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Danke, Stefan.

29. Juni 2018

Stefan Weber, der als Kopf der Gruppe Drahdiwaberl österreichische Popgeschichte geschrieben hat, ist nicht mehr. Eine Rede als Grunzer in das Graberl.

Weber

Lieber Stefan!

„Der Tod muß abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muß aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.“

Das stammt freilich nicht von Dir oder mir, sondern von Bazon Brock. Der ist auch Künstler. So wie Du es warst. Ich bin kein Künstler geworden, das hast Du bedauert, weil Du es befördert hast – und ich tu es inzwischen auch.

Ich bin ein Verräter geworden. Ein harmloser, beiläufiger, netter Verräter vielleicht, aber ein Verräter. Schon allein, weil ich doch ein paar tröstliche Worte finden will. Nein: finden muss. Stellvertretend für uns alle hier. Uns, die Du verwirrt, allein, kälter, ärmer zurückgelassen hast auf diesem verrückten Planeten.

Nun: einmal ist mir der Papst begegnet – und, sieh’ einer an, er hat nur freundliche Worte über Dich verloren. Freilich war es nicht der richtige Papst, also das Oberhaupt der katholischen Kirche, sondern ein Fake-Papst. Der, der bei den Drahdiwaberl-Shows immer den Papst gespielt hat, oder zumindest einen Erzbischof, mit Bischofsmütze, Ornat, Weihrauchfass und sonstigem Trara. Ich glaube, er hieß Dieter und war Ingenieur. Jedenfalls wohnte er in der Goldschlagstraße im selben Haus wie ich mit vierzehn, zwei Stockwerke drunter. Das hat mich mächtig beeindruckt damals: der Fake-Papst, die Drahdiwaberl-Connection, die hobbyistische Gotteslästerung. Ich glaube, ich habe damals erstmals im Lexikon das Wort „Teufelsaustreibung“ nachgeschlagen.

Du bist daran schuld, Stefan. Und vielem, um nicht zu sagen: fast allem, was danach kam. Es gibt, das sei uns allen Trost, eine schöne, wahre, gute Schuld.

Lieber Stefan, ich will Dich nicht langweilen mit Geschichten aus der Schulzeit. Und ja, ich habe einen Klassenbucheintrag verdient, weil ich heute kein Nacktfoto mitgebracht habe und keine lustige Verkleidung, nur ein paar Erinnerungen. Aber bei Dir hatte man nicht das Gefühl, Du mochtest Deinen Lehrerjob nicht – wie es bei Kollegen wie Ernst Jandl oder Friedrich Polakovics der Fall war. Friede ihrer Seele, aber sie haben das, glaub’ ich, eher als lästigen Job angesehen. Du nicht.

Wobei: beigebracht hast Du uns kaum etwas. Also: im rein handwerklichen Sinn. Ich hab Deine mit Rotring-Tuschestift gezeichneten Figuren ansatzweise imitiert, das war’s. Und die Themen der in Metall geätzten Schaubilder recht faszinierend gefunden: Jack The Ripper, Frauen mit großen Brüsten, monströse Polizisten, Schweinekram en masse.

Visitenkarten Weber

Faszination. Schaudern. Und eine Ahnung des Möglichen. Das war es, was Du mir, uns beigebracht hast. Freilich auch eine Ahnung des Unmöglichen als Komplementärmenge zum Möglichen – aber da hast Du die Grenzen weit, ganz weit hinausgeschoben in Richtung Ermöglichung. Unmöglich schien damals kaum etwas: etwa, dass 13-, 14jährige, noch ganz unschuldige Schülerinnen und Schüler bei Drahdiwaberl-Konzerten auftauchten und dort oft in den ersten Reihen zu finden waren. Und mit staunender, bisweilen schockierter Miene verfolgten, was da auf der Bühne abging. Nie zuvor hatten sie das Wort „Mulatschag“ gehört – was das bei Drahdiwaberl bedeutete, war eine Lektion fürs Leben.

Es war auch Anschauungsunterricht in Sachen Rock’n’Roll. Ein so beiläufiger wie brachialer Crash-Kursus. Das hiess: Chaos auf der Bühne, langhaarige Typen – man munkelte, der Sohn des Finanzministers wäre darunter –, brachiale Lautstärke, ein Freak-Parade sondergleichen. Dazwischen, daneben und darunter ein stoischer Peter Vieweger an der doppelhalsigen Gitarre, Thomas Rabitsch als Keyboard-Vorturner, überhaupt die Rabitsch-Brüder, kuriose Szenegrößen wie Lotte Pawek, Franzi Bilik, Jazz-Gitti, General Guglhupf oder Markus Spiegel als Sparefroh. Ilse Weber in unglaublich erotischem Dressing – und später auch Stefans Tochter Monika. Und und und. Und, ja, Hans Hölzel alias Falco in seiner Sgt. Pepper-Fantasieuniform.

Was da abging, war zweifellos das Offensivste, Ärgste und Obszönste, was sich ein menschliches Gehirn ausdenken konnte. Anarchie pur. Hieronymus Bosch, zum Leben erweckt. Es war das Gehirn des Stefan Weber, in dem dieser grellbunte, bisweilen hoch politische, manchmal nur comichaft überdrehte Kosmos entstanden ist.

Und, das scheidet unseren Helden von den vielen Maulhelden seiner und nachfolgender Generationen: er hat diese Vision auch in die Realität umgesetzt. Zum Leben erweckt. Auf die Bühne gehievt. Drahdiwaberl war eine einzige fleischgewordene, monströse, fiebrige Fantasie. Das fantastische Himmelreich des Stefan Weber. Genährt und immer wieder aufs neue befeuert von der Lust, dem Aktionismus, der Fantasie seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Und natürlich der Faszination des Publikums. Darunter eben die Schüler des BRG Wien 4 Waltergasse.

Zwischenbemerkung: ich glaube, die Schule ist immer noch – was ich so höre – eine liberale, gute. Aber Stefan Weber, Professor für Zeichnen und Handwerken und nebenher Privatdozent in Sachen Bühne, Blut & Beuschel, hätte da heute absehbar die ärgsten Schwierigkeiten. Political Correctness, you know.  Der Zeitgeist der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts war ein anderer, besserer. Weniger Slimfit-Anzüge weit und breit. Mehr positiv Verrückte. Und Leithammel, nein: Anti-Leithammel wie Stefan Weber waren massgeblich schuld daran.

Ich habe das Stichwort Faszination eingebracht: das ist es, was Kunst ausmacht. Und Kultur. Und Rock’n’Roll. Faszination muss geweckt werden, gekitzelt, provoziert. Und darin waren Stefan Weber und Drahdiwaberl große Meister. Deswegen überdauert die Faszination bei denen, die damit einmal angesteckt worden sind, jede Zeitspanne, jede reale Distanz, jede nachfolgende Modebewegung. Einmal Drahdiwaberl-Fan, immer Drahdiwaberl-Fan.

Die Faszination hat sich auch aus einem großen Staunen genährt: da stand ein Berseker auf der Bühne, der gegen die Welt anschrie, Gift und Galle spuckte und gelegentlich auch zu Revolver und Motorsäge griff. Grenzwertiger Theaterdonner! Privat aber, und, ja, auch in der Schule, warst Du, Stefan, der mildeste, freundlichste, netteste Typ, den man sich vorstellen konnte. Ein Mensch durch und durch. Okay: Bart und Haarwuchs standen im wüsten Kontrast dazu. Und manche Episode auf Schulschikursen z.B. verhindert, Dich noch im Nachhinein zum Übermenschen zu stempeln, bestätigt aber nur: nichts Menschliches war Dir, euch, uns fremd. Das wird selbst der ewig renitente Mitschüler Plöschberger bestätigen.

Was ich nun nicht möchte, ist, hier einen exakten Lexikoneintrag zur musikgeschichtlichen Historie und Bedeutung von Drahdiwaberl verlesen. Das sollen andere erledigen. Der Grunzer aus dem Graberl steht sowieso nur einem zu: Stefan Weber selbst. Jede, jeder, der dabei war, weiß, was war. Was wirklich war und was nur Dichtung, Mythos, Paranoia. Es ist auch gar nicht wichtig, das zu trennen und zu sezieren, denn das macht Rock’n’Roll auch aus: das Verschmelzen von Fantasie und Wirklichkeit. Das Ineinander-Fließen von Gut und Böse, von Druck und Widerstand, von Lärm und Stille. Die finale Vermählung von Leben, Krankheit und Tod.

Stefan hätte Bazon Brock auf die Schulter geklopft, aber milde lächelnd sein Eingangs-Zitat abgewandelt.

