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The Angst And The Amen

19. April 2011

Sie sind die neuen Lieblinge des deutschsprachigen Pop-Feuilletons: Ja, Panik. Zurecht? Zumindest haben sie es geschafft, einen Hymnus des Wohlwollens zu provozieren.

Neulich war ich auf einer Pressekonferenz. Zum „Popfest Wien“. Da sassen weit mehr (zumeist junge, oft sehr junge) Damen und Herren herum, als der Veranstalter antizipiert hatte. Die Kaffeekannen waren rasch leer, Nachschub blieb aus. Grundsätzlich erfreulich, ein solcher Andrang. Grundsätzlich erstaunlich aber auch: nach einer etwas länglichen Präsentation eines pracht- und prallvollen Programms gab es keine Fragen mehr. Weder an den Kurator. Noch an die Veranstalter. Auch nicht an den Kulturstadtrat. Bis sich dann doch ein Journalist aufraffte und nach dem Stellenwert der elektronischen Musik im Festival-Kontext fragte. Und weithin eine launige Anmerkung hängenblieb: jemand hätte eine Stinkbomben-Attacke angekündigt. Wer? Was? Warum? Dann wieder Schweigen. Stummes Kopfnicken. Geschäftig gute Laune allseits. Brot & Spiele, aber keine Fragen. Keine Kritik. Kein Widerspruch.

Während ich diese Zeilen in die Maschine hämmere, feiern Medien wie „Der Spiegel“, „Die Zeit“ oder „Die Welt“ – Blätter, die nicht nur in Deutschland die Welt bedeuten, sondern auch hierzulande – das neue Album von Ja, Panik ab. Von “Spex” und anderen Zentralorganen fortgeschrittenen Musikverständnisses ganz zu schweigen. Zurecht: Andreas Spechtl und seine Mitstreiter haben sich ungeniert selbst ermächtigt, die alten Granden des deutschsprachigen Diskurs-Pop vom Thron zu stossen. Für eine „hiesige“ Band eine beachtliche Leistung (auch wenn man auf dem besten Weg ist, sich vom notorischen Provinzdasein nachhaltig zu lösen). Live wird man Ja, Panik am 7. Mai am Karlsplatz in Aktion erleben dürfen. Sie werden beim „Popfest Wien“ ihr aktuelles, viertes Werk “DMD KIU LIDT” präsentieren. Ein definitiver Höhepunkt des Konzertreigens, soviel lässt sich risikolos vorab prognostizieren.

“DMD KIU LIDT” – der kryptische Name steht für “Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit”, zugleich ist es der Titel des 23minütigen Schlußstücks – ist ein einziges Vexierspiel. Ein Stakkato aus Zitaten, Anspielungen, Fangfragen und bruchstückhaften Antworten. Einmal mehr ein absichtsvoll verrätseltes, wunderbar labyrinthisches Manifest. Laut Mastermind Spechtl sind es “Langeweile und Verbitterung”, die Ja, Panik antreiben. Zu ergänzen wären: Ironie, Altklugheit, Ernst (eventuell: Todernst) und künstlerische Getriebenheit, die als Ziel aller Anstrengungen Gelassenheit fixiert.

Ein gefundenes Fressen für Musikjournalisten also, die sich an einer intellektuellen Steilvorlage abarbeiten können. Ja, müssen: denn sich dem Diskurs zu verweigern und das Album zu ignorieren, würde ja bedeuten, sich aus dem Kanon der Kollegenschar auszuklinken. Leichterhand auf die das Gewerbe determinierende Deutungshoheit zu verzichten. Und eventuell das nächste, grosse Ding zu verpassen. Oder, um den CD-Ankündigungstext auf amazon.de zu zitieren: „Das eigenständigste, poetischste, ja modernste Rock’n’Roll-Album, an dem sich die deutsche Sprache jemals beteiligen durfte.“

Aber hallo! Während ich diese Zeilen in die Maschine hämmere, habe ich noch nicht viel mehr gehört von “DMD KIU LIDT” als die gratis downloadbare Single “Trouble”. Und Album-Bruchstücke, die mir FM4 auf dem Radio-Präsentierteller serviert. In der Tat: ein schon bei flüchtigem Hinhören aufreizend radikales, gewitztes, verstörendes Werk. Auch im „Alternative Mainstream“ liegt derlei quer wie ein Walter Benjamin-Verweis in einem locker-flockigen Gratis-Printprodukt. Ich werde mir also das vierte Ja, Panik-Album besorgen. Wie schon die Vorgängeralben der burgenländischen, von Wien nach Berlin exilierten Band. Wer könnte sich dem Alle mal herhören!-Imperativ des versammelten deutschsprachigen Feuilletons widersetzen?

