoren, dessen Gestaltungsmacht nicht ganz so tief reichte wie jene der Kolleginnen und Kollegen, ist man notorisch mit dem Satz „Ah, ihr macht’s a Austropop-Schau!“ konfrontiert. Nein! Es handelt sich um eine verdichtete Historie der Wiener Musikszene der letzten sechs Jahrzehnte, dargestellt anhand der wichtigsten Schauplätze, Biotope und Hotspots – insgesamt elf an der Zahl. Eine Topographie der Szenen.

Sie beginnt im Künstlertreff „Strohkoffer“ bald nach dem Zweiten Weltkrieg – Helmut Qualtinger entwickelte dort seine Figur des „Halbwilden“ – und endet am Karlsplatz, einem Nicht-Ort, der aber – man denke an das alljährliche „Popfest“, das dort seit 2010 stattfindet – in der aktuell höchst divergenten Musiklandschaft ein fiktives Epizentrum markiert. Übrigens eines, dem gleich ein grundsätzliches Problem innewohnt: ist vom Stadtrat finanziell unterfütterte Jugend- und Gegenkultur noch glaubwürdig – oder handelt es sich anno 2017 nur mehr um pragmatisch-hedonistische Spiele zum kargen Brot des Alltags? Möglichst „niederschwelllig“, also gleich gratis. Sagen wir mal so: die Polit- und Protestsänger, die anno 1977 im Folkclub Atlantis auftraten, Anarcho-Bands wie Novak’s Kapelle, Chuzpe, Pöbel oder Drahdiwaberl oder auch die physisch kaum mehr fasslichen Protagonisten des „Cloud Rap“ von heute, etwa Yung Hurn, hätten die Frage anders beantwortet als allein mit fröhlicher Dankbarkeit. Und die wirklichen heimischen Pop-Grössen der Gegenwart, allen voran Wanda und Bilderbuch, sind – weil gagentechnisch zu teuer geworden – am Karlsplatz nie aufgetreten.

Andererseits muss man Andreas Mailath-Pokorny und seinem Team dankbar sein, dass sie – selbst aufgewachsen mit Ambros, Danzer, Falco & Co. – erstmals eine eindrückliche, weil kundig kuratierte Leistungsschau und, quasi nebenher, eine systematische Auseinandersetzung mit den Wurzeln der heimischen Szene ermöglichen. Hier ist nicht nur das Wien Museum ein Magnet – man hat längst eine Mundharmonika von Wolfgang Ambros, einen Helmut Lang-Anzug von Falco oder die speckige Lederjacke von Marco Michael Wanda im Depot –, auch die Wienbibliothek im Rathaus tut sich seit geraumer Zeit durch liebevolle Sammeltätigkeit zweidimensionaler Objekte (Fotos, Plakate, Flyer, Notenblätter u.ä.) hervor, denen aktuell die Ausstellung „Blitzlichter – das popkulturelle Archiv der Wienbibliothek“ (bis 02.02.2018) gewidmet ist. Ein grundlegendes Konvolut sei in diesem Kontext ebenfalls genannt: „WienPop“, 2013 im Verlag der Stadtzeitung Falter erschienen – das aufwändig recherchierte Kompendium wäre ohne Rückendeckung durch die genannten Institutionen wohl nie erschienen. Auch Ö1 ist in den Forschungskomplex eingestiegen und hält ein behende wachsendes „Radiokolleg“-Beitragsarchiv („Lexikon der österreichischen Popmusik“) online vorrätig.

Und, ja, es geht um weit mehr als Austropop. Allein die ewige Gleichsetzung der historischen Trademark – die ja am ehesten noch deutschsprachigen Dialektgesang als Klammer kennt – mit dem gesamten Produktivausstoß unterschiedlichster Künstlerinnen und Künstler, Bands und Projekte über Jahrzehnte hinweg ist ein klebriges Mißverständnis. Freilich gibt es Retro-Kapellen, die ästhetisch ungebrochen Peter Cornelius anhimmeln, und vermeintliche „Neo-Austropop“-Stars wie Voodoo Jürgens, Ernst Molden oder Der Nino aus Wien. Aber, das dürfen Sie mir getrost glauben: sie machen vielleicht moderne Wienerlieder, Metropolen-Blues des 21. Jahrhunderts oder absonderliche André Heller-Verwurschtungen, aber gewiss keinen Austropop.

Sollten Sie sich in die Ausstellung verirren: Rainhard Fendrich kommt darin nicht vor (oder wenn, dann nur ganz am Rande); er ist mit einem eigenen Musical in Gehweite des Wienmuseums eh gut bedient. Das ist übrigens die härteste Übung beim Machen einer Ausstellung: wen und was lasse ich weg und warum? Denn schon höre ich, einmal mehr, den Ruf von – individuell oft hoch interessanten – Nischenexistenzen und Detailfanatikern, deren Drang nach Vollständigkeit und Widerspiegelung des künstlerischen Egos nicht auf Deckungsgleichheit mit einer höchst überschaubaren Ausstellungsfläche zu bringen ist. Es sollte sich aber auf mehr als vierzig Audio-Video-Stationen, in ein paar hundert Objekten und einem opulenten Begleitprogramm doch einiges finden lassen, was mit dem eigenen Leben und Schaffen Berührungspunkte hat.

Mein persönliches Lieblingsobjekt ist, nebstbei, das mit Abstand grösste der Ausstellung: das „Original Bedroom Rockers“-Studio, das Peter Kruder – die eine Hälfte von Kruder & Dorfmeister – einst in der Grundsteingasse 60 in Wien-Ottakring aufgebaut hatte. Ein spiegelgleiches Konvolut von Bandmaschinen, Samplern, Sequencern und Synthesizern, frühen Computern und billigem Trash-Equipment war in der Goldegggasse im vierten Wiener Gemeindebezirk zu finden, wo Richard Dorfmeister residierte. Mit diesem Maschinenpark entstand die „G-Stoned EP“ (die mit dem Simon & Garfunkel-Cover, Katalognummer 001 auf G-Stone Recordings), die 1993 zum beliebtesten Exportartikel „made in Austria“ für Musikliebhaber rund um den Globus werden sollte.

Wenn man Glück hat und sich rechtzeitig anmeldet, erklärt einem Peter Kruder höchstpersönlich, an welchen Knöpfchen er damals gedreht hat, damit es klappte mit der Weltberühmheit eben nicht nur in Wien.

 

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Ol‘ Blue Eyes

12. Dezember 2015

Die Medien-Festspiele zum 100. Geburtstag von Frank Sinatra rufen unzählige Erinnerungen wach. Ein Eintrag zum Nachhall des bedeutendsten Entertainers des 20. Jahrhunderts.

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Den Versuch ist es wert: welche Bilder, Assoziationen, Wissensbruchstücke werden zutage gefördert, wenn wir einmal nicht die grosse Bedeutungsmaschine Google anwerfen, sondern unsere eigene Erinnerung? Ein rundes Jubiläum – in diesem Fall der hundertste Geburtstag – einer Ikone der Populärkultur ist ein probater Aufhänger. Wer war Francis Albert Sinatra, genannt Frank? Und was verkörpert er anno 2015, siebzehn Jahre nach seinem Tod?