„Der Tod ist abgeschafft, die verdammte Schweinerei auf der Bühne muß weitergehen. Wer ein Wort dagegen spricht, ist ein Verräter.“

In diesem Sinne: danke Stefan.

Wir verraten Dich nicht.

P.S.: Wer sich mit Worten allein nicht zufrieden geben möchte: http://reinharddavid.at/DRAHDIWABERL/index.html

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Ganz Wien revisited

10. September 2017

Die Aufarbeitung der Populärkultur-Historie Österreichs hat begonnen – ein so schillerndes wie mit Missverständnissen aufgeladenes Thema.  Mit „Ganz Wien“, zu sehen vom 14.09.2017 bis 25.03.2018 im Wien Museum, steht die erste Gesamtschau der Wiener Musikszene seit den 1950er-Jahren zur Besichtigung.

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Allmählich reicht es dann mit dem Austropop. Also: mir ganz persönlich.

Um den Austropop selbst muss man sich keine Sorgen machen – er ist tot. Oder, präziser: er existiert einfach nicht mehr. Es handelt sich um eine abgeschlossene historische Phase der österreichischen Musikgeschichte, deren Hochblüte in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts lag.

Wenn Sie mich nach einem exemplarischen Belegstück jener Ära fragen, würde ich Ihnen das Album „Es lebe der Zentralfriedhof“ von Wolfgang Ambros, erschienen 1975, ans Herz legen. Wie kaum ein zweites Werk vermittelt es die Tristesse jener Zeiten, die seltsam fern und grau erscheinen, in denen aber die Widrigkeiten der Gegenwart schon genetisch festgeschrieben waren. Kaufen Sie, so Sie denn meinem Ratschlag folgen, das Album auf Vinyl (idealerweise gebraucht, keine in Plastik verschweisste Neuauflage) – erstens ist dieses Format erstaunlicherweise wieder in Mode gekommen, zweitens bedarf die Zelebration des „Zentralfriedhofs“ begleitenden Knisterns und Knackens. Schon allein das Cover erzählt uns eine wunderbare Geschichte der Vergänglichkeit.

Warum ich Ihnen jetzt mit Austropop komme? Weil es der weitestverbreitete signifikante Reflex ist, wenn man die demnächst anlaufende Ausstellung „Ganz Wien. Eine Poptour“ (14.09. 2017 bis 25.03.2018, Wien Museum) erwähnt. Als einer von drei Kuratoren, dessen Gestaltungsmacht nicht ganz so tief reichte wie jene der Kolleginnen und Kollegen, ist man notorisch mit dem Satz „Ah, ihr macht’s a Austropop-Schau!“ konfrontiert. Nein! Es handelt sich um eine verdichtete Historie der Wiener Musikszene der letzten sechs Jahrzehnte, dargestellt anhand der wichtigsten Schauplätze, Biotope und Hotspots – insgesamt elf an der Zahl. Eine Topographie der Szenen.

Sie beginnt im Künstlertreff „Strohkoffer“ bald nach dem Zweiten Weltkrieg – Helmut Qualtinger entwickelte dort seine Figur des „Halbwilden“ – und endet am Karlsplatz, einem Nicht-Ort, der aber – man denke an das alljährliche „Popfest“, das dort seit 2010 stattfindet – in der aktuell höchst divergenten Musiklandschaft ein fiktives Epizentrum markiert. Übrigens eines, dem gleich ein grundsätzliches Problem innewohnt: ist vom Stadtrat finanziell unterfütterte Jugend- und Gegenkultur noch glaubwürdig – oder handelt es sich anno 2017 nur mehr um pragmatisch-hedonistische Spiele zum kargen Brot des Alltags? Möglichst „niederschwelllig“, also gleich gratis. Sagen wir mal so: die Polit- und Protestsänger, die anno 1977 im Folkclub Atlantis auftraten, Anarcho-Bands wie Novak’s Kapelle, Chuzpe, Pöbel oder Drahdiwaberl oder auch die physisch kaum mehr fasslichen Protagonisten des „Cloud Rap“ von heute, etwa Yung Hurn, hätten die Frage anders beantwortet als allein mit fröhlicher Dankbarkeit. Und die wirklichen heimischen Pop-Grössen der Gegenwart, allen voran Wanda und Bilderbuch, sind – weil gagentechnisch zu teuer geworden – am Karlsplatz nie aufgetreten.

Andererseits muss man Andreas Mailath-Pokorny und seinem Team dankbar sein, dass sie – selbst aufgewachsen mit Ambros, Danzer, Falco & Co. – erstmals eine eindrückliche, weil kundig kuratierte Leistungsschau und, quasi nebenher, eine systematische Auseinandersetzung mit den Wurzeln der heimischen Szene ermöglichen. Hier ist nicht nur das Wien Museum ein Magnet – man hat längst eine Mundharmonika von Wolfgang Ambros, einen Helmut Lang-Anzug von Falco oder die speckige Lederjacke von Marco Michael Wanda im Depot –, auch die Wienbibliothek im Rathaus tut sich seit geraumer Zeit durch liebevolle Sammeltätigkeit zweidimensionaler Objekte (Fotos, Plakate, Flyer, Notenblätter u.ä.) hervor, denen aktuell die Ausstellung „Blitzlichter – das popkulturelle Archiv der Wienbibliothek“ (bis 02.02.2018) gewidmet ist. Ein grundlegendes Konvolut sei in diesem Kontext ebenfalls genannt: „WienPop“, 2013 im Verlag der Stadtzeitung Falter erschienen – das aufwändig recherchierte Kompendium wäre ohne Rückendeckung durch die genannten Institutionen wohl nie erschienen. Auch Ö1 ist in den Forschungskomplex eingestiegen und hält ein behende wachsendes „Radiokolleg“-Beitragsarchiv („Lexikon der österreichischen Popmusik“) online vorrätig.

Und, ja, es geht um weit mehr als Austropop. Allein die ewige Gleichsetzung der historischen Trademark – die ja am ehesten noch deutschsprachigen Dialektgesang als Klammer kennt – mit dem gesamten Produktivausstoß unterschiedlichster Künstlerinnen und Künstler, Bands und Projekte über Jahrzehnte hinweg ist ein klebriges Mißverständnis. Freilich gibt es Retro-Kapellen, die ästhetisch ungebrochen Peter Cornelius anhimmeln, und vermeintliche „Neo-Austropop“-Stars wie Voodoo Jürgens, Ernst Molden oder Der Nino aus Wien. Aber, das dürfen Sie mir getrost glauben: sie machen vielleicht moderne Wienerlieder, Metropolen-Blues des 21. Jahrhunderts oder absonderliche André Heller-Verwurschtungen, aber gewiss keinen Austropop.

Sollten Sie sich in die Ausstellung verirren: Rainhard Fendrich kommt darin nicht vor (oder wenn, dann nur ganz am Rande); er ist mit einem eigenen Musical in Gehweite des Wienmuseums eh gut bedient. Das ist übrigens die härteste Übung beim Machen einer Ausstellung: wen und was lasse ich weg und warum? Denn schon höre ich, einmal mehr, den Ruf von – individuell oft hoch interessanten – Nischenexistenzen und Detailfanatikern, deren Drang nach Vollständigkeit und Widerspiegelung des künstlerischen Egos nicht auf Deckungsgleichheit mit einer höchst überschaubaren Ausstellungsfläche zu bringen ist. Es sollte sich aber auf mehr als vierzig Audio-Video-Stationen, in ein paar hundert Objekten und einem opulenten Begleitprogramm doch einiges finden lassen, was mit dem eigenen Leben und Schaffen Berührungspunkte hat.

Mein persönliches Lieblingsobjekt ist, nebstbei, das mit Abstand grösste der Ausstellung: das „Original Bedroom Rockers“-Studio, das Peter Kruder – die eine Hälfte von Kruder & Dorfmeister – einst in der Grundsteingasse 60 in Wien-Ottakring aufgebaut hatte. Ein spiegelgleiches Konvolut von Bandmaschinen, Samplern, Sequencern und Synthesizern, frühen Computern und billigem Trash-Equipment war in der Goldegggasse im vierten Wiener Gemeindebezirk zu finden, wo Richard Dorfmeister residierte. Mit diesem Maschinenpark entstand die „G-Stoned EP“ (die mit dem Simon & Garfunkel-Cover, Katalognummer 001 auf G-Stone Recordings), die 1993 zum beliebtesten Exportartikel „made in Austria“ für Musikliebhaber rund um den Globus werden sollte.