Was mir aber aufstösst (und auch Spechtl & Co. nicht nur Freude bereiten dürfte): es mischt sich keine kritische Stimme in den Diskurs. Bislang ist mir keine auch nur ansatzweise negative Rezension, keine seziermesserscharfe Analyse, kein Contra aufgefallen, das das einmütigen Hurra! der Pro-Fraktion konterkarieren würde. Ein Opus wie “DMD KIU LIDT” schreit aber förmlich nach Widerspruch. Nach intellektueller und emotionaler Reibung. Nach einer persönlichen Bewertung, die sich nicht in opportunistischer Copy & Paste-Meinungsfindung erschöpfen kann. Auch wenn sie letztlich positiv, ja hymnisch ausfällt. Oder, ganz im Gegenteil, aggressiv am dunkel glänzenden Lack des Ja, Panik-Konzepts und seiner Umsetzung kratzt. Gehen die Damen und Herren Kritiker schnurstracks in die Dialektik-Fallen, die Spechtl und seine Mitstreiter so konsequent auslegen? Und das p.t. Publikum folgt, dem Zug des Rattenfängers aus Hameln gleich, pfeifend hintnach? Diskurs-Shangri La, here we come! Die Manifestation des Journalismus in unserem Leben ist die Gleichgeschaltetheit.

Verstehen Sie mich nicht falsch: es ist eine der nobelsten Aufgaben des Musikkritikers, Interesse zu wecken. Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Und Einordnungen zu ermöglichen. Die persönliche Urteilsfindung bleibt aber dem Hörer überlassen. Sofern es gelingt, den Impuls zu setzen und den Wunsch nach unbedingter höchstpersönlicher Urteilsfindung auch auszulösen. Für Künstler ist das die härteste Übung überhaupt: trotz (oder gerade wegen) der vielen Vorschußlorbeeren des Feuilletons auch adäquate Relevanz und nachhaltige Aufmerksamkeit beim Publikum zu erreichen. Respekt: Ja, Panik sind auf dem besten Weg dazu.

Zu “DMD KIU LIDT” eine eigene, individuelle, nicht durch die Musikpresse vorformatierte Meinung zu formulieren wird dennoch nicht leicht fallen, auch ohne überzogene Demut vor “Spiegel” und „Spex“. Es gilt, den eigenen Sinnen zu trauen. Gehirn, Ohren, Solar Plexus auf Empfang zu schalten. Wohl ganz im Sinn der Band („DMD KIU LIDT“ ist eine Aufforderung: Nimm dir die Zeit und beschäftige dich nur damit. Und dann steh auf und stell Fragen!“, so Andreas Spechtl im „Kurier“-Interview). Ich geh’ jetzt mal los, mir das neue Ja, Panik-Album besorgen.

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Amerika, so what?

21. März 2011

Sie sind die tragischen Veteranen der österreichischen Alternative-Szene: Naked Lunch. Anno 2011 vertont das Klagenfurter Quartett Kafka. Eine zwingende Kombination.

„Was das Scheitern betrifft: auf diesem Gebiet sind wir geradezu exemplarische Experten“. Wer solche Sätze sagt, ist á priori grundsympathisch. Denn natürlich ist das Scheitern per se weit spannender als der Sieg. Zumindest aus meinem Blickwinkel. Ausgesprochen, mit unendlicher Abgeklärtheit und Gelassenheit formuliert hat diesen Satz Oliver Welter, Sänger, Gitarrist und Frontmann der österreichischen Band Naked Lunch.

Kennern der hiesigen Szene muss man diese Formation nicht näherbringen. Das Naked Lunch-Personal besteht heute aus Welter, Sänger und Bassist Herwig „Fuzzman“ Zamernik, dem Elektronik-Spezialisten und Multi-Instrumentalisten Stefan Deisenberger und dem Schlagzeuger Alex Jedzionsky. Seit dem Erstlingsalbum „Naked“, erschienen anno 1991, und dem letzten Album „This Atom Heart of Ours“ (das 2007 auch den Off-Hit „Military of the Heart“ enthielt) haben unzählige Hochs und Tiefs den Kern der Gruppe nicht unangetastet gelassen: nur Oliver Welter war bei der Gründung der Band mit an Bord. Danach und dazwischen forderten Alkohol, Depressionen, kommerzielle Perspektivlosigkeit und zwischenmenschliche Reibereien ihren Tribut.