Noch nicht verblasst ist das Bild des US-Superstars mit Anzug, Krawatte und – lange Zeit ein Markenzeichen – Hut, ein soigniertes Lächeln als ironische Note ultimativer bürgerlicher Eleganz und Strahlkraft. Dann natürlich jene Top-Hits (unter mehr als 1300 Songs, die Sinatra im Lauf seiner Karriere einspielte), die dem Begriff „Evergreen“ mehr als gerecht werden (und vom Sänger oft eher geringgeschätzt wurden), darunter „Strangers In The Night“, „My Way“ oder „New York, New York“. Kollaborationen wie etwa jene mit Sammy Davis jr. und Dean Martin – gemeinhin als „The Rat Pack“ etikettiert –, die auch farbenprächtige Assoziationen mit Whiskygelagen, unzähligen Affären und der Showwelt von Las Vegas zeugen. Und natürlich die ewig hinter vorgehaltener Hand vorgetragenen vermutlichen Querverbindungen zur Mafia, die bis heute nicht restlos geklärt sind.

Das Teenager-Idol der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hingegen ist, wenn überhaupt, nur in den USA noch nicht gänzlich der Erinnerung entschwunden. Hierzulande ging Sinatras Aufstieg Hand in Hand mit der Nachkriegs-Dominanz der amerikanischen Kultur, der im Sturmlauf eine Invasion der Herzen gelang. Es gibt ein Leben vor dem Tod, war ihre Botschaft, und Coca Cola, Elvis Presley und Frank Sinatra ihre Sendboten. „Der liberal denkende, radikale Individualist verachtete Konformismus und Kommerzdenken“, postulierten die Veranstalter des „Sinatra Tributes“ in der Wiener Staatsoper im Juli dieses Jahres. „Tragisch, dass er wegen seiner Beliebtheit beim Establishment in seinen letzten Jahren als Symbolfigur des Geldadels missinterpretiert wurde.“

Tatsächlich kann sich Frank Sinatra wider die Memorabilia-Kitsch-Industrie nicht mehr zur Wehr setzen. Der Sohn italienischer Einwanderer, aufgewachsen am Hudson River im unmondänen Hoboken gleich gegenüber Manhattan, hatte sein Erweckungserlebnis 1933 beim Besuch eines Konzerts von Bing Crosby: der schmächtige High School-Abbrecher (O-Ton des Schulrektors: „Keine wie immer geartete Begabung“), Werftarbeiter und zeitweilige Sportjournalist wollte danach raschest in die höchsten Entertainment-Zirkel aufsteigen. Was ihm zielstrebig gelang. Die ersten Kassenschlager mit den Big Bands von Harry James und Tommy Dorsey, regelmässige Sendungen in der damals mit der Musikindustrie eng verflochtenen Radiolandschaft und wachsende Ambitionen als Filmschauspieler (etwa in Fred Zinnemanns „Verdammt in alle Ewigkeit“), die auch ein Zwischen-Tief wieder geradebogen, halfen kräftig nach.

Ab den sechziger Jahren galt Sinatra als der US-Top-Entertainer schlechthin, gründete seine eigene Plattenfirma Reprise, die er mit exorbitantem Gewinn an Warner Music weiterverkaufte und verkündete 1971 – nach dem Gewinn aller einschlägigen Grammys, Oscars und obligaten Ehrenmedaillen – erstmals seinen Bühnenabschied. Den er knapp zwei Jahre später widerrief. Gerade die siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts sollten den Grandsigneur des Glitter-Business kommerziell die Ernte des Lebens einfahren lassen. Dreimal war Sinatra auch live in Wien zu hören, ein Auftritt vor 175.000 Zuschauern in Rio de Janeiro ging ins Guiness Buch der Rekorde ein. „Er könnte den Menschen das Telefonbuch vorsingen“, soll Sangeskollegin Dionne Warwick einmal angemerkt haben, „und es würde ihnen immer noch gefallen.“

Letztlich ist es das, was Sinatras Bedeutung bis heute ausmacht: die Individualität, sprich: die Einzigartigkeit interpretatorischer Anstrengung in einem Mainstream der Mittelmässigkeit zu verdeutlichen. Und dabei ungeheuerlich leichtfüssig und unverschwitzt zu wirken, im besten Sinn also: cool. Dieses Talent beeinflusste unzählige Künstler, von Ella Fitzgerald bis Miles Davis. „Er war ein Perfektionist“, weiss der Konzertveranstalter, ehemalige ORF-Manager und Buchautor („Frank Sinatra und seine Zeit“) Johannes Kunz. „Er hat nichts dem Zufall überlassen, das kann man auch den Aussagen von Musikern entnehmen, mit denen er gearbeitet hat, wie etwa Count Basie oder Quincy Jones.“

Sinatra starb nach einem – und man kann deklamieren, dass es sich hier nicht um eine Floskel handelt – künstlerisch, kommerziell und karrieretechnisch höchst erfüllten Leben am 14. Mai 1998 an den Folgen eines Herzinfarkts. Was wird bleiben von dem Entertainment-Titan des 20. Jahrhunderts? Ein rauschender Festakt. Ein in Details ambivalentes Bild. Und ein – möglicherweise ewigwährender – Nachhall eines Menschen, der die Nacht, in der sich die Gesetze des Tages auflösen, zu besingen wusste wie kein Zweiter.

Conchitas grosse Chance

2. Mai 2014

Es ist gar nicht wichtig, welchen Platz Tom Neuwirth beim diesjährigen Eurovisions Song Contest erreicht. Denn mit seinem alter ego Conchita Wurst hat er bereits die Grenzen reiner Unterhaltung gesprengt.

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Es geschehen noch Zeichen und Wunder: Österreich grösste Entertainment-Orgel, der ORF, könnte eine positive Überraschung erleben. Denn die Entsendung von Conchita Wurst – einer Kunstfigur mit weiblichen Attributen und präzise getrimmtem Bartwuchs, hinter der sich der 26jährige Gmundner Travestiekünstler Thomas Neuwirth verbirgt – zum diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC) in Kopenhagen wird von Medien- und Publikumsreaktionen begleitet, wie sie in den Jahren zuvor eher selten waren.

Mit dem ruralen HipPop-Kinderlied „Woki mit Dein Popo“ der Trackshittaz hatte man noch 2012 den denkwürdigen letzten Platz unter allen Teilnehmern des TV-Spektakels eingefahren. „Rise Like a Phoenix“ dagegen – eine pathetisch-schwüle Hymne, die Conchita Wurst von einem internationalen Serienschreiber-Autorenteam auf den Leib geschneidert wurde – darf als Kampfansage gewertet werden. Und der glamouröse Auftritt als Statement. Das Selbstbewusstsein ist angebracht: denn Provokation, die sich ungeniert in die Gehörgänge frisst, hat sich beim Songcontest fast immer bewährt.

Und selbst wenn Wurst ihrem Künstlernamen gerecht wird und sich Jury wie Publikum gelangweilt geben: das Polarisierungs-Potential ihrer puren Erscheinung ist enorm. Und hat die Gender-Debatten auch jenseits der Landesgrenzen beflügelt: ist demonstrativ gelebte Transsexualität Ausdruck eines neuen, liberalen Menschenbilds oder nur eine aufgesetzte, kalkulierte Belästigung des „Normal“bürgers?