Wenn man Glück hat und sich rechtzeitig anmeldet, erklärt einem Peter Kruder höchstpersönlich, an welchen Knöpfchen er damals gedreht hat, damit es klappte mit der Weltberühmheit eben nicht nur in Wien.

 

Kommunizierende Röhren

5. März 2016

Anlässlich der Debatte um heimische Klänge auf Ö3: wie wichtig ist anno 2016 Radio-Airplay für die lokale Musikszene? Eine Nachforschung. 

Ö3 Wanda

Die aktuelle Erfolgswelle österreichischer Pop-Acts – von Wanda und Bilderbuch über Seiler & Speer und Conchita Wurst bis zu Parov Stelar – ist nicht Ö3 zu verdanken. Punkt.

Denn: der mit Abstand wichtigste Radiosender des Landes, einstmals Garant für breite Publikumswirksamkeit, hat sich über Jahre hinweg schrittweise von einem seiner öffentlich-rechtlichen Kernaufträge zurückgezogen: der Widerspiegelung des populären, zeitgenössischen, kommerziellen Musikschaffens inner- und ausserhalb der rot-weiß-roten „Musiknation“ (für den Rest sind Ö1, FM4 und Ö-Regional zuständig). Erst eine Initiative der SP-Kultursprecherin Elisabeth Hakel veranlasste im Vorjahr die ORF-Geschäftsführung, den Kurs der „Cashcow“ Ö3 wieder ansatzweise zu korrigieren – seither gilt eine freiwillige Selbstverpflichtung, die dem Sender eine Austro-Quote von mindestens 15 Prozent auferlegt. Im weltweiten Vergleich befindet man sich damit im untersten Drittel nationalen Airplay-Anteils.

Ö3 erfüllt diese Vorgabe mit Ach und Krach: die Titelrotation ist erstaunlich eng (von 200 im August 2015 gespielten Songs erfüllten schon 11 mehr als die Hälfte der Quote), die Entdeckungsfreude der Musikredaktion ungebrochen schaumgebremst, ein beträchtlicher Anteil der Kompositionen „made in Austria“ wird in die Nacht verfrachtet. Eine wesentliche Verbesserung der vielfach beklagten Situation tönt anders. Dennoch ist ein Paradigmenwandel eingetreten. Die heimische Szene hat zu einem neuen Selbstbewusstsein gefunden, das sich ökonomisch, kulturpolitisch und medial bemerkbar macht – der vormals gern gebrauchte Fingerzeig auf die „Austropop-Raunzer von gestern“ gilt nicht mehr. Zumal Rainhard Fendrich, Peter Cornelius, Papermoon & Co. mit ihren gut abgehangenen Evergreens einen bequemen Alterswohnsitz in den Regionalsendern gefunden haben.

Eitel Wonne also allseits? Nein. Denn einerseits beklagt Ö3-Chef Georg Spatt signifikante Reichweitenverluste (österreichweit von 36,4 auf 34,9 Prozent im aktuellen Radiotest) und schreibt sie ungeniert der ungeliebten Austro-Quote zu. Andererseits erntet er damit Empörung seitens jener Künstlerinnen, Künstler, Medien- und Musikexperten, die das als durchschaubaren Schachzug in einer nach strikt marktorientierten (und eventuell tendenziell überholten) Regeln geführten Formatradio-Konkurrenzschlacht werten. Sogar die raketengleich zu Popularität gelangte, von Ö3, FM4 und Radio Wien gleichermassen hofierte Wiener Band Wanda gab sich nach Spatts Wortmeldung spöttisch: „Blödsinn, wir retten das Radio.“

Nun: es ist hoch an der Zeit, diesen verunglückten und verkrampften Antagonismus aufzubrechen. Rundfunk und Popkultur verhalten sich seit jeher wie kommunizierende Röhren. Die US-dominierte Tonträger- und Radioindustrie haben gemeinsame Wurzeln, ihre Programme und Produkte nähren sich unmittelbar von der Kreativität der Kulturschaffenden, europäische Radiostationen (zumal die öffentlich-rechtlichen) haben sich – ob mit oder ohne Quote – regionaler Diversität und selbstverständlicher kultureller Repräsentanz verschrieben. Und hierzulande? Die Hochblüte der heimischen Dialektwelle in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wäre ohne Durchlauferhitzer Ö3 so nicht möglich gewesen.

Ist aber Airplay – sprich: Radio-Präsenz – überhaupt noch der essentielle Faktor im Pop-Geschäft des 21. Jahrhunderts? Immerhin hat sich das Rad technologisch deutlich weitergedreht: Streaming- und Downloadplattformen, Internet-Stationen mit engster Genre-Formatierung, Social Media und personalisierte Playlists sind heute weit verbreitet. In der jugendlichen Zielgruppe untergraben sie zunehmend die Dominanz des traditionellen Tagesbegleiters und Nebenbei-Mediums. Das Selbstverständnis selbstbewusster Radiomacher früherer Jahre – „Wir machen Hits!“ – wurde längst zugunsten der pragmatisch-defensiven Position „Wir machen keine Hits, wir spielen sie!“ aufgegeben. Bei Ö3 wurde ein zynisches „Wir haben keine Hits (aus Österreich), aber spielen sie trotzdem zu Tode“ draus.

Seiler & Speer, aktuell die verkaufsträchtigste Band des Landes, konnte auf Millionen YouTube-Klicks verweisen, bevor sie in die langwierigen Überlegungen hiesiger Musikredakteure aufgenommen wurden. Seit jenem Zeitpunkt im Herbst des vergangenen Jahres rotiert das Duo auf Ö3 in einer Häufigkeit, die selbst deklarierte Fans irritiert. Und jene, die auf den Wiener Dialekt-Schmäh – der lange Jahre als absolutes „No Go“ für landesweiten Radioerfolg galt – weniger abfahren, mittlerweile regelrecht abstösst. Ein kontraproduktives Ergebnis, gleichwohl negativ für das Medium und die Botschaft.

Generell trägt die sklavisch vorgegebene Wiederholung der ewig gleichen Musikmixtur im ewig gleichen Stundentakt, wenn man dem Substrat unzähliger Hörermeinungen, Postings und Umfragen Gehör schenkt, mindestens so stark zum langsamen Abstieg des Platzhirschen bei wie die hinausgezögerte Entscheidung, ob man sich eher einer älteren oder jüngeren Zielgruppe zuwenden will. Im Spagat zwischen „KroneHit“-Trivialpop und Siebziger-Jahre-Rockklassikern zerreisst es merkbar die Identität von Ö3. Und auch die Managements von Helene Fischer, Andreas Gabalier, Sarah Connor & Co. entwickeln Begehrlichkeiten, neue Verbreitungswege zu erschliessen – viele, vorrangig deutsche Pop- und HipHop-Interpreten streifen mittlerweile nicht ungern (oder jedenfalls nicht unabsichtlich) am Schlager-Terrain an. Bei dieser Zielgruppe steht das Radio ja nachwievor hoch im Kurs.

In diesem Kontext melden sich gern auch wortgewaltige Apostel des Wahren, Guten, Schönen zu Wort, die postulieren, nachhaltige Publikums- und Kritikerresonanz wären auch ohne Mainstream-Radio erzielbar. Und Ö3-Airplay sowieso uncool, imageschädigend, entbehrlich. Das Netz also als ultima ratio, als zeitgemässe Alternative und übermächtiger Öffentlichkeits-Hebel? Der Underground als natürliches Biotop der Off-Szene? Und Kunst strikt getrennt von kommerziellem Erfolg? So betrachtet könnten sich die erbittert ringenden Gegner Musikindustrie (die ja in Österreich vorrangig als Import-Filiale der Majors existiert), Indie-Szene und Formatradio entspannt voneinander lösen. Dass sie es nicht tun, sollte ein Beleg dafür sein, dass der Faktor Airplay nachwievor ein essentieller ist.

Der Wesensunterschied des linearen, non-partizipativen Mediums Rundfunk ist im direkten Vergleich zu On Demand-Plattformen wie YouTube, Spotify, Apple Music oder Deezer augen- und ohrenfällig: bei letzteren köchelt, wenn sich der Nutzer nicht auf maschinelle „Discover“-Empfehlungen oder spezielle Playlists einlässt, immer dieselbe Suppe am Herd. Bei Radioprogrammen, die Musik nicht nur als notwendige Fugenmasse zwischen Werbung, Nachrichten, Verkehrsfunk und Comedy-Elementen einsetzen, kommt es auch für Nebenbei-Hörer immer wieder zu positiven Überraschungen durch Konfrontation mit neuen, unbekannten, unvermutet gefälligen Musikstücken. Radio wirkt – gerade bei einem kulturell nur durchschnittlich interessierten Breitenpublikum, das aber für unmittelbare Emotionalisierung offen ist (was es ja durch Druck auf die „On“-Taste rituell signalisiert). Für Künstler und ihre professionelle Infrastruktur ist die Ummünzung und  Fortschreibung des banalen, aber wirkungsmächtigen Faktors Bekanntheit bei Live-Engagements, Auftrittsgagen und Folgeaufträgen von (über)lebensnotwendiger Wichtigkeit.