Immer wieder schafften es Naked Lunch, „Superstardom“ – so der Titel eines beim Major Polygram erschienenen Albums von 1997 – quasi in Griffweite zu haben. Immer wieder aber zerrann ihnen der Traum unter der Hand. Aufnahmesessions in London und New York mit Grössen wie Alain Moulder (Smashing Pumpkins, U2), grosse Pläne und teure Videos wurden konterkariert von verwüsteten Hotelzimmern, Verhaftungen und Verlust von Plattenfirma, Management und Booking-Agentur. Erst mit dem tieftraurigen Album „Songs For The Exhausted“ (sic!) zog man sich im neuen Jahrtausend an den eigenen Haaren aus dem Sumpf. Einmal mehr.

Naked Lunch kommen aus Klagenfurt. Liegt schon Wien nicht an den Schnittachsen des internationalen Pop-Business, kann man bei diesem Provinznest gleich ein Kreuz schlagen. Oder auch nicht: denn das Stadttheater Klagenfurt wagt aktuell, was auch in grösseren Metropolen nicht alltäglich ist – die Vermählung von Popkultur mit Klassikern der Literatur. Im Zug des Einhundert-Jahr-Jubiläums der Bühne bat man den Künstler Bernd Liepold-Mosser um eine Interpretation von Frank Kafkas „Amerika“. Der wiederum holte umgehend die Alternative Rock-Kollegen dazu. Auch eine Oper („Ecce Homo“) ist schon in Planung. Und dass „Amerika“ zeitgleich als Mini-Album erscheint, darf als kleines Wunder bezeichnet werden. Man hatte mich vor Welter, Zamernik & Co. gewarnt: schwierig, schwierig. Die brauchen immer eine Ewigkeit, bis was weitergeht. Aber es geht was weiter. Zudem: ist das Leben eine Frage von Quantitäten oder Qualitäten?

Gestatten Sie mir also einen höchstpersönlichen Fingerzeig (der zugleich eine Werbeeinschaltung ist, weil ich mich ab sofort intensiver um die Burschen kümmere): intimere, berührendere, stimmigere Klänge habe ich in diesem Jahr noch nicht vernommen. Es ist noch jung. Aber „Amerika“ wird schön alt werden in meinem CD-Player.

Karl mit Karl-Heinz

23. Februar 2011

Christoph & Lollo auf Platz eins der Charts? Und ein regelrechter Hit auf Ö3? Unwahrscheinlich. Aber nicht undenkbar. Und eventuell sogar pädagogisch wertvoll.

Ich fürchte, Peter Alexander wird es verhindern. Der Lordsiegelbewahrer der „guten, alten Zeit“ – die gar so gut nicht war, ausser es gelingt, das unendliche Leid einer Ära des Faschismus, eines Weltkriegs und eines Genozids zumindest partiell durch eine heile Schlagerwelt zu ersetzen (und, ja, das gelang in diesem Land nicht wenigen) – wirkt noch über seinen Tod hinaus. Peter Alexander dominiert zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Zeilen die Charts. Absehbar. Und auf „YouTube“ schauen sich massenhaft verwunderte Jugendliche und nostalgietrunkene Erwachsene Ausschnitte aus Heimatfilmen und TV-Shows der achtziger Jahre an. Ein letzter Gruss eines Entertainers, der in seinen letzten Lebensjahren von den Umbrüchen der Medien- und Musikwelt partout nichts mehr wissen wollte. Und von persönlichen Schicksalsschlägen gezeichnet war. Er ruhe in Frieden.

Was aber wird Peter Alexander selig verhindern? Oder auch nicht? Eher: zweiteres. Mittel- bis langfristig nämlich: den Einbruch der Realität in die ewige Hitparade des Eskapismus. Unter all die David Guettas, Andrea Bergs und trackscheissenden „Helden von morgen“, die eventuell heute schon wieder von gestern sind, könnten sich verstörende Elemente mischen. Solche, die mit Gitarre, Computer und Mundwerk unbequeme Wahrheiten verkünden. Solche, die ernsthafte Anliegen haben und gesellschaftliche Probleme beim Namen nennen. Solche, die dem Alternative-Streichelzoo von FM4 zugerechnet werden, sich plötzlich aber auch in den „Ö3 Austria Top 40“ breit machen. „Tschuldigung“ für die Störung sagen etwa Christoph & Lollo.