Die gewollte, aber keineswegs aufdringliche Originalität ihrer Rolle bringt Conchita Wurst jedenfalls ins Visier konservativer Geister. Der Nachrichtendienst Reuters berichtete schon vor Monaten von 15.000 Unterzeichnern einer Petition in Russland, die verlangte, die Übertragung des Songcontests („Ein Pfuhl der Sodomie“) im staatlichen TV einzustellen. Oder zumindest partiell auszublenden. Ähnliche Proteste und Forderungen nach Zensurmassnahmen werden aus Weissrussland und Armenien gemeldet.

Die britische Zeitung „Independent“ wertet diese Stimmen als „Transphobic backlash“, die European Broadcast Union (EBU) als Veranstalter des ESC hält dagegen. Die Übertragung des multinationalen Wettsingens hat nach dem Motto „ganz oder gar nicht“ zu erfolgen. Aber auch in Österreich regten sich schon ab Herbst des Vorjahres erregte Gegner zu Wort. Auf Facebook hatte die Gruppe „NEIN zu Conchita Wurst beim Song Contest“ enormen Zulauf: heute zählt sie 38000 Unterstützerinnen und Unterstützer.

Vordergründig geht es den Proponenten des Web-Protests weder um die Person Tom Neuwirth noch um seine/ihre sexuelle Ausrichtung. Die Antipathie richte sich, so ein anonym bleibender Organisator im „Standard“, gegen die einsame Entscheidung der ORF-Experten ohne Anhörung des Publikums. Denn das, so meint man, würde lieber Christina Stürmer oder Andreas Gabalier in den Wettbewerb schicken – dass diese aus karrieretechnischen Gründen wohl umgehend abwinken würden, kam da nicht weiter zur Sprache.

Gerade mit dieser demonstrativ autoritären und ganz bewussten Entscheidung für die Person Tom Neuwirth/Conchita Wurst haben aber die Strategen am Küniglberg seit langem wieder Mut bewiesen. Argumentierte man etwa in der zuletzt heftig aufgeflammten Ö3-Debatte um Airplay-Anteile für heimische Künstler genau umgekehrt – man wolle, erraten!, das Publikum entscheiden lassen (das viele neue Acts nicht kennt, weil sie im elektronischen Leitmedium ORF selten bis nie vorkommen) –, könnte das professionelle Risiko hier reich belohnt werden.

Allerdings gilt die alte austriakische Regel: einen Sieg gilt es tunlichst zu vermeiden. Die Ausrichtung des Songcontests 2015 in Wien, die damit automatisch verbunden wäre, würde das Budget des ORF bei weitem sprengen.

Let me entertain you!

18. Juli 2013

Das ausverkaufte Robbie Williams-Spektakel in Wien darf als diesjähriger Höhepunkt eines immer massiveren Live-Geschäfts gewertet werden. Oder? Über den Status Quo der Musikindustrie anno 2013.

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Wer dieser Tage in den Bürofluchten der Firma EMI Music Austria in der Wiener Webgasse 43 das Telefon klingeln lässt, bemüht sich vergeblich. Zwar ist der Anrufbeantworter noch in Betrieb, aber es gibt keine Gesprächspartner mehr. „Der gewünschte Teilnehmer antwortet nicht. Vielen Dank.“

Das klang einmal anders: in ihren Hochzeiten verkaufte die Österreich-Filiale des weltumspannenden Major-Musikproduzenten EMI mit einem Marktanteil von durchschnittlich 15 Prozent Millionen Tonträger. Der Katalog war hoch attraktiv – von Top-Stars wie den Beatles, Queen, Pink Floyd, Kraftwerk oder Herbert Grönemeyer bis hin zu lokalen Grössen wie der Ersten Allgemeinen Verunsicherung, DJ Ötzi oder Falco. Zudem betrieb man ein – ob der niedrigen Friedenszins-Miete recht profitables – Plattengeschäft auf der Kärntnerstrasse.

Es ist das letzte sichtbare Relikt eines einst stolzen Konzerns. Von den ehemals bis zu fünfunddreißig Köpfen in der Zentrale wurde im Sommer 2013 genau eine Mitarbeiterin vom übermächtigen Konkurrenten Universal Music übernommen. Deren Marketing-Chef Peter Draxl, einst selbst EMI-Manager, trocken: „Die Integration ist abgeschlossen.“

Wirklich zufrieden ist man ob der Verknappung auf ein Zweieinhalb-Major-Oligopol – lange hatte Branchenauguren mit einer Vernunftehe der kleineren Marktteilnehmer Warner und EMI spekuliert, letztlich wurden aber die wesentlichen Pleite-Relikte Universal und Sony Music zugeschlagen – aber auch am Wiener Schwarzenbergplatz nicht. Denn die Zahlen sind generell schlecht. Universal-Statthalter Hannes Eder, zugleich Präsident des Branchenverbandes IFPI Austria, fasst die Situation stichwortartig zusammen: „Digitalmarkt weiter hinauf, physischer Markt wie schon in den letzten Jahren hinunter.“ Leider ersetzen Downloads – zuvorderst via Apples iTunes Store und Amazon – und Streamings – hier sind Spotify und Deezer führend – das Wegbrechen der CD-Umsätze nicht in jenem Maße, wie es sich die Vordenker und -Lenker des Musikgeschäfts wünschen.

Der Schwenk hin zum Digitalbusiness führt zudem zu einer rapiden Erosion traditioneller Strukturen: mittlerweile überlegt man z.B. beim grössten heimischen Filial-Distributor Libro ernsthaft, den CD-Verkauf aufzugeben. Ein Schreckensszenario für Universal & Co., die vornehmlich auf Mainstream-Ware setzen. Eder, betont optimistisch: „Sorgen würden wir uns machen, wenn die Nachfrage nach Musik sinken würde. Das tut sie aber nicht, sie steigt jedes Jahr. Wie man diese Nachfrage monetarisieren kann, ist eine tägliche Herausforderung, und das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben.“

Der Status Quo lässt sich in eine nüchterne Frage übersetzen: womit verdient die Tonträger-Industrie anno 2013 überhaupt noch Geld? Etwas überspitzt: kaum mehr mit Tonträgern. EMI etwa verschleuderte im Zug des Überlebenskampfes sein gesamtes Tafelsilber. Katalogware, aber auch aktuelle Alben von Robbie Williams, Kate Perry, Coldplay oder Depeche Mode, wurden zum Ramschpreis unter das Volk gebracht. Die branchenweite Image-Entwertung der Compact Disc wird von einem erstaunlichen Comeback der Vinyl-Schallplatte konterkariert – allerdings handelt es sich dabei um ein Retro-Nischen-Phänomen.

Apropos Robbie Williams: das ehemalige Take That-Teenie-Idol ist längst zum Säulenheiligen der Ö3-Hemisphäre gereift. Und gibt sich verschmitzt pragmatisch: „Ich will verdammt viele Platten verkaufen und die beste Show aller Zeiten abliefern“. Rund 65.000 Williams-Fans erklärten sich am Mittwochnacht beim Wien-Gastspiel zu Augen- und Ohrenzeugen. Wirklich Geld verdient der 39jährige Ex-EMI-Heroe aber weniger mit „Platten“ denn mit der generalstabsmäßig durchexerzierten Rundum-Vermarktung seiner Live-Aktivitäten.