Das österreichische Musik-Informationszentrum MICA hat im Jahr 2014 eine ausführliche Untersuchung zum Thema Airplay unternommen. Kurzgefasst liest sie sich so: der unmittelbare finanzielle Ertrag aus Radioeinsätzen via AKM und AustroMechana ist überschaubar, trägt aber in einer funktionierenden Verwertungskette zu einer soliden Finanzierungsbasis für Autoren, Interpreten, Labels und Verlage bei. In punkto Öffentlichkeitswirkung ist Airplay aber kaum substituierbar. „Um kommerziell wirklich Erfolg zu haben“, resümiert MICA-Autor Markus Deisenberger (der dieser Tage auch eine nüchterne, lesenswerte Analyse der Radio-Debatte vorlegte), „führt in Österreich kein Weg an Ö3 vorbei.“

Eines der wesentlichen Probleme sei der Flaschenhals, den der Sender durch sein restriktives Formatradio-Selbstverständnis bilde: FM4 und Ö1 schlügen sich wacker, was die Aufmerksamkeit für neue Töne aus Österreich betrifft, erreichten aber nur einstellige Prozentanteile des potentiellen Publikums. Ö3 könne dagegen auf täglich rund 2,8 Millionen Hörer/innen bauen – die durchaus Interesse an neuen Namen und Gesichtern hätten. Jüngstes Beispiel: die seitens des ORF crossmedial konsequent forcierte Songcontest-Interpretin Zoe.

„Social Media ist beim Entdecken neuer Künstler am wichtigsten“, meint Sony Music-Spitzenmanager Philip Ginthör im aktuellen „Wired Magazin“. „An zweiter Stelle folgt das Radio. Die Bedeutung dieses Mediums hat wieder zugenommen, auch deshalb, weil wir eine enge Verzahnung erleben mit dem, was online passiert. Wenn Menschen Musik übers Radio kennenlernen, werden Songs gezielt gesucht – über Shazam, über Streaming-Dienste. Aber auch umgekehrt: Radioredakteure informieren sich sehr genau, was im Netz passiert, greifen Trends auf und bringen sie zu den analogen Medien zurück.“  Es gilt die selbstverständliche Regel: jeder Redakteur im Ausland, egal ob Radio, TV, Print oder Online, wird zuvorderst recherchieren, wie sich ein Song oder ein Album im Heimatmarkt schlägt.

„Ein gescheites Radio hilft dabei mit, Künstler aufzubauen und wartet nicht, bis sie im Ausland Erfolg haben“, ergänzt der WKÖ-Experte Werner Müller. „Das ist Wertschöpfungsexport österreichischer Kreativität und auch ökonomisch unklug.“ Ähnlich argumentiert AKM-Vizepräsident Peter Vieweger: „Man muss nur den Blick nach Deutschland werfen. Dort funktioniert es mit dem Einsatz lokaler Produktionen in lokalen und überregionalen Radios mittlerweile hervorragend. Der Erfolg ist evident. Und die Investitionsbasis für weitere Steigerungen, sowohl künstlerisch als auch kommerziell, gegeben. Es ist unverständlich, dass Österreich nicht rasch gleichzieht.“

Persönliches Fazit: es ist, wie so oft, weniger eine Frage des Könnens als eine Frage des Wollens. An Talent, Kreativität und Knowhow mangelt es jedenfalls nicht hierzulande. Es müssen ja auch nicht immer deutschsprachige oder gar dialektgefärbte Songs sein … Man höre in die neuesten Produktionen von Elly V. (ja, das war die herausstechende Zweite in der ORF-Songcontest-Vorauswahl), Robb, Avec, Der Nino aus WienFarewell Dear Ghost, Fijuka, Viech, Polkov, Gin Ga oder Leyya hinein, um nur ein paar zu nennen… Äther frei!

Ol‘ Blue Eyes

12. Dezember 2015

Die Medien-Festspiele zum 100. Geburtstag von Frank Sinatra rufen unzählige Erinnerungen wach. Ein Eintrag zum Nachhall des bedeutendsten Entertainers des 20. Jahrhunderts.

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Den Versuch ist es wert: welche Bilder, Assoziationen, Wissensbruchstücke werden zutage gefördert, wenn wir einmal nicht die grosse Bedeutungsmaschine Google anwerfen, sondern unsere eigene Erinnerung? Ein rundes Jubiläum – in diesem Fall der hundertste Geburtstag – einer Ikone der Populärkultur ist ein probater Aufhänger. Wer war Francis Albert Sinatra, genannt Frank? Und was verkörpert er anno 2015, siebzehn Jahre nach seinem Tod?

Noch nicht verblasst ist das Bild des US-Superstars mit Anzug, Krawatte und – lange Zeit ein Markenzeichen – Hut, ein soigniertes Lächeln als ironische Note ultimativer bürgerlicher Eleganz und Strahlkraft. Dann natürlich jene Top-Hits (unter mehr als 1300 Songs, die Sinatra im Lauf seiner Karriere einspielte), die dem Begriff „Evergreen“ mehr als gerecht werden (und vom Sänger oft eher geringgeschätzt wurden), darunter „Strangers In The Night“, „My Way“ oder „New York, New York“. Kollaborationen wie etwa jene mit Sammy Davis jr. und Dean Martin – gemeinhin als „The Rat Pack“ etikettiert –, die auch farbenprächtige Assoziationen mit Whiskygelagen, unzähligen Affären und der Showwelt von Las Vegas zeugen. Und natürlich die ewig hinter vorgehaltener Hand vorgetragenen vermutlichen Querverbindungen zur Mafia, die bis heute nicht restlos geklärt sind.

Das Teenager-Idol der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hingegen ist, wenn überhaupt, nur in den USA noch nicht gänzlich der Erinnerung entschwunden. Hierzulande ging Sinatras Aufstieg Hand in Hand mit der Nachkriegs-Dominanz der amerikanischen Kultur, der im Sturmlauf eine Invasion der Herzen gelang. Es gibt ein Leben vor dem Tod, war ihre Botschaft, und Coca Cola, Elvis Presley und Frank Sinatra ihre Sendboten. „Der liberal denkende, radikale Individualist verachtete Konformismus und Kommerzdenken“, postulierten die Veranstalter des „Sinatra Tributes“ in der Wiener Staatsoper im Juli dieses Jahres. „Tragisch, dass er wegen seiner Beliebtheit beim Establishment in seinen letzten Jahren als Symbolfigur des Geldadels missinterpretiert wurde.“

Tatsächlich kann sich Frank Sinatra wider die Memorabilia-Kitsch-Industrie nicht mehr zur Wehr setzen. Der Sohn italienischer Einwanderer, aufgewachsen am Hudson River im unmondänen Hoboken gleich gegenüber Manhattan, hatte sein Erweckungserlebnis 1933 beim Besuch eines Konzerts von Bing Crosby: der schmächtige High School-Abbrecher (O-Ton des Schulrektors: „Keine wie immer geartete Begabung“), Werftarbeiter und zeitweilige Sportjournalist wollte danach raschest in die höchsten Entertainment-Zirkel aufsteigen. Was ihm zielstrebig gelang. Die ersten Kassenschlager mit den Big Bands von Harry James und Tommy Dorsey, regelmässige Sendungen in der damals mit der Musikindustrie eng verflochtenen Radiolandschaft und wachsende Ambitionen als Filmschauspieler (etwa in Fred Zinnemanns „Verdammt in alle Ewigkeit“), die auch ein Zwischen-Tief wieder geradebogen, halfen kräftig nach.