Auf ihrem neuen, sechsten Album haben sich die ehemaligen notorischen „Schispringerlieder“-Macher einem breiteren Themenspektrum zugewandt. Etwa dem „Karl-Heinz“. Das bitterböse Liedlein über den ehemaligen Finanzminister der Republik, der mittlerweile als Steuersünder enttarnt ist, ist schon seit dem Jahr 2009 ein Hit. Auf „YouTube“ wurde das Video über dreihunderttausendmal abgerufen. Und auf Facebook hat eine Initiative webaffiner Aktivisten dazu aufgerufen, „Karl-Heinz“ nunmehr an die Spitze der offiziellen Charts zu hieven.

In Zeiten blutiger, Web 2.0-getriebener Volksaufstände ein vergleichsweise harmloses Unterfangen, seinem Ärger Luft zu machen. Würde aber „Karl-Heinz“ auch nur ein einziges Mal auf Ö3 laufen – die Comedy-Abteilung des Senders ist ja auch nicht gerade unlustig unterwegs –, wären gröbere Irritationen im Parlament und in den hiesigen Parteizentralen nicht auszuschliessen. Mit entsprechender Folgewirkung.

Natürlich gilt auch für Karl-Heinz G. die Unschuldsvermutung. Noch viel mehr gilt aber die Unmutsverschuldung: der eitle Feschak ist zur Symbolfigur einer saturierten, korrupten, schlaumeierischen Nomenklatura geworden, das das Vertrauen in Öszerreichs Politik und Justiz systematisch unterminiert, wenn nicht vielfach endgültig ruiniert hat. Wenn nun die Popkultur dieses Landes – von Kabarettisten über Bänkelsänger bis zu Hobby-Filmplakat-Gestaltern (Stichwort: #grassermovies) – antritt, das schiefe Bild wieder geradezurücken, darf das als notwendiges kultur- und realpolitisches Statement gewertet werden. Als täglicher Protestsongcontest. Als staatsbürgerliche Notwehrmassnahme.

Der Karl mit „Karl-Heinz“ ist so gesehen bitterer Ernst. Und trotzdem ein Spass. Der eventuell sogar klammheimlich Peter Alexander gefallen hätte.

P.S.: Stichtag für die Charts ist der 25. Februar. Es reicht schon, „Karl-Heinz“ als einzelnen Song von iTunes oder Amazon runterzuladen, um Christoph & Lollo die Chance zu geben, einen echten Schlager zu landen. Punktgenau.

Rock’n’Roll 2.0

17. Februar 2011

Ohne ordentliche HiFi-Anlage kein standesgemässes Rock-Konzert in den eigenen vier Wänden. Das sollte sich anno 2011 doch schon rumgesprochen haben, oder?

„Das Sein bestimmt das Bewusstsein“: den alten Karl Marx kann man ohne Umstände auch auf hedonistische Lebens- und Lifestyle-Entwürfe anwenden. Natürlich gilt der Merksatz auch vice versa: das Bewusstsein bestimmt das Sein. Wie anders liesse es sich sonst erklären, dass nicht gerade wenige Pappenheimer – Sie sind da selbstverständlich eine löbliche Ausnahme, oder? – Musik ausschliesslich via Computer-Tower oder Laptop hören (was per se noch kein Problem wäre). Und die datenreduzierte MP3-Sosse auch noch aus den bordeigenen Miniatur-Lautsprechern erschallen lassen. Das Höchste der Gefühle sind drollige Plastik-„PC-Boxen“ samt dröhnendem Subwoofer unterm Schreibtisch.

Man möchte den „Musikfans“ zurufen: Leute, so geht das nicht! Aber eventuell sind sie ja schwerhörig. Denn wer einmal, sagen wir, „A Love Supreme“ von John Coltrane oder „We Want War“ von These New Puritans über eine ordentliche Stereo-Anlage erlebt hat, wird nie wieder das Kinderzimmer-Szenario als vollwertigen Genuss akzeptieren. Ohne ordentliche Audio-Maschinerie (oder zumindest probate Kopfhörer) ist Musik meist Matsch. Mitunter nicht mal das.