Williams war einer der Vorreiter einer Entwicklung, die immer stärker Raum greift: die Entwicklung und Realisierung von Künstlerkarrieren, Songmaterial und Showkonzepten überlässt man privaten Investoren und finanzkräftigen Althasen des Schaugeschäfts, die sogenannte „360-Grad-Vermarktung“ – von Merchandising über Tonträger, Verlags-, Film- und Werberechte bis hin zum Tournee-Zirkus – übernehmen die Major Companies. Oder gleich börsennotierte Entertainment-Konzerne neuen Typs, die etwa den Markt in den USA beherrschen. In Österreich ist das prominenteste Beispiel für dieses Modell Andreas Gabalier. Aber auch Newcomer wie Anna F. oder Julian LePlay erhielten entsprechende Angebote. Rahmabschöpfung rules.

Was allerdings tendenziell abgenommen hat, ist die Berechenbarkeit der Renditen: blieben schon früher die Einkünfte von acht unter zehn Nachwuchs-Starschnuppen unter den Erwartungen, lässt sich heute kaum mehr eine seriöse Prognose zum Karriereverlauf eines Künstlers treffen. Der Markt leidet an einem Überangebot an Live- und Konserven-Musik bei gleichzeitiger Verengung der Medien- und Absatzkanäle. Das Internet, lange als „Long Tail“-Paradies für Entdeckernaturen und Klangforscher abseits der Formatradio-Trampelpfade gepriesen, kann nur technisch eine Alternative eröffnen, nicht soziologisch.

Letztlich sei eine Rolle im Mainstream-Musik-Business aber immer noch besser als ein „normaler“ Durchschnittsjob, lässt Robbie Williams bei Pressegesprächen verlauten. Zur ewigen Tretmühle des Entertainment-Geschäfts hat er denselben Lieblingsspruch parat wie zum Status Quo der Branche generell: „Du blickst in den Abgrund – und der Abgrund blickt zurück.“

Selbstbeschwichtigung mit Schwung

27. April 2012

Die „Musiknation Österreich“ feiert sich alljährlich mit ihren aktuellen Pop-Produktionen beim TV-Spektakel „Amadeus“ (am 1. Mai vor Ort im Volkstheater oder in Puls 4 zu sehen) selbst. Dabei gibt es nicht allzu viel zu bejubeln in der heimischen Musikbranche.

Haben Sie je etwas von einer Band namens „Herbstrock“ gehört? Wenn die Antwort „nein“ lautet, müssen Sie nicht extra ihr Gedächtnis trainieren. Herbstrock haben sich dieser Tage nämlich aufgelöst. Nach über zehnjähriger Existenz hat die Wiener Neustädter Formation mittels Pressemitteilung die Erkenntnis verbreitet, „dass es nicht mehr voran gehen kann.“ Ein erstaunlicher Kontrast zum Faktum, dass die Band gleich zweimal mit dem wichtigsten Preis der österreichischen Musikindustrie ausgezeichnet wurde: 2008 gewannen Herbstrock den „Amadeus Austrian Music Award“ in der Kategorie „Newcomer“, 2009 wurden sie für das „Album des Jahres“ geehrt. Nicht einmal zwei Jahre später wegen künstlerischer und kommerzieller Perspektivlosigkeit den Hut drauf zu hauen – ein Symptom für die gesamte Branche?

Nein, lautet die Antwort der IFPI, der Interessensvereinigung der heimischen (Major-)Tonträgerproduzenten. Denn „die Richtung stimmt“, wie Hannes Eder, IFPI-Präsident und Chef des international und national grössten Labels Universal, nicht müde wird zu betonen. Auch Kollege Philip Ginthör, der von Wien aus eine erstaunliche Karriere bei Sony Music gemacht hat und den gesamten deutschsprachigen Raum verantwortet, stösst via APA ins gleiche Horn: „Ich denke, dass wir inzwischen mit dem Mix aus digital und physisch eine kritische Masse erreicht haben. In Österreich legt der Onlinemarkt zum siebenten Mal in Folge zu. Das sind positive Impulse, die auch wieder zu Wachstum führen können.“ Die rituelle Beschwörung der Trendwende und neuer Geschäftsmodelle – strikt abseits individueller Künstlerschicksale – kann allerdings das kräftige Minus in der Gesamtbilanz nicht gänzlich camouflieren. 2011 wurden in Österreich rund 174 Millionen Euro mit Musik umgesetzt, macht ein Minus von 6,5 Prozent im Vergleich zum Jahr davor. Immerhin: damals hatte man noch einen Verlust von fast neun Prozent eingefahren.

Zum fast schon traditionellen Hoffnungsträger ist der Digitalsektor herangereift: mit legalen Downloads auf PC und Handies, Klingeltönen und neuen Streaming-Angeboten („Deezer“, „Spotify“, „Simfy“ & Co.) verzeichnete man ein Plus von rund 14 Prozent bei einem Volumen von 24 Millionen Euro. Einen dicken Teil vom Kuchen holten für die heimischen Konzernfilialen von Universal und Sony lokale Komponisten und Interpreten: mit dem „Volks- Rock’n’Roller“ Andreas Gabalier und seinem ungleich authentischeren und sprachmächtigeren Kollegen Hubert von Goisern stellen die Dickschiffe der Branche auch die diesjährigen „Amadeus“-Abräumer. Omnipräsenten Retorten-Sellern wie den oberösterreichischen Songcontest-Vertretern Trackshittaz bietet man einmal mehr eine Bühne. Aber auch frische Kräfte wie Elektro Guzzi, Ja, Panik, Parov Stelar oder Dorian Concept dürfen sich Hoffnungen machen. Ludwig Hirsch („Dunkelgraue Lieder“) wird posthum für sein Lebenswerk geehrt.

Der „Amadeus“ selbst spiegelt die Krise und Zerrissenheit der Musikindustrie – realistisch betrachtet ist es eine mittelgrosse Import-Maschinerie, deren Österreich-Dependancen mehr und mehr zu Marketing- und PR-Büros degradiert werden – drastisch wider: 2011 fand eine Preisverleihung erst gar nicht statt. Nach langen Jahren des Schulterschlusses mit dem ORF, der sich aktuell einmal mehr unnobel zurückhält (offiziell aus „Kostengründen“), übt man sich in der IFPI-Zentrale nun in progressivem Pragmatismus. Einerseits will man den Medienpartnern Puls 4, T-Mobile und Ö-Ticket im Volkstheater eine zeitgeistige, selbstironische Show und Plattform bieten und bezieht daher die Independent-Szene beherzt ein. Andererseits hat der „Amadeus“ seine Hebelwirkung in punkto Absatzzahlen fast gänzlich verloren. Die Nachred’ hängt – auch das ein Sittenbild einer Selbstbeschwichtigungs-geübten Branche – vorrangig von der Qualität und Quantität der Cocktails ab, die bei der Aftershow-Party serviert werden. Gratis, eventuell aber auch umsonst.

Denn die eigentlichen Topics und Probleme werden, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt werden: vom aktuellen, brisanten Urheberrechts-Streit (besonders umfehdet: die Initiative „Kunst hat recht“) über die damit verbundenen Gesetzes-Vorstösse auf EU-Ebene (von ACTA bis IPRED), von der wegbrechenden Handelsstruktur für physische Tonträger, die zunehmende Personal- und Kompetenz-Ausdünnung bei den Unternehmen bis zum nachwievor beschämenden „Österreicher-Anteil“ in wichtigen öffentlich-rechtlichen Durchlauferhitzern wie Ö3, Radio Wien oder den dominierenden TV-Kanälen. Der mangelnde Wille, heimische Musik – deren Dichte, Originalität und Qualität kaum je höher war – respektvoll wahrzunehmen, kommerziell zu entwickeln und wirklich offensiv zu transportieren (eventuell auch über die Landesgrenzen hinaus), mündet in zunehmender Verzagtheit auf Label- und Künstlerseite. Eine Negativspirale, die mit Festivitäten, Fördergeldern und Presseaussendungen nur temporär gedämpft werden kann.