Ab den sechziger Jahren galt Sinatra als der US-Top-Entertainer schlechthin, gründete seine eigene Plattenfirma Reprise, die er mit exorbitantem Gewinn an Warner Music weiterverkaufte und verkündete 1971 – nach dem Gewinn aller einschlägigen Grammys, Oscars und obligaten Ehrenmedaillen – erstmals seinen Bühnenabschied. Den er knapp zwei Jahre später widerrief. Gerade die siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts sollten den Grandsigneur des Glitter-Business kommerziell die Ernte des Lebens einfahren lassen. Dreimal war Sinatra auch live in Wien zu hören, ein Auftritt vor 175.000 Zuschauern in Rio de Janeiro ging ins Guiness Buch der Rekorde ein. „Er könnte den Menschen das Telefonbuch vorsingen“, soll Sangeskollegin Dionne Warwick einmal angemerkt haben, „und es würde ihnen immer noch gefallen.“

Letztlich ist es das, was Sinatras Bedeutung bis heute ausmacht: die Individualität, sprich: die Einzigartigkeit interpretatorischer Anstrengung in einem Mainstream der Mittelmässigkeit zu verdeutlichen. Und dabei ungeheuerlich leichtfüssig und unverschwitzt zu wirken, im besten Sinn also: cool. Dieses Talent beeinflusste unzählige Künstler, von Ella Fitzgerald bis Miles Davis. „Er war ein Perfektionist“, weiss der Konzertveranstalter, ehemalige ORF-Manager und Buchautor („Frank Sinatra und seine Zeit“) Johannes Kunz. „Er hat nichts dem Zufall überlassen, das kann man auch den Aussagen von Musikern entnehmen, mit denen er gearbeitet hat, wie etwa Count Basie oder Quincy Jones.“

Sinatra starb nach einem – und man kann deklamieren, dass es sich hier nicht um eine Floskel handelt – künstlerisch, kommerziell und karrieretechnisch höchst erfüllten Leben am 14. Mai 1998 an den Folgen eines Herzinfarkts. Was wird bleiben von dem Entertainment-Titan des 20. Jahrhunderts? Ein rauschender Festakt. Ein in Details ambivalentes Bild. Und ein – möglicherweise ewigwährender – Nachhall eines Menschen, der die Nacht, in der sich die Gesetze des Tages auflösen, zu besingen wusste wie kein Zweiter.

Wir spielen Leben

24. April 2015

Anmerkungen zu einem bis dato unveröffentlichten Live-Album von Hansi Lang.

LANG Cover

Wir schreiben das Jahr 2015, und es liegt eine Stimmung in der Luft wie zuletzt Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Eine Sehnsucht, eine fiebrige Aufbruchsstimmung, eine Erwartung an kommende Dinge.

Wanda, eine Wiener Formation mit lässiger Scheiss-mich-nix-Attitüde, ist die Band der Saison. Gemeinsam mit seelenverwandten Gruppen wie Bilderbuch, Kreisky oder Ja, Panik rockt man die Feuilletons und Radiostationen auch jenseits der Grenzen. Alte Helden wie Minisex oder Chuzpe veröffentlichen nach langen Pausen wieder Platten (und sie klingen frisch und hungrig!), neue Heroen wie Ernst Molden und Der Nino aus Wien tun sich zusammen, um die Austropop-Vergangenheit durch den Fleischwolf zu drehen. Bei Generationentreffen zwischen Ö3- und FM4-Apologeten wird gemeinsam „Der schönste Mann von Wien“ besungen. Und das Selbstbewusstsein dieser Stadt schwingt sich zu neuen, lichten Höhen empor.

Und dann fällt – wie zufällig – der Name Hansi Lang. In einem Interview mit Wanda, wo die Band nach ihren Einflüssen und Vorbildern gefragt wird. Zunächst kommt man auf Falco. „Ich glaube, das ist eine uralte Sehnsucht nach Mythen und nach Legenden, die auch immer sehr aufschlussreich sind“, wird Marco Michael Wanda zitiert. „Wenn man es will, findet man sich selbst in solch ausformulierten Biographien wieder. Deswegen fasziniert Menschen immer solch ein Mythos um eine Person. Ich glaube, dass das die Sehnsucht des Publikums ist, nach einer deutschsprachigen Musik, die intelligent, aber auch ehrlich ist. Uns schmeichelt der Vergleich.“ Und dann fällt der Name Hansi Lang. Und es ist kein Zufall, dass hier der Hans auf den Hans trifft und beide zusammen auf einen heutigen Bewunderer.

Schnitt. „Wir haben immer gewusst, es wird der Hansi.“ Jetzt spricht Thomas Rabitsch, langjähriger Freund und musikalischer Wegbegleiter von Lang wie auch von Falco. „Aber es ist der andere Hansi geworden. Wir haben wirklich geglaubt: Wenn einer ein Riesenstar wird, dann ist das der Hansi Lang. Dass das der andere Hans wurde, Falco, das kam schon sehr unerwartet.“

Nun: das ist eine sehr offene, fast ernüchternde Aussage (zu finden im Buch „WienPop. Fünf Jahrzehnte Musikgeschichte, erzählt von 130 Protagonisten.“, erschienen im Falter Verlag). Aber sie erzählt uns – auch – etwas vom Mythos und der Strahlkraft und der Person Hansi Langs. Und der Sehnsucht des Publikums nach einer deutschsprachigen Musik, die intelligent, aber auch ehrlich ist. Hier ist sie zu finden. In den besten Live-Dokumenten – abseits der bekannten Studio-Alben von Hansi Lang –, die aufzutreiben waren.

1982, im „Metropol“, da sind die Aufbruchsstimmung, der Furor, die Gier nach Neuem geradezu greifbar. Zwar huldigt man mit „Love Me Tender“ ol’ Elvis (eine nicht unüberraschende Einlage!), aber es ist eine halb ergriffene, halb ironische Remineszenz an die Frühzeit des Rock’n’Roll. 1997, im „Rockhaus“ (das heute gar nicht mehr existiert), dominieren die Reife und Abgeklärtheit eines Musikers, der alles gesehen hatte – bis auf eine durchschlagende Weltkarriere á la Falco. Was ihm in den Augen seiner Bewunderer nichts von seinem Nimbus nahm. Und nimmt.

„Live Is Life“ sang eine andere österreichische Band, und sie landete damit – eher zufällig – einen Welterfolg. La la lala la. Das rücksichtslose Sich-Exponieren – rücksichtslos vor allem auch gegenüber dem eigenen Ich – zum Imperativ zu erklären und das Leben zum Gesamtkunstwerk, das schaffen dagegen nur wahre Künstlernaturen. 2015 wäre Hansi Lang 60 Jahre alt geworden. Dass er dieses Alter nicht erreicht hat, ist einer schicksalshaften Konsequenz geschuldet, die er mit seinem Freund und Musikerkollegen Hans Hölzel teilt.

Keine Angst: einer tiefergreifenden Mythologisierung bedarf es nicht. Lang-Fans wissen, was sie erwarten dürfen. Und was sie erwartet. Biografische Daten und weiterführende Details hält der digitale Kosmos parat. Noch mehr Wortbeiwerk hemmt nur den Genuß dieser Tondoumente. Deren Songs, deren Kraft und deren Dringlichkeit unglaublich heutig ist. Und unfassbar erotisch.

„Falco schläft mit uns“, sagen Wanda. Aber Hansi Lang – der sanftere, der lustvollere, der verbindlichere Liebhaber – wartet schon. Wir spielen Leben.

HANSI LANG : SPIELE LEBEN / LIVE
CD + DVD / Vinyl + DVD
VÖ: Frühjahr 2015 bei Schallter/monkey.

Regn en Wien

15. Januar 2015

Ernst Molden zählt zu den produktivsten Künstlern, die wir kennen. Und die, die ihn als Künstler kennen und, mehr noch, schätzen – also das, was man landläufig Fans nennt – zählen zu den treuesten Anhängern seiner Produktivität.

Molden Cover

Einige unter uns mögen sich bisweilen ein wenig gewundert haben, wie häufig dieser Mann in und um Wien herum bis hinauf nach München, Hamburg und Berlin auf der Bühne stehen kann, ohne an Anziehungskraft zu verlieren. Sich zu wiederholen. Oder sein Publikum gar zu langweilen.

Das mag auch daran liegen, dass Ernst Molden ein Meister der Kombinationen und Variationen ist – mal tritt er allein auf, mal zu viert, manchmal mit namhaften Mitstreiter(inn)en wie Willi Resetarits, Ursula Strauss, Hans Theessink oder dem Nino aus Wien, dann wieder mit weithin unbekannten Newcomern oder hiesigen Szene-Größen. Aber letztlich ist das nur ein Aspekt der Anziehungskraft eines Singer/Songwriters, der zum aktuellen Boom lokalen Musikschaffens Wesentliches beigetragen hat. Den virtuosen Umgang mit der Umgangssprache etwa, die legere Einbürgerung internationaler Vorbilder, die menschliche Tiefe, Reife und Wärme, die das gesamte Oeuvre Ernst Moldens wie ein roter Faden durchzieht.