Sollten Sie schon eine probate Anlage daheim stehen haben, aber nur zu faul sein, Strippen vom PC quer durchs Zimmer zum Verstärker zu ziehen, holen Sie sich das neue „Apple TV“-Kästchen in den Haushalt. Ich missbrauche es zumeist als Audio-Übertrager, das (noch überschaubare) Online-Video-Angebot in Verbindung mit dem Flachbildfernseher ist nur eine hübsche Zugabe. Apple hat nachgerüstet und das Betriebssystem iOS aufgebohrt; damit werden alle iPhones und das iPad im Kombination mit dem Streaming-Gegenstück zur ultimativ eleganten Miniatur-Musiktruhe. Es funktioniert übrigens auch via „Airport Express“. Die Stereoanlage der Zukunft, pardon, Gegenwart kennt keine Chinch-Kabel mehr (jedenfalls keine, die zur Sound-Quelle führen). Und auch keine Extra-Fernbedienung. Natürlich ist’s, wie bei Apple üblich, nur im geschlossenen System („iTunes“ & „AirPlay“) zu betreiben und hat für audiophile Gemüter noch reichlich Luft nach oben.

Wenn Sie aber der drahtlosen Zukunftsmusik 2.0 generell misstrauen, dennoch ein Fingerzeig: investieren Sie ein paar Euro in eine anständige Soundkarte oder einen hochwertigen externen Digital-Analog-Wandler! Die Klangwelten aus dem Computer gewinnen drastisch an Raffinesse, Durchzeichnung und Präzision. Eventuell macht es auch Sinn, gleich das ganze Szenario auf höherwertige Hörerlebnisse hin zu trimmen.

Neben meinem Apple iMac hat z.B. seit einigen Wochen eine kleine, feine Anlage von Peachtree Audio (Verstärker „Nova“ + DS 4.5-Boxen) Platz gefunden. Obwohl – oder gerade weil – dieses audiophile Design-Kästchen auch über eine Röhre verfügt und so dem digitalen Musikfluss warme Obertöne hinzufügen kann, ist es die Qualität der eingebauten D/A-Wandler, die die MP3-Kollektion auf der Festplatte so richtig zum Klingen und Swingen bringt. Der Peachtree hat zu diesem Zweck nicht nur je zwei koaxiale und optische Digitaleingänge, sondern auch eine USB-Buchse.

Einfacher geht es nicht mehr. Wie meinte doch einst John Lennon: „I always liked simple rock.“

Zombie-Ball

27. Dezember 2010

„It’s All Over Now Baby Blue“ hören wir Falco selig singen, wieder einmal. Doch: es ist niemals zu Ende. Die Lebenden und selbst die Toten entkommen dem Hamsterrad des Musikbusiness nicht. Die Fans schon gar nicht.

Sade. Elton John & Leon Russell. Phil Collins. Ace Of Base. Stone Temple Pilots. Enrique Iglesias. Nelly. Smokie. Peter Frampton. Mike Tyson. Michael Schumacher. Die Liste ist fast beliebig erweiterbar (okay, Tyson und Schumacher sind keine Sangeskünstler, müssen aber doch dem erweiterten Pop-Star-Starterfeld zugerechnet werden). Sogar Sigi Maron, Österreichs wortgewaltigster Polit-Liedermacher, feierte anno 2010 ein Comeback. Eher der Ausnahmefall: bei ihm ist’s pure Lebenslust, die ihn antreibt, nicht der krampfhafte Blick auf’s Geldbörsel.

Die Rückkehr der lebenden Toten? Jein. Es gilt die alte Showbiz-Regel: they ever come back. Wenn sie nicht gestorben sind, dann singen sie noch heute. Sades Wiederkehr nach neun Jahren Stille etwa gestaltete sich durchaus zum Triumphzug. „Soldier Of Love“, das Comeback-Album, wurde ihre erste Nummer Eins in den USA. Die Songwriter-Legenden Carole King & James Taylor – „You’ve Got A Friend“ – räumten dagegen vornehmlich live ab: über 700.000 verkaufte Tickets brachten 59 Millionen Dollar Umsatz. Elton John, ein alter Bewunderer der Session-Grösse Leon Russell, machte mit „The Union“ auch keinen Fehler. Das Album wurde in punkto Charts-Position sein erfolgreichstes seit 1976. Und Ace Of Base, wiewohl in neuer Besetzung, haben acht Jahre nach ihrem letzten Studiotermin immer noch treue Fans, darunter Lady Gaga und Kate Perry. Also: zurück zum Start. Das Pop-Business der Zehnerjahre ist eine riesige, weitgehend risikolose Recycling-Maschinerie.