Ausnahmen bestätigen die Regeln im heimischen Musikgeschäft. Herbstrock gehören nicht mehr dazu. Auch wenn man auf der Ö3-Homepage wohl auf ewig nachlesen kann: „A star is born! Wieder eine neue österreichische Band, mit der es steil nach oben geht!“

Wunschkonzert

16. November 2011

Streaming Services wie „Spotify“ mischen den Musikmarkt auf. Diese Woche startete der schwedische Anbieter auch in Österreich. Revolution, Evolution oder Irrweg?

„Das Internet setzt Realitäten und der Musikmarkt hechelt hinterher.“ Der Kommentar von Philipp Dorfmeister zum Österreich-Start des Streaming-Dienstes „Spotify“ fällt demonstrativ trocken aus. Philipp Dorfmeister ist nicht nur ein Bruder des ungleich bekannteren Künstlers Richard („Kruder & Dorfmeister“), sondern auch einer der wenigen Branchen-Grosshändler, die den Sprung in das 21. Jahrhundert geschafft haben. Mit dem Digital-Vertrieb „Ordis“ beliefert er weltweit Download-Plattformen wie iTunes oder Amazon mit immateriellen Gütern. Der überwiegende Teil seiner Kunden sind heimische Labels.

Ab sofort steht Philipp Dorfmeister und seinem Team noch mehr Arbeit ins Haus: mit einem Gesamtangebot von über 15 Millionen Songs will „Spotify“ innert weniger Wochen mehr als 200.000 User erreichen. Quasi auf Knopfdruck können neben Rosenstolz, David Guetta und Amy Winehouse auch annähernd alle Produktionen österreichischer Künstler abgerufen und angehört werden – so führen aktuell Hubert von Goisern („Brenna tuats guat“) und der „Volks-Rock’n’Roller“ Andreas Gabalier die „Spotify“-Charts an.

Hineinschnuppern ist gratis, verlangt aber – massiv kritisiert von potentiellen Interessenten – einen Facebook-Account. Die enge Verzahnung mit der Social Media-Datenkrake ist Teil der PR- und Geschäfts-Strategie. Wenn man Musik geniessen will, ohne zwischendurch von Werbung belästigt zu werden, kostet „Spotify“ 4,99 Euro im Monat. Für die doppelte Summe kann man auch offline und per Mobiltelefon auf das annähernd unerschöpfliche Archiv zugreifen, zudem in besserer Audio-Qualität. Das „Freemium“-Angebot ist zweifelsfrei attraktiv. Etwa ein Fünftel aller User werden zahlende Kunden.

Das Cloud-Service durchbricht das Paradigma, dass Fans und Liebhaber ihre Lieblingsmusik in Form von Tonträgern oder MP3-Files „besitzen“ wollen. „Spotify“ hat die Anmutung einer Radio-Station, deren Programmchef einem täglich aus dem Spiegel entgegenlacht. Vergleichbare Anbieter heissen „Simfy“, „Pandora“, „Rdio“ oder „Grooveshark“, letzterer operiert knapp an (oder jenseits) der Grenze zur Illegalität. Auch Apple, Google und andere Web-Giganten bereiten ähnliche Services vor. „Man hat der Musikindustrie gern vorgeworfen, die digitale Revolution verschlafen zu haben“, erläutert „Spotify“-Europachef Jonathan Forster. „Aber derzeit ist sie innovativ und progressiv wie nie zuvor.“

„Spotify“ ist der Sieg des Prinzips Bequemlichkeit über die vergleichsweise Mühsal und moralische Fragwürdigkeit des Musikdiebstahls in Form von Peer-to-peer-Netzwerken, des Klonens gigabytepraller Festplatten und der Nebenher-Nutzung von YouTube als Audio-Jukebox. „Wir freuen uns über den Markteintritt jedes Anbieters, der das Urheberrecht respektiert“, kommentierte folgerichtig der Generaldirektor der AKM, Gernot Graninger, den Coup. Die spezifische Vereinbarung mit dem schwedischen Unternehmen wird aber – nicht zuletzt der Konkurrenzsituation zu europäischen Schwester-Urheberrechtsgesellschaften wegen – keineswegs detailliert klargelegt. Künstler, Verlage und Labels müssen abwarten, welche Summen der von ihnen gelieferte Business-Treibstoff wert ist.

Pragmatiker meinen, jeder Cent, den man den Piraten entreisse und der „Generation Gratis“ abknöpfe, sei ein Gewinn. Pessimisten verweisen auf die Intransparenz der Musik-Maschinerie 2.0 und die stupend niedrigen Erträge, die bislang in Aussicht gestellt werden – jeder Abspielvorgang sei gerade mal 0,0003 Cent wert. Für ein durchschnittliches Monatseinkommen von rund tausend Euro muss ein Musiker vier Millionen User erreichen. Dennoch: „Wir haben bisher über 100 Millionen Euro ausgezahlt“, merkt Forster an. „Für die schwedische Musikindustrie etwa sind wir längst die wichtigste Einnahmequelle.“

Vor fünf Jahren startete „Spotify“, gegründet von Daniel Ek und Martin Lorentzon, im Heimatmarkt. Schon 2009 zählte man eine Million Nutzer. Bislang ist der Dienst in Skandinavien, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Holland und den USA legal und unkompliziert nutzbar. Dass Österreich – noch vor dem „Grossen Bruder“ Deutschland, wo der AKM-Pendant GEMA hinreichend Widerstand leistet und deutlich bessere Konditionen für seine Klienten herausschlagen möchte – sich nun in diese Liste einreiht, überraschte selbst Branchen-Insider. „Ich habe einen Business Development-Manager bei einem weissen Spritzer davon überzeugen können, dass wir alle notwendigen Verhandlungen für ein „Roll Out“ in sechs Monaten schaffen“, plaudert der Wiener Statthalter des weltgrössten Musikkonzerns Universal und Präsident des Lobbyingverbands IFPI, Hannes Eder, aus dem Nähkästchen. „Legale Streaming-Plattformen wie Spotify sind für uns überlebensnotwendig. Daher die offensive Einladung.“

Gerade in Zeiten turbulenter Umbrüche – erst vor wenigen Tagen schluckte Universal den langjährigen Major-Konkurrenten EMI Records, der Verlagsarm des britischen Traditionsunternehmens ging an Sony Music – könnte sich dieses Wagnis langfristig als „Erfolgsstory“ (so der Branchendienst „MediaNet“ schon vorab) erweisen. „In allen Ländern, wo Spotify am Markt ist, werden deutlich steigende legale Downloads und ein Rückgang der Piraterie um bis zu 25 Prozent beobachtet“, so Eder. Auch kritische Branchenexperten schlagen in dieselbe Kerbe, wenngleich ihre Schlußfolgerungen gerade für die Major-Konzerne keine rosigeren Zukunftsaussichten bieten. Erfahrungswerte, welche Kannibalisierungseffekte ein Streaming-Shangri La für konservativere Vermarktungsformen, unabhängige Nischenanbieter und Off-Mainstream-Künstler bedeutet, stehen aber noch aus.