Wir – und damit meine ich das Team des Labels monkey. – begleiten diesen Prozess seit vielen Jahren. Mehr als neun sind es mittlerweile. Seit den „Bubenliedern“, die auch für den Urheber selbst so etwas wie den Beginn einer neuen Zeitrechnung bedeuteten. Seither sind bei uns sieben Molden-Alben erschienen und einige, an denen er so oder so beteiligt war. Fast jedes Jahr also ein neues Opus. Zuletzt das superbe Album „Ho Rugg“, gemeinsam mit Resetarits/Soyka/Wirth. Wir scheuen uns nicht, diese Geschichte eine Erfolgsstory zu nennen. Selten war der Austausch mit einem Künstler intensiver, kreativer, ergiebiger.

Und trotzdem taten und tun wir uns schwer, wenn wir von Ungeduldigen, Unkundigen und Molden-Novizen gefragt werden, welches Album dieses Mannes wir denn nun besonders empfehlen könnten. Was man denn quasi zum Einstieg hören solle. Kurzum: welches das Beste sei. Das ist natürlich eine höchst unsinnige Frage – weil sie nur strikt subjektiv beantwortet werden kann. Wir schätzen die lässige Abgeklärtheit von „Es Lem“ genauso wie den vulgären Witz von „Häuserl am Oasch“, die dunkle Poesie von „Ohne Di“ mindestens so wie die enorme Dichte von „Ho Rugg“. Und da gäbe es einiges mehr zu nennen.

Es war also hoch an der Zeit, ein inoffizielles Best Of-Album zusammenzustellen. „A Young Person’s Guide To Ernst Molden“, sozusagen. Und die Auswahl sollte jemand treffen, der sowohl journalistische Distanz wie auch künstlerische Seelenverwandschaft unter einen Hut zu bringen vermag.

Da drängt sich einer förmlich auf, der Moldens Werdegang in etwa so lange begleitet wie seine Label-Familie: Robert Rotifer. Und er hat eingeschlagen. Wir haben nicht eine Sekunde lang diskutiert über Rotifers Song-Auswahl (sie geht zurück bis „Haus des Meeres“ von 2005 und enthält mit „schwoazze dramwei“ auch ein bislang unveröffentlichtes Stück, insgesamt sind es 24 Songs), und wir haben keinen Beistrich am begleitenden Text geändert. Es passt, wie es ist. Und es ist so, dass alles passt. An allererster Stelle für Ernst Molden selbst. Und das tut es.

Ursprünglich sollte diese Zusammenstellung – „Regn en Wien“ – nur auf Vinyl erscheinen. Dann haben wir den Gedanken als arrogante Selbstbeschränkung verworfen. So sehr wir die knisternde Intimität und Audio-Qualität von Schallplatten lieben: das Auto etwa ist einer der famosesten persönlichen Konzertpaläste, die wir kennen. Und noch besitzen die allermeisten Vehikel einen CD-Schlitz. Egal also, ob Sie analoge oder digitale Signale schätzen (oder pragmatisch beides zulassen): es sind die Songs, in genau dieser Reihenfolge und selektiven Signifikanz, die die Botschaft ausmachen.

Eine Botschaft, die da lautet: mehr Molden geht nicht. Jedenfalls nicht, bis das nächste Dezennium voll ist.

„Regn en Wien“ ist auf CD bereits erschienen, Vinyl (DoLP) folgt am 23.01.2015.

Das letzte Lied

1. November 2014

Die Frage nach dem letzten Lied ist eine Zumutung. Aber eine positive Zumutung: sie versucht, das Leben über den Tod hinaus aufzuladen. Mit Musik.

Los Días de Muertos_x

Die Frage nach dem letzten Lied ist eine Zumutung. Denn „alles Fleisch ist wie Gras“ und man ist, bei allem Respekt, geneigt, augenblicklich eine krachende, knisternde, kratzende Vinyl-Ausgabe des Deutschen Requiems von Brahms auf den Servierteller zu legen (oder gar Mozart, The Doors, John Coltrane oder André Heller, Lautstärkeregler auf Anschlag und Gewehr bei Fuß), um die Sache abzubiegen.

Ein für allemal: Die Endlichkeit existiert jenseits unserer Begrifflichkeit. Finalmente. Setzen wir dem impliziten Pathos des launigen Frage-Antwort-Spiels also etwas zutiefst Vergängliches entgegen: eine Facebook-Eintragung. Denn eine solche war es, die mich auf die Idee brachte, die Frage andersrum zu stellen: welches Lied wird kein letztes Mal erleben? Also: überdauern. Mich überdauern. Uns überdauern. Die Zeiten überdauern. Das Ende der Welt überdauern. Das Ende aller Fragen überdauern. Das Ende der Musik überdauern.

Sie merken: wir landen schnurstracks im Irrenhaus. Was meint „Überdauern“ eigentlich? Gilt nicht die grob banale, zugleich verstörend weise Erkenntnis des vielleicht grössten Visionärs der letzten hundert Jahre (den man gemeinhin nur als verschrobenen Science Fiction-Autor kennt), Philip K. Dick: „Everything in life is just for a while“? Gilt dies nicht erst recht für die Instant-Glückspillen der Populärkultur, die per definitionem nicht auf Dauerhaftigkeit und Zeitlosigkeit ausgelegt sind?

Warum (und wie und wo und wozu, gemeint ist: zu welcher Tonspur) also ernstlich sinnieren über das Dies- und Jenseits, über die Existenz an sich, über Ewigkeit, Unendlichkeit, Unsterblichkeit? Und hätten dann das vageste Gefühl, die leiseste Ahnung, das absurdeste Abstraktum nicht unbedingten Vortritt gegenüber den konkreten Ausformungen unseres Daseins? Meinetwegen sogar Geistesgeburten von Engelbert Humperdinck. Sie dürfen frei entscheiden, ob damit der Spätromantiker des 19. Jahrhunderts oder der noch lebende britische Schlagersänger gleichen Namens gemeint ist.

Es war, wie gesagt, die Facebook-Statusmeldung eines Freundes, die mich auf die Spur brachte. Eines Freundes, der der Endlichkeit näher war und ist als wir, die wir den Tod tagtäglich verdrängen. Er hat seine Gründe, dies nicht zu tun. Die Eintragung lautete: „Schöpferisch sein heisst, dem Realen etwas zu entreissen, das uns überlebt. Und das ist sehr viel aufregender als die Refugien, die die Religion zu bieten hat. Es ist eine Art, Nein zum Tod zu sagen.“ Zitatende. Ich könnte nun googlen, von wem dieses Zitat – denn als solches wurde es ausgewiesen – stammt. Aber es tut wenig bis nichts zur Sache.

Worauf ich hinaus will, ist der Umstand, dass diese Sätze das Transzendente der Kunst, ihre Absicht und Essenz, ihre finale Radikalität abrupt in meinen Alltag schoben. Wie einen fehlenden Puzzle-Stein. Wie einen kühl glänzenden Mechanismus, der mit einem feinen, doch unüberhörbaren Klick-Geräusch in der Realität einrastet. Wie nichts sonst. Denn dies schien mir plötzlich auch die eigentliche Fragestellung zu sein: was kann ein „letztes“ Lied kommunizieren – über sein Verklingen hinaus?

Erinnerungen, Bedeutungen, den Nachhall einer Persönlichkeit: wohl kaum (sieht man vom Schöpfer des Liedes selbst ab). Das Vergessen ist ein unerbittlicher Prozess. Eventuell sogar ein gnädiger. Und ein Song als Vermächtnis, als Botschaft an die Hinterbliebenen, als Resümée eines Lebens oder auch nur als Kommentar, Anmerkung oder Fußnote erschiene mir arg eitel. Ironie könnte, zugegeben, diese posthume Eitelkeit mildern. Aber sie ist nur wenigen eigen. Und wird oft verkannt. Ironie ist ein Hund, so wie Glück angeblich eine warme Pistole ist. Und ein Lied ein Geschenk. Fragen Sie mal die Danaer.

Mein letztes Lied ist also eines, das keine weitere Bedeutung hat, das man kaum kennt und das bald vergessen sein wird. So wie ich selbst. Vollkommen zurecht. Mein höchstpersönliches letztes Lied stammt von Traffic – ich sehe die jüngeren Generationen in Wikipedia stochern, die Autoren heissen Steve Winwood und Vivian Stanshall, letzterer Gründer der Bonzo Dog Doo-Dah Band -, und trägt den Titel „Dream Gerrard“.