Alleine, was da alles an Re-Editions, Wiederentdeckungen und Neuauflagen ins Haus stand und steht: von der einmal mehr glanzpolierten „Abba Gold“-Greatest Hits-Collection, die bislang eh erst 28 Millionen Stück verkauft hat, bis zur „35th Anniversary Edition“ des Albums „Come Taste The Band“ von Deep Purple, natürlich standesgemäß auch als Doppel-Vinyl-LP im Klappcover zu haben. Wer sich fragt, womit die zweite Scheibe gefüllt wurde: mit dem komplett neu abgemischten Songmaterial von anno dazumal. „Remixed“, nicht einfach „remastered“, wohlgemerkt. Ob Schlagzeuger Ian Paice, das einzig verbliebene Originalmitglied der 1968 gegründeten Rockdinosaurier, den Unterschied hören kann? Egal. Immerhin lässt die, hm, Überarbeitung mit den technischen Mitteln von heute einen 1:1-Vergleich mit den Soundvorstellungen von damals zu. Letztlich aber ist es eine „kreative“ Marketingübung und Materialschlacht, um Fans, die schon (fast) alles haben, nochmals die Kreditkarte zücken zu lassen.

Das kann glücken – und bei den Fans Glücksgefühle auslösen – , muss es aber nicht. Ob zum Beispiel die anno 2010 inszenierte Neuauflage von „Falco 3“, dem erfolgreichsten Album des prototypischen Popstars aus Wien, zum durchschlagenden Erfolg wurde, müsste sich zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Kolumne schon sagen lassen. Das Weihnachtsgeschäft ist dann definitiv vorüber. Ich bin zugegebenermassen skeptisch: die „25th Anniversary Deluxe Edition“ wurde zwar flott gestylt, mit Videos und DVD-Doku hochgerüstet und behebt alte Mastering-Fehler („It’s All Over Now Baby Blue“ hatte auf allen bisherigen CD-Versionen eine unüberhörbare Digitalschleife, kurios genug). Reichlich plump geriet aber der Versuch, das Werk – das von Falco-Afficionados nicht zu seinen besten gerechnet wird, mit „Rock Me, Amadeus“, „Vienna Calling“ und „Jeanny“ aber drei der bekanntesten Singles enthält – jüngeren Generationen anzudienen. So liess man etwa die britischen Charts-Stürmer Hurts das sattsam bekannte „Jeanny“ neu interpretieren. Das Ergebnis dürfte dann sogar den Auftraggeber so wenig überzeugt haben, dass man es zwischen anderen überflüssigen Remixen und einem weiteren nebulosen Fundstück der Falco-Historie („Without You“) versteckte.

„Hier wurde mal wieder die Gelegenheit verpasst, eines der meistgeliebten Alben der 1980er angemessen wiederzuveröffentlichen“, resümierte das Online-Expertenforum „Der Schallplattenmann sagt“. „Etwa indem man die deutsche mit der internationalen Version kombiniert und den Sound sorgfältiger aufarbeitet“. Word! Leichenfledderei sollte man doch den Liebhabern überlassen.

Meine XXX-Mas-CD 2010

21. Dezember 2010

Same procedure as every year: dreihundertvierundsechzig Tage, um diesen einen, besonderen mit Bedacht anzusteuern. Und mit einer Tonspur zu versehen. Und dann rinnt einem doch wieder die Zeit aus.

Das Szenario lässt sich mit Gewissheit voraussagen. Mit hundertprozentiger Gewissheit. 24. Dezember, 13 Uhr 31, in nicht einmal einer halben Stunden schliessen die Geschäfte. Gottseidank. Es reicht. Mir ist schon klar, daß ein vormals besinnliches Fest – das Licht in eine lange Jahrtausende sehr dunkle Welt brachte – in Zeiten des Turbokapitalismus einer Konsumorgie gleicht. Gleichen muss. Die Zeitungen überschlagen sich mit Berichten über Umsatzrekorde (seltsamerweise parallel zu Meldungen über Kaufsucht, wachsende Armut, Privatkonkurse, Börsen- und Staatencrashes). Der Äther dröhnt, wham!, ob der unausweichlichen, schon im November anhebenden Dauerbeschallung durch „Last Christmas“, „Jingle Bells“ (das „Hells Bells“ der Katholiken) und schlagerselig-profane „Stille Nacht“-Verhunzungen. Der Kopf ist schwer. Nicht nur von den Firmen-, Freundeskreis- und Branchen-Feiern der letzten Tage und Wochen.