Wie zufällig häufen sich Gerüchte, schon 2012 würden die verbliebenen „Grossen Drei“ Universal, Sony und Warner Music das CD-Format begraben. Wenn die Gewinne aus Internet-Dienstleistungen – die Majors und der Indie-Verband Merlin haben sich an der Schwedenbombe strategisch beteiligt – das Erlöspotential der Silberscheiben übersteigen (statistisch gesehen kauft jeder Österreicher pro Jahr 1,19 CDs), könnte das tatsächlich rascher geschehen als erwartet. Noch schreibt „Spotify“ aber, den Gesetzen der Web-Ökonomie folgend, operativ keine schwarzen Zahlen.

Ewig rollender Stein

18. Mai 2011

Die Medien-Festspiele zum 70. Geburtstag Bob Dylans lassen die Popkultur-Ikone ungerührt. Und die FM4-Generation erst recht. Oder doch nicht? Zum Status und Status Quo des bedeutendsten Singer-/Songwriters der Jetztzeit.

Es bedarf eigentlich keines besonderen Aufhängers, sich an Bob Dylan ab- und das Oeuvre des Mannes intellektuell aufzuarbeiten. Robert Alan Zimmerman, am 24. Mai 1941 in Duluth, Minnesota geboren und unter dem bekannten Pseudonym zum Leitstern der Popkultur aufgestiegen, ist seit jeher ein beliebtes „object of desire“ für Lagerfeuer-Sitzungen, Textexegesen und verschworene Dichter- und Denkerzimmer-Runden. Und selbstverständlich für Würdigungen, auch aus der Ferne – mögen sie opulent ausfallen wie im aktuellen „Falter“ oder so absehbar devot (oder eventuell doch kontroversiell?) wie bei einem noch opulenteren Symposion in der Wiener US-Botschaft („Refractions of Bob Dylan – Cultural Appropriations of an American Icon”). Die Zeitlosigkeit des zu einem beachtlichen Konvolut angewachsenen Gesamtwerks ist deckungsleich mit ihrer permanenten Aktualität.

Sogar in der Universitätsbibliothek Klagenfurt findet sich eine Magister-Arbeit über „Die surrealen Elemente in den Texten Bob Dylans“. Eines von unzähligen Werken der Sekundärliteratur, die der Meister selbst im Vorfeld seines 70. Geburtstags trocken kommentierte: „Everybody knows by now that there’s a gazillion books on me either out or coming out in the near future. So I’m encouraging anybody who’s ever met me, heard me or even seen me, to get in on the action and scribble their own book. You never know, somebody might have a great book in them.“

Den Anstrengungen der Rock’n’Roll-Buchhalter und Dylan-Interpreten tut der Spott des Meisters keinen Abbruch. Sie tragen und trugen insbesondere seine frühen Songs vor sich her „wie ein süditalienisches Dorf die mumifizierte Zehe ihres lokalen Heiligen bei einer Prozession, die von der Kirche zu den Weinkellern führt“, wie der Blogger Bernhard Torsch spitz formulierte. Hier, in der Fan-Hemisphäre des Internet, ist den hauptberuflichen Kritikern und Musikwissenschaftlern eine deutungsmächtige Konkurrenz erwachsen. „Blog Blog Bloggin’ On Heaven’s Door“ dürfte rund um den Dylan-Feiertag signifikant erhöhte Zugriffszahlen erreichen. Und das bei einer Generation, die die herausragende Rolle des Song-Poeten gerade mal als historischen Abriss nacherzählen kann. Oder Hymnen wie „Like A Rolling Stone“ – vom gleichnamigen Magazin anno 2004 zum „besten Song aller Zeiten“ gekürt – oft nur mehr vom Hörensagen kennt. Und gewiss nicht aus dem FM4-Programm. Oder von YouTube (dort ist erstaunlich wenig Original-Material zu finden). Ach ja, der alte Bob mit der krächzenden Stimme.

Der Legendenstatus ficht aber den notorischen Legendenstatus-Verweigerer und unermüdlichen Live-Darsteller seiner selbst nicht weiter an. Oder doch? Bei Konzerten, die Dylan im April dieses Jahres in Peking, Shanghai und Hongkong gab, wurden Vorwürfe laut, die US-Kulturikone – von einigen Journalisten in ihren anklagenden Artikeln hartnäckig als „Protestsänger“ geführt – hätte sich von den chinesischen Behörden zensurieren lassen. Und sich etwa nicht zur Verhaftung des Künstlers Ai Weiwei geäussert. „Dylan schwieg zunächst“, so der „Rolling Stone“ (ironischerweise in einem Blog-Eintrag namens „Beijing It All Back Home“), „wie er es eigentlich immer tut.“ Dann aber fand sich auf der offiziellen Homepage www.bobdylan.com ein Statement, das das Schweigen unterbrach. Es gab keine Zensur, so Dylan, die Konzerte seien gut besucht gewesen, und zwar hauptsächlich von jungen Chinesen, nicht US-Veteranen. Nur die Darstellung in den hiesigen Medien als ewiger Sixties-Säulenheiliger – zusammen mit Joan Baez, Che Guevara, Jack Kerouac und Allen Ginsberg – sei ihm ziemlich auf den Geist gegangen. Und letztlich sinnlos gewesen: den Konzertbesuchern von heute sagten diese Namen nichts.

„Bob Dylan möchte die Rolle als Gewissen der Nation, ja der ganzen westlichen Welt, die er aufgrund von zwei Alben Anfang der sechziger Jahre aufgebürdet bekam, endlich abgeben“, vermutet „Rolling Stone“-Autor Maik Brueggemeyer. Dieses Resümée wird – mindestens in der Apostelgemeinde im World Wide Web – nicht unwidersprochen bleiben. Denn seinerseits hat Dylan nie strikt das „Gewissen der Nation“ gegeben, weder in seinen ernst- noch schalkhaftesten Phasen.

Oder sagen wir so: der Ball blieb beim Hörer, der Sänger selbst liess alle denkmöglichen Ableitungen, Interpretationen und Relevanzschubladen offen (sieht man von wenigen eindeutigen Manifesten wie etwa „Masters of War“ ab). Das ist ein nicht geringer Teil des nachhaltigen Reizes und der werkimmanenten Sprengkraft der metaphern- und drogenschwangeren, provokant verrätselten, für Popverhältnisse ungemein komplexen und hermeneutischen Poesie Dylans. Die lustvolle Ver- und Zerstörung der Erwartungshaltung seines Publikums zählte immer zu den Trademarks des Singer/Songwriters: vom elektrifizierten Bruch mit der zart besaiteten Folk-Community beim Newport Festival 1965 („Play it fucking loud!“) über die christliche Fundamentalisten-Phase Ende der siebziger Jahre bis zur Veröffentlichung wunderlicher Weihnachtslieder-Alben („Christmas In The Heart“, 2009).