Dieses Stück Musik ist, gelinde gesagt, eigenwillig. Formatradiountauglich. Überlang. Von verhaltener Dynamik (wiewohl mit lauten und flüsterleisen Passagen ausgestattet). Ästhetisch von einer dicken Staubschicht bedeckt. Und textlich von einer dezent dadaistischen Detailunschärfe. Stanshall, vermutlich der Schöpfer der „lyrics“, wurde übrigens am 6. März 1995 tot aufgefunden, nachdem einen Tag vorher ein Feuer in seiner Wohnung ausgebrochen war. Die Ermittlungen ergaben, dass eine brennende Lampe umgefallen war und seine zahlreichen losen Aufzeichnungen entzündet hatte.

Ein einsamer, ein tragischer, ein lächerlicher Abgang. Er gefällt mir. Er hätte wohl auch Thomas Bernhard gefallen, der einst festgehalten hat, es sei alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt. Keine Ahnung übrigens, ob sich der überaus musikaffine Bernhard ein letztes Lied gewünscht hat: wahrscheinlich hat man ihm die österreichische Bundeshymne ins Grab nachgeworfen. Dann doch lieber Traffic. Und dieses ominöse „Dream Gerrard“.

They won’t let it be, they think it should be done with reality.

(Buchbeitrag für „Das letzte Lied“, Hg. Wolfgang Pollanz/Wolfgang Kühnelt, erschienen im Herbst 2014 im Milena Verlag, Wien.)

Suggestivkraftwerk

23. Mai 2014

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (263) Erzeugt die Computerwelt “richtige” Musik? Sorry: diese Frage können nur Menschen stellen.

Kraftwerk Burgtheater

Da sassen wir nun alle. Und staunten. Meine Wenigkeit in der 3. Reihe, Platz 7, Parkett links im Wiener Burgtheater. Festwochen! Ich hatte um wohlfeile fünfundsiebzig Euro eine Karte für “Die Mensch-Maschine” erstanden, die konzertante Aufführung eines der Schlüsselwerke von Kraftwerk. Sie wissen schon: die legendären deutschen ElektronikPioniere.

Der Herr neben mir, ein einschlägig bekannter Musikjournalist und Pop-Connaisseur, war bereits zum dritten oder vierten Mal zugegen. Denn Kraftwerk hatten angekündigt, den kompletten Katalog ihres jahrzehntelangen Schaffens abzuspulen, Album für Album (bis auf das Frühwerk). Er beschwerte sich auch nicht, als sich herausstellte, dass das Quartett auf der Bühne das Versprechen zwar seriell wahrmachte, den Rest des Abends aber immer mit denselben “Greatest Hits” garnierte. Mehr oder weniger.

Die 3D-Inszenierung der retrofuturistischen Alltagsmelodien von Kraftwerk – so simpel wie suggestiv – war einfach zu überwältigend, sinnes- und leuchtkräftig, um an solchen Details herumzumäkeln. Zwischendurch aber beugte sich der Kollege herüber und setzte mir einen Floh ins Ohr: “Das wäre doch eine investigative journalistische Aufgabe: herauszufinden, was die da eigentlich wirklich treiben auf der Bühne!”

Das ist ja eines der Schlüssel-Probleme der elektronischen Musik: es tut sich nichts. Sieht man vom Drumherum ab. Denn live auf der Bühne auf ein Mischpult zu starren oder in einen Laptop, dann und wann mal einen Knopf zu drehen, einen Schalter umzulegen oder still ins Publikum zu lächeln – wie es letztlich auch Kraftwerk hielten –, vermittelt nicht gerade die schwitzige Lebenshaltung des Rock’n’Roll. Und ist in punkto Showgestaltung halt oft – zu oft – reichlich fad.

Was Ralf Hütter, das Mastermind und einzig verbliebene Originalmitglied der Truppe, nicht weiter anficht: Man lassen nicht einfach nur die Computer die Klänge abschnurren, erklärte er im Interview mit dem „Kurier“-Redakteur Georg Leyrer. “Wir komponieren, wir führen die Teile zusammen und gestalten den Klang. Also: Kling, Klang! Das ist nicht körperlich, das ist hochsensibel. Wie Feinchirurgie, mikroskopisch kleine Bewegungen haben große Wirkung. Die Sensibilität der elektronischen Instrumente ist unermesslich.“

Ich glaub’s ihm ja. Höre es sogar raus, bisweilen. Und verstehe dennoch die Skepsis der Techno-Agnostiker, Maschinenstürmer und „Handmade Music“-Traditionalisten. Also hätte ich einen Vorschlag: Hütter und seine Mitstreiter mögen beim nächsten Mal eine Kamera über ihren Instrumentenpulten montieren. Und ihren Live-Aktionismus ins 3D-Szenario einblenden. Dann wären raschest alle Vorurteile gegen die Mensch-Maschinen-Musik ausgeräumt.

Wer’s immer noch nicht glaubt, nehme an diesem denkwürdigen Event – einer Hommage an Kraftwerk seitens des Wiener Heimorgelorchesters – teil. Da werkeln Menschen aus Fleisch und Blut an analogen Klein- und Kleinstmaschinchen. Und rühren damit – so etwas besitzen Computer doch nicht, oder? – ans Herz.

Um mit Karl Bartos, dem langjährigen Weggefährten von Ralf Hütter zu sprechen: „Alle sagen, der Computer hat die Welt verändert, aber ich glaube, Musik ist nach wie vor Musik. Und die Frage ist immer noch die gleiche: Warum wird aus Schallwellen Gefühl?“ Boing Bum Tschak.

Die Mensch-Maschine

15. Mai 2014

Ein Wesen und ein Ding: Die Mensch-Maschine. Der visionäre Gestus jener Handvoll Musikstücke, die Ralf Hütter, Karl Bartos, Wolfgang Flür und Florian Schneider anno 1978 zu einem Konzeptalbum verdichteten, hat nichts an binärer Eleganz und kühler Faszination verloren.

EWHO - Die Mensch-Maschine

Kraftwerk darf mittlerweile dem Weltkulturkanon zugeschlagen werden – aber darf die Evolution auch zurückschlagen? Mit respektvoller Ironie? Absoluter Demut? Eventuell sogar mit retrofuturistischem Aberwitz? Derlei ist hier dokumentiert.

Es ist eine fast zwingende Kombination. Dass jene Elektronik-Formation nämlich, die „moderne“ Sampler, Laptops und jede Art von Wiedergabegeräten sowohl auf der Bühne als auch im Studio als strikt unzulässig erachtet – das 1994 gegründete Erste Wiener Heimorgelorchester (EWHO) nämlich – nun eine Replica-Version des 1978 erschienenen Kraftwerk-Albums „Die Mensch-Maschine“ vorlegt. Was aber zunächst nach einem sehr imitativen Ansatz und spekulativem Kunsthandwerk aussieht, entpuppt sich beim Hören als das genaue Gegenteil. Gerade den Low-Fi-Versionen des EWHO wird der Respekt vor dem Menschlichen der Maschine (wenn man denn Heimorgeln ernsthaft als solche bezeichnen kann) zur treibenden Kraft.

„Was waren das für Zeiten, als man noch Respekt vor Robotern und ihren metallenen Stimmen hatte!“, erläutert Daniel Wisser – einer der vier EWHO-Maschinisten – die Ausgangssituation. „Heute ist der Roboter ein Sorgenkind; und wenn überhaupt einer zur Hand ist, um unsere Arbeiten zu erledigen, so spricht er mit sanften Stimmen zu uns (Frauen- oder Männerstimme im Menü wählbar…).“ Die technoiden Stimmen des Originals werden vom EWHO als mehrstimmiger Gesang interpretiert. Die handgemachte Elektronik des Wiener Quartetts hievt die Kompositionen des Kraftwerk-Albums auf eine neue Ebene. „Hier wird die Technik hörbar. Hier werden die Mittel der Klang- und Geräuscherzeugung nicht einfach benutzt, sondern thematisiert.“

Das Erste Wiener Heimorgelorchester – nomen est omen – zollt Bit für Bit Tribut Uen zerlegt die Mythos-Maschine in ihre Einzelteile. Es menschelt. Es surrt, zischelt, kracht. Es ist.