Denn wieder mal, so die vorauseilende Jahresbilanz, bin ich nicht fertig geworden mit meiner Jahres-CD. Ist ein alter Brauch, quasi Weihnachts-Folklore. Für die liebsten Freunde bastle ich da eine persönliche „Greatest Hits“-Compilation des Jahres. Strikt eklektisch, streng subjektiv, prickelnd individuell. Da sind abseitige Fundstücke dabei, jenseits der Jahrescharts von FM4, „Spex“ & Co, einige Common Sense-Kleinode, handselektierte Highlights aus der eigenen Musikmanufaktur (etwa „Fashion“, ein Song der neuen heimischen Pop-Götter Ginga. Oder das zum Lichterfest hinreichend provokante Liedlein „Es gibt kan Gott“ des wiederauferstandenen Protest-Barden Sigi Maron). Mindestens ein Stück von meinem Lieblingsalbum des Jahres, „Brother“ von den Black Keys. Könnte etwa „Tighten Up“ werden. Und natürlich die peinlichsten Lieblingssongs, die man gerne in der Badewanne trällert (anno 2010 war das Hurts’ „Wonderful Life“, eine Synthiepop-Hymne mit bittersüssem Retro-Geschmack).

Diese Zusammenstellung wird tage-, nein: wochenlang überlegt, abgestimmt, verworfen, neu begonnen und letztendlich final auf eine Compact Disc gebrannt. Was heisst auf eine. Auf dutzende Rohlinge. Die wiederum zur Abrundung mit einer Aufschrift und einem Cover versehen, eingetütet und per Post (oder auch persönlich) an die Adressaten übermittelt werden. Diese revanchieren sich bisweilen mit einer eigenen, selbstgebrannten Jahres-CD. So geht das hin und her. Und allerorten rotieren die CDRs und surren die Brennmaschinen. Wie gesagt: ein schöner, alter Brauch. Mit einem gewissen Aktualitätsanspruch.

Wobei: technisch auf der Höhe der Zeit ist’s ja nicht mehr ganz, diese Prozedur. Früher waren es Cassetten, mühevoll 1:1 kopiert und handbeschriftet. Die Meldung, dass Sony dieses Jahr die Produktion des allerletzten „Walkman“-Modells eingestellt hat, lässt inzwischen auch Nostalgiker relativ ungerührt. Tapes, anyone? Schweigen im Walde. Dafür dürften sich die Server-Downloads und MP3-Bundles, die behend durch Glasfaserleitungen und auf Festplatten flutschen, vermehren wie die Karnickel unter der Infrarot-Wärmelampe. Besonders romantisch sind aber, pardon, solche Digitalklone und Null-Eins-Kettenbriefe nicht. Eher etwas für kühle Pragmatiker und atmosphärische Agnostiker. Es geht nichts über den handgeschnitzten Tonträger.

Höre ich da irgendjemanden im Hintergrund murmeln, derlei wäre illegal? Von wegen Kopierschutz und Copyright und…? Sorry, das ist natürlich engstirniger Unsinn. Formal – ich bin kein Jurist, glauben Sie mir einfach –, und dem Sinn nach erst recht. Selbst als mich Freund S. vor Jahren in einer „Kurier“-Kolumne öffentlich outete als jemand, der – noch dazu als Musikindustrie-Heini! – gut und gern zwanzig selbst erstellte Jahres-CDs verschickt, blieb das grosse Aufheulen aus. Warum? Weil die „Privatkopie“ nie privater ist als in einem Kontext aus Tannenduft, Geschenkpapierrascheln und frohen Wünschen für ein gutes neues Jahr. Weil es wohl letztendlich gar keine bessere Werbung für Musik gibt als persönliche Empfehlungen und Fingerzeige. Und weil Hören allemal mehr bringt als Reden oder Schreiben.

In diesem Sinne: Frohe Weihnacht! Gröbchens XXX-Mas-CD ist dann spätestens im Frühjahr fertig.

Postings sind der neue Punk

31. August 2010

Einst gefürchtet als Großinquisitoren im Namen von Geschmack und Kultur, sind Musikjournalisten heute in der Defensive. Denn die Kritiker der Kritiker werden – vornehmlich online – mehr, lautstärker, zudringlicher. Und selbstgerechter.