Doch solche Hakenschläge, die Dylan wohl immer auch dem eigenen Klischee entkommen liessen, unterhöhlten nicht den Status des vielleicht einflussreichsten Musikers des 20. Jahrhunderts. Im Gegenteil. Die lächerliche Gewissensfrage „Beatles oder Rolling Stones?“, die heute noch in diversen Foren und Organen der Popkultur durchexeziert wird, lässt sich mit einem lakonischen Verweis auf His Bobness abschmettern. Quasi hochoffiziös. In der „Rolling Stone“-Liste der „500 besten Alben aller Zeiten“ ist Dylan mit zehn Alben vertreten, darunter zwei in den Top Ten (und, ja, die Beatles haben insgesamt elf Alben in diesem papierenen Pantheon geparkt, aber die kleinliche Urheberschaftsdebatte zwischen Lennon- und McCartney-Parteigängern spricht einmal mehr für den grossen Einzelgänger). 2008 erhielt Dylan einen Pulitzer-Sonderpreis. Nur der Literatur-Nobelpreis steht noch aus. Seit Jahren, nein: Jahrzehnten.

Aber auch das dürfte Mr. Zimmerman herzlich egal sein. Wie der weltweit wogende Weihrauchduft zum Siebziger. Anyway: keep on rollin’, steinalter, ewig junger Bob.

Hitzekoller

18. Juli 2007

„In the summertime when the weather is high, you can stretch right up and touch the sky… Have a drink, have a drive, go out and see what you can find“ sangen einst Mungo Jerry. Lange her. Heute wird man mit der Aufzählung grosser Namen und dem Einsatz noch grösserer Marketing-Prügel zu diversen Sommer-Musikspektakeln getrieben. Oder widersetzt sich entschieden der Festivalitis.

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Nein, ich fahre heuer nicht zum „FM4 Frequency“-Festival nach Salzburg. Und vom „Nova Rock“ auf den glühend heissen „Pannonia Fields“ nahe dem burgendländischen Nickelsdorf bin ich nach etwa zwei Stunden gepflegter Fadesse wieder geflüchtet. Ich schätze, ich bin aus dem Alter draussen, in dem man es cool findet, überteuerte Festivalpässe zu sammeln wie andere Panini-Pickerl. Mehr noch: die Spezies „sommerliches Mega-Musikspektakel“ insgesamt geht mir inzwischen kräftig gegen den Strich. Und mächtig auf die Nerven.

Warum? Erstens: die Musik ist längst mehr Beiwerk als Hauptsache. Quantität rules. Die Line-Ups lesen sich wie Pop-Supermarkt-Sonderangebots-Flugzettel, da kracht ungeniert Calexico auf Silbermond, genommen wird, was zu kriegen ist (nur, gottbewahre!, keine österreichischen Bands), und klingen tun die mikroskopisch kleinen Figuren auf der kilometerweit entfernten Bühne je nach Windrichtung und Gigawattstärke einmal nach Seegrotte, dann wieder nach Ballermann. Für sensiblere Ohren fast durchwegs eine Katastrophe.

Zweitens: wer Canettis „Masse und Macht“ gelesen hat, dem graut’s vor derlei Massenaufläufen generell. Man muß schon Herdentier oder Komatrinker oder ein besonders abgebrühter Fan sein, um aus der Masse an Sommer-Festspielen (von Klasse kann nur in Ausnahmefällen die Rede sein, wie etwa, dem Hörensagen nach, beim „State Of The Heart“-Festival in Wiesen oder dem „Temp“-Elektronik-Zeltlager in Greifenstein) ein Quentchen Distinktionsgewinn herauszukitzeln.

Natürlich, für die Veranstalter sind derartige Monsterspektakel fast durchwegs Gelddruckmaschinen. Warum aber ungenierte Abzocke und weitgehende Sinnentleertheit bei der heutigen Generation nicht auf Widerspruch stossen, verwundert denn doch. Ist das „Alternative Mainstream“-Publikum eine durchschnittlich dumpfe Hedonistenversammlung? Oder gehört es mittlerweile zum guten Ton der kulturkreativen Sommerfrische, Zombie-Kirtage wie das „Lovely Days“ oh so lovely zu finden und Kuriosa wie das „Last Day Out Festival“ auf der Burg Clam nicht schlicht als banale Gegenveranstaltung zum traditionellen „Two Days A Week“ zu erkennen?

Nebstbei: warum Jazz-Feste anno 2007 zwar mittlerweile Grossaufgebote alternder Pop-Legenden herbeikarren, aber kaum noch Jazz im Angebot haben, muß man mir auch mal erklären. Und über die Platzhirschenversammlung und Künstlerauswahl beim Donauinselfestival, dem grössten Rummelplatz Europas, könnte ich bei Gelegenheit auch noch ein paar Worte verlieren.

Heimspiel

16. Juni 2006

Fünf aktuelle, empfehlenswerte Pop-Produktionen aus Österreich – abseits von Christl Stürmer & Co.

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MADOPPELT : Plan Leben
(Schwer Records, http://www.madoppelt.com)

Nach Texta, Total Chaos und Schönheitsfehler schien sich eine Lücke aufzutun in Sachen HipHop mit lokalem Zungenschlag. Von Matthias Leitner alias MadoppelT aus Wien-Floridsdorf wird sie virtuos und selbstbewußt gefüllt. „Plan Leben“ ist schon das zweite, absolut hörenswerte Album des Reimeschmieds – und unterscheidet sich angenehm von den testosterongeschwängerten Stupid-Botschaften aus Deutschland.

SOFA SURFERS : Sofa Surfers („Rotes Album“)
(Klein Records, http://www.sofasurfers.net)

Ursprünglich hatte man die Sofa Surfers – nomen est omen – in die Schublade der Wiener Downbeat-Elektroniker rund um Kruder & Dorfmeister gesteckt. Zu Unrecht, denn längst haben sich die Herren Schlögl, Kienzl, Holzgruber und Frisch emanzipiert und mehrfach neu erfunden. Mit dem charismatischen Sänger Mani Obeya (auch zu hören bei „Soundhotel“) hat man ein verbindendes Element für die gehaltvollen, organischen Grooves des Quartetts gefunden. Auch live sind die Sofa Surfers eine Klasse für sich.

JULIA : Sunrise
(monkey./Universal, http://www.julia.co.at)

Von intellektuellen Kritikern wird Rock der Bauart der Wiener Band Julia weniger geschätzt. Vom Publikum dafür umso mehr. Mit viel Eigeninitiative, massiver Live-Präsenz und unbedingtem Willen zum Erfolg hat sich das heimische Metal-/Rock-/EmoCore-Aushängeschild einen beachtlichen Status auch im benachbarten Ausland erkämpft. Jetzt müßte nur noch ein Song wie „Everlasting“ auf Ö3 laufen, und sie würden auch Stars wie Green Day Paroli bieten.

SHY : Zurück am Start
(Wohnzimmer Records, http://www.shy.at)

Daß Combos wie Wir sind Helden, Blumfeld, Tomte und Element of Crime (oder deren burgenländisches Pendant Garish) nicht beiläufig in Mode kamen, sondern deutschsprachige Popmusik mit Hang zu wohlgesetzten Texten auch hierzulande eine Tradition und Meilenstein-Setzer kennt, dafür stehen Shy aus Linz. Nach fünfzehn Jahren und einem halben Dutzend Alben musizieren sie immer noch ein wenig im Schatten, „Zurück am Start“ markiert aber eine neue, wohldosierte Aufbruchsstimmung.