Originalton Daniel Wisser: „Da ist etwa der berühmte Song „Das Model“, den Rammstein mit teutonischem Ernst zu einer Hardrock-Ballade verunstaltet haben. Im Gegensatz dazu greift das EWHO zu den Stimmschrauben und entfernt sich mit jedem Akkord vom Wohltemperierten. Dazu wird der Stimmeffekt des Casio Rapman benutzt, um den bei der Original-Vorlage immer etwas kraftlos klingenden Gesang in den Rang einer Helium-Mickey-Mouse zu erheben.“

Es gilt der alte Merksatz des Science Fiction-Veteranen („2001“) Arthur C. Clarke: „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“ Die Mensch-Maschine ist – auch und erst recht in der Lo-Fi-Variante des EWHO, die nicht nur in Bits & Bytes verewigt, sondern zudem auch in Vinyl gepresst wurde – von mathematischer Schönheit. Von El Lissitzky, Fritz Lang, Alan Turing, Konrad Zuse, Steve Jobs, Edward Snowden. Von Casio, Yamaha, Bontempi und Native Instruments. Von Kraftwerk. Gestern. Heute. Morgen. Immer. Wieder. Ein Wesen und ein Ding: Die Mensch-Maschine.

Unerhört!

23. April 2014

Aus gegebenem Anlass: mindestens dreihundert Antworten auf die Frage „Gibt es überhaupt genug gute Musik aus Österreich, um sie auf Ö3 zu spielen?“

antenna_and_radio_waves

Bilderbuch. Falco. Hubert von Goisern. 5/8erl in Ehr’n. Anna F. Klangkarussell. Gustav. Wolfgang Ambros. Conchita Wurst. FlicFlac. Willi Resetarits. Chronic City. Die Strottern. Dame. Julian Le Play. Garish. Mary Broadcast Band. Der Nino aus Wien. GuGabriel. Neodisco. Rainhard Fendrich. Coshiva. Norbert Schneider. Natalia Kelly. Gin Ga. Eloui. Left Boy. STS. Parov Stelar. Marianne Mendt. Thomas David. Playbackdolls. Mauracher. !DelaDap. M185. Dawa. Klimmstein. Bo Candy & His Broken Hearts. Saint Privat. Tanz Baby! Iripathie. Attwenger. Fijuka. Ernesty International. Fii. Herr Tischbein. Saedi. One Two Three Cheers and a Tiger. James Cottrial. My Name Is Music. Bingo Boys. Sohn. Müßig Gang. Kollegium Kalksburg. She & The Junkies. Fatima Spar & The Freedom Fries. Clara Blume. Deja. Ken Hayakawa. Global Deejays. The Base. Darius & Finlay. Austria 3. Free Men Singers. Mono & Nikitaman. Shy. Holstuonarmusigbigbandclub. SheSays. Keiner mag Faustmann. Aphrodelics. The Bandaloop. Mile Me Deaf. Poxrucker Sisters. Kruder & Dorfmeister. Matt Boroff. Sterzinger Experience. Mojo Blues Band. Chris Gelbmann. PBH Club. Clara Luzia. Soap&Skin. Millions of Dreads. Ben Sky. Gerard MC. Boris Bukowski. Russkaja. James Hersey. Ghost Capsules. Monica Reyes. From Dawn To Fall. Waxolutionists. I-Wolf & The Chain Reactions. Papermoon. Leo Aberer. Parov Stelar. Ernst Molden. Ausseer Hardbradler. Catch-Pop String-Strong. Monika Ballwein. Makossa & Megablast. Lorelei Lee. Freischwimma. Dubblestandart. Fred Schreiber. Tagträumer. Luise Pop. Chris Shermer. Club 69. Oliver Mally. Sleep Sleep. Francis International Airport. Bella Wagner. Catastrophe & Cure. Christina Stürmer. Effi. Hubert Tubbs. The Makemakes. Nina Proll. Florian Horwath. DÖF. Sado Maso Guitar Club. DaLenz. Binder & Krieglstein. Mieze Medusa & Tenderboy. Harri Stojka. Nadine Beiler. Dzihan & Kamien. EAV. Heller Propeller. Anik Kadinski. Guadaljara. Marina Zettl. Renato Unterberg. Two in One. Gudrun von Laxenburg. MissIss. 3 Feet Smaller. Gordopac. Kamp. Estebans. Minisex. Alex Miksch. Magdalena Piatti. Monsterheart. Sabina Hank. Giantree. Skero. Marcus Smaller. Christoph & Lollo. Fuzzman. Rodney Hunter. Trio Lepschi. Christine Hödl. We Walk Walls. Yasmo. Ja, Panik. Madita. Hinterland. Texta. André Heller. Donauwellenreiter. Julian & der Fux. Ben Martin. Global Kryner. Eric Papilaya. Freud. Luttenberger-Klug. Bunny Lake. Chuzpe. Susana Sawoff. Wolfram. Mnozil Brass. Bernhard Eder. Zeronic. Dorian Concept. Bulbul. Agnes Milewski. Stereoface. Ganymed. Herzdame. Wilfried. PauT. Hallucination Company. Nowhere Train. Barefoot Basement. Philipp & Julia. Freedom Warriors. Rosengarten. Meena Cryle. Kommando Elefant. Georg Kreisler. Atomique. Her Voice Over Boys. Sofa Surfers. Alkbottle. Cama. Waldeck. Plexus Solaire. Axel Wolph. Mika Vember. Wolfgang Muthspiel. Camo & Krooked. Beat 4 Feet. Saint Lu. Valerie Sajdik. Bernhard Fleischmann. Brenk Sinatra. Neuschnee. L’Âme Immortelle. MLE(e). Sandra Pires. Farewell Dear Ghost. Edelweiss. Moreau`s Creatures. Laura & The Comrats. Die Brüder. Famp. Violetta Parisini. The Beth Edges. Andy Baum. Robert Rotifer. Mother’s Cake. The Makemakes. Como. Martin Spengler & die foischn Wiener. Paper Bird. Gary. Tyler. Drahdiwaberl. A Geh Wirklich. Sin. Filou. Pilots On Dope. Mimu. Hot Pants Road Club. Erstes Wiener Heimorgelorchester. Sigi Maron. Maur Due & Lichter. Chakuza. Mel. Marque. Broadlahn. MaDoppelT. Zweitfrau. Core. Misthaufen. Trackshittaz. Mo. Ogris Debris. Tom Pettings Hertzattacken. Rambo Rambo Rambo. Mondscheiner. Peter Cornelius. Café Drechsler. Helmut Qualtinger. Vera. Opus. Marrok. Sunrise16. Kreisky. Billy Rubin Trio. Marilies Jagsch. Schönheitsfehler. Andreas Gabalier. Heli Deinboek. Tosca. Coshiva. Mimi. Bauchklang. Nazar. DJ Schmolli. Velojet. A Life, A Song, A Cigarette. Unique 2. Weather Report. RAF 3.0. Beckermeister. Ostbahn-Kurti. Sweet Sweet Moon. Milk+. Petsch Moser. Excuse Me Moses. Martin 101. Ramon. Heinz aus Wien. Worried Men Skiffle Group. The Helmut Bergers. Dobrek Bistro. Thomas Stipsits. Joyce Muniz. Die Seer. Krautschädl. Gasmac Gilmore. Ludwig Hirsch. Eva K. Anderson. Die Chiller. Hansi Lang. Moneyboy. The Who The What The Yeah. Die Vamummtn. Kaiser Franz Joseph. Celia Mara. I Am Cereals. Saint Lu. Diver. Count Basic. Global Deejays. Aber das Leben lebt. Nihils. Rucki Zucki Palmencombo. Monobrother. Rounder Girls. Austrofred. Son of the Velvet Rat. Blümchen Blau. Supermax. Zeebee. René Rodriguez. Naked Lunch. Ramona Rotstich. Louie Austen. Georg Danzer. The Sorrow. Bretterbauer. Stefanie Werger. A.G. Trio. Roland Neuwirth. Facelift. Steaming Satellites. Hans Theessink. Manu Delago. Depeche Ambros. Stereotyp. Birgit Denk. Wandl. Count Basic. Room Island. The Vogue. Cardiochaos. Georg Prenner. Inner Storm. Harry Ahamer. Tschebberwooky.

Drei Anmerkungen: 1) Ja, ich halte alle diese Künstlerinnen, Künstler und Bands für potentiell spielbar auf Ö3 (ok, manche nur mit ausgewählten Songs und/oder in einem speziellen Kontext) 2) Man kann sich geschickt aus der Pop-Historie und der aktuellen Szene bedienen – und Generationen verbinden. „Format“ hat zwei Wortbedeutungen. 3) Die Liste ist unvollständig. Und ich will den Satz „Es gibt ja keine….“ nie wieder hören.

(Der Beitrag erscheint – wohl gekürzt – am 24.04. als Gastkommentar in „Die Presse“)

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