PAROV STELAR : Seven and Storm
(Etage Noir Records, http://www.etagenoir.com)

Ebenfalls aus Linz kommt Marcus Füreder alias Parov Stelar – ein Mann, dessen Sound-Visionen international die Download-Charts erobern. Was daran liegen mag, daß kaum jemand die feingliedrige Verschmelzung von Jazz-, House- und Breakbeat-Elementen so elegante beherrscht wie er. Dabei grenzt sich Füreder durchaus vom Neo-Klischee-Soundtrack der rot-weiß-roten Kaffeehaus-Schule ab. Hansi Langs „Slow Club“ war keine schlechte Erfindung, Parov Stelar ist mit „Seven and Storm“ einfach das bessere Album gelungen.

Lustige Lieder der Traurigkeit und Not

18. Mai 2006

Die „Musiknation Österreich“ feiert sich alljährlich mit ihren aktuellen Pop-Produktionen beim TV-Spektakel „Amadeus“ selbst. Dabei gibt es – trotz Christina Stürmer & Co. – wenig zu jubeln in der heimischen Musik- & Medienlandschaft.

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Elf Kategorien, siebzig nominierte Künstler und Bands. So präsentiert sich der „Amadeus“, Österreichs größter (weil letztlich auch einziger) Branchenpreis in Sachen Musik. „Die Liste der Nominierten beweist eindrucksvoll, wie vielschichtig die österreichische Musikszene in den letzten Jahren geworden ist“, jubelte der ORF. Sieht und horcht man genauer hin, wechselt die Stimmung von Dur nach Moll. Neben den Superstars der Kategorie Madonna, Robbie Williams oder U2, die von den internationalen Konzernen hierzulande nur durchvermarktet werden, bestimmt vor allem der große Bruder Deutschland das Treiben. Seelenwärmer Xavier Naidoo hat seit Jahren auch in der Alpenrepublik ein Dauer-Abonnnement auf vordere Ränge, Tokio Hotel stimulieren Teenies im „Bravo“-Gleichtakt in Oldenburg und Mürzzuschlag zu Kreisch-Orgien – und selbst Christl Stürmer (die in Germanien, etwas reifer positioniert, nur mehr Christina heißen will) hätte ohne den Gewinn des deutschen „Amadeus“-Pendants „Echo“ in den letzten Monaten nicht übermäßig viele Schlagzeilen produziert.

Da auch das kleine Krokodil Schnappi mit seiner gleichnamigen Infantil-Klingeltonfolge als Kandidat für die „Single des Jahres international“ – schnöde Verkaufszahlen sind weithin das einzige Nominierungskriterium – nicht als große Sensation durchgehen kann, ist man geneigt, den heimischen Barden rund um die üblichen Verdächtigen Wolfgang Ambros, Rainhard Fendrich und Hansi Hinterseer erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen. „Lustige Lieder der Traurigkeit und Not“ kann etwa der als Kabarettist verkleidete Anarcho-Dadaist Alf Poier ins Treffen führen. Letztlich bleibt es das trefflichste Statement zur Lage der Pop-Nation. Protagonisten der hoffnungsfrohen Kategorie „Newcomer des Jahres“ etwa haben kurioserweise mehr Flops als Hits zu verbuchen oder wurden von ihren Plattenfirmen rausgeschmissen, ehe noch ihr Name einem breiteren Publikum ansatzweise bekannt war. Gelegentlich hat man als Mitglied der aus mehr als 400 Experten zusammengesetzten Jury den Drang, auf die künstlerisch weit vitalere und spannendere Szene abseits des Major-Musikindustrie-Fliessbands zu verweisen – gibt sich aber ob des eindeutigen Charakters der Veranstaltung als Propagandaplattform für Mainstream-Kommerz bald geschlagen. Als größte Attraktion des „Amadeus“ gilt mithin die anschliessende Party am Küniglberg samt opulentem Buffet.

Zu feiern hat die Branche in Wirklichkeit nicht allzuviel. Bei einem Gesamtumsatz von 230 Millionen Euro ergab sich – nach Jahren weit schärferer Abwärtstrends – 2005 in Österreich ein moderates Minus von zwei Prozent bei CD-Verkäufen. Bei Alben konnte man sogar ein Umsatzplus verbuchen, und der Musikvertrieb per Internet-Download oder Handy legte kräftig zu (von 0,9 Millionen verkaufte Songs auf 4,2 Millionen). Auch daß 22 österreichische Produktionen den Weg unter die Top 100 der Verkaufscharts fanden, wird von der IFPI, dem Dachverband der Major-Tonträgerindustrie, bejubelt. Genauso der Umstand, daß mit einer „Aktion Scharf“eine plakative Anregung für Urheberrechtsdebatten auch abseits des legalistischen Ghettos gelang. Insgesamt aber wohl auch kaum mehr als eine Atempause in einem technologiebedingt drastischen Rückzugsgefecht.

Die Sorgen und Nöte der Musikindustrie und von Urheberrechts-Vertretern wie der AKM, die von Politikern sowie Medien-, Telekommunikations und IT-Konzernen gleichzeitig und global in die Zange genommen werden, sind Durchschnittskonsumenten oft schnurzegal. Wogegen sich aber zunehmender Widerstand regt, ist die Monokultur und Baisse des Angebots in medialer Hinsicht, die so gar nicht der Dichte, Repertoirebreite und Attraktivität des Live-Musikmarktes entspricht. Christina Stürmer etwa ist häufiger in „Eskimo“-Spots im heimischen TV zu sehen als in popaffinen redaktionellen Formaten. Birgit Denk, mit ihrem Album „Laut!“ zweifach nominiert, bleibt denkbar leise in punkto Airplay. Und selbst Ö3-Chef Georg Spatt beklagte sich, daß von seinem Sender entdeckteund geförderte Newcomer wie SheSays, Shiver oder Rising Girl – weithin die einzigen österreichischen Künstler, die Ö3 noch wahrnimmt – keine adäquaten Sendeflächen im ORF-Fernsehen eingeräumt bekämen. Horst Unterholzner, Chef der SonyBMG, spricht öffentlich von einer „desaströsen Situation“, während man beim solchermaßen angegriffenen Leitmedium (das von Künstlern gerne auch als „Leidmedium“ tituliert wird) auf Quoten-Erfolge wie „Starmania“ oder „Dancing Stars“ verweist. Und, eben, den „Amadeus“. Immerhin darf Manuel Ortega, frischgebackener Schwiegersohn der Nation und SonyBMG-Künstler, jetzt auch live beim Branchenfest trällern.

Für Kenner der Szene ergibt sich ein zunehmend schizophrenes Bild: während in Österreichs Kreativ-Szene, nicht zuletzt gefördert durch punktuelle Finanzinjektionenen aus dem Umfeld des Bundeskanzleramtes („Österreichischer Musikfonds“), der Wirtschaftskammer oder der Stadt Wien, Aufbruchsstimmung herrscht und die Quantität und Qualität des aktuellen Pop-Ausstosses gewaltig ist, mangelt es an einem direkten Draht zum Publikum. Ausnahmen bestätigen die Regel. Der ORF scheint eher an Pensionisten-Seditativa á la „Musikantenstadl“ und Befriedigung der Klassik-Hochkultur-Lobby interessiert zu sein als an einem kreativen, seriösen Umgang mit Pop in all seinen Facetten – daß hier demoskopisch die breiteste Zielgruppe zwischen sechs und sechzig Jahren vertreten ist, sollte aber auch den „Amadeus“-Fans am Küniglberg zunehmend zu denken geben.

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