„Posting sind der neue Punk!“ bekam ich neulich zu lesen. Und zwar in der neumodernen Selbsterkenntnis-Arena „Facebook“, mithin halb unter Freunden, halb öffentlich. Der Absender der Botschaft war einer der hauptberuflichen Pop-Kritiker des „Standard“, der offensichtlich gerade ein paar Watschen im Online-Forum seines Mediums ausgefasst hatte. Natürlich nur virtuell. Aber der gewollt originelle, bisweilen deftig-derbe Ton des Herrn – wenn ich mich recht erinnere, hatte er einige treffliche Anmerkungen zum Line-Up des „Frequency“-Festivals gemacht – schien nicht bei allen Lesern auf Begeisterung gestossen zu sein. Im Gegenteil.

Die Empörung brach sich in dutzenden, wenn nicht gar hunderten Postings Bahn. Ihr Tenor (Ausnahmen bestätigten die Regel): böse alte Männer verstehen die Welt nicht mehr, der Kritiker sei taub, geschmacklos, verbittert („gescheiterter Musiker?“), mieselsüchtig oder generell unfähig (eventuell auch alles zusammen), derlei sei eines Qualitätsmedums nicht annähernd würdig… Und so weiter. Und so fort. Knapp, dass nicht Lynchjustiz angedroht wurde. Einige der Kritiker-Kritiker wüteten absichtsvoll unter der Gürtellinie, andere versuchten es ihrem Haßobjekt gleichzutun und wohlgesetzte Worte zu finden. Worte, die wie Nadelstiche pieksen. Oder wie Axthiebe treffen. Ein kurzweiliges Schlachtfest insgesamt, diese Expertenerregung samt postwendender Privaterregung.

Business as usual? Faktum ist, dass Journalisten heute nicht mehr im einsamen Kritikerkammerl vor sich hin werken. Oder einen exklusiven Blick aus den Höhen ihres Elfenbeinturms geniessen. Der Leser, Hörer, Seher – kurzum: der Medienkonsument – redet mit. Gibt seinen Senf dazu. Reagiert, exzerpiert, kommentiert. Egal, ob gefragt oder ungefragt.

Die one-to-many-Kommunikationswege der Vergangenheit gehören mittlerweile wirklich der Vergangenheit an. Und wurden durch einen elektronischen Wirtshaus-Stammtisch ersetzt, an dem jeder zu Wort kommt, der meint, etwas zu sagen zu haben. Oder zumindest etwas sagen zu müssen. Publikumsbeschimpfungen ohne Publikumsbeteiligung sind aus der Mode geraten. Kritiker, sagen Kulturwissenschafter, haben ihre Deutungshoheit verloren. Immerhin haben die meisten ihren Job noch.

Den geifernden Unmut, der einem bisweilen in dieser Rolle entgegenschlägt, halte ich für demutsfördernd. Ich zähle nicht zu jenen Schreiberlingen, die trotzig behaupten, es sei unter ihrer Würde (oder jedenfalls nicht gut für’s Seelenheil), auch nur einen Blick in die Online-Foren des „Standard“, des ORF oder des Zwerg-Bumsti-Magazins zu werfen. Und die vox populi solchermassen mit Verachtung strafen. Und beinharter Ignoranz. Kurioserweise dringen dann auf verschlungenen Wegen doch immer wieder Stimmen, Kommentare und Meinungsbrocken zu den sensiblen Geistern vor. Und machen sie ganz unrund. Selten, dass Kritiker auf ihre Kritiker so beherzt kühl (im Sinne von „cool“), ja beinahe freudig erregt reagieren wie der eingangs erwähnte Kollege. „Postings sind der neue Punk!“, das hat doch was. Für sich.

Denn: wie in einem M.C.Escher-Vexierbild gilt es auch dem p.t. Publikum einen Spiegel vorzuhalten. Und die eine oder andere sinnentleerte Fratze und Rumpelstilzchen-Pose zu entlarven. Tja, meine Damen und Herren Leser, Künstler, Fans und Nebenerwerbsexperten: warum lassen Sie sich gar so leicht provozieren? Irritieren? Zu emotionsgeladenem Feedback hinreissen? Es ist ja wohl nicht die Aufgabe eines kritischen Journalisten, alles und jede(n) gut zu finden. Ausschliesslich Fakten zusammenzutragen. Alles bis ins letzte Detail durchzuargumentieren. Oder Seriosität mit Todeslangweile gleichzusetzen. Eine unterhaltsame Kritik – Unterhaltsamkeit ist die erste Tugend jeglicher Zeilenschinderei – muss auch nicht (pseudo-)objektiv, konstruktiv oder apodiktisch sein. Ein krachender Verriss kann weit erregender, erkenntnisbringender und kurzweiliger ausfallen als das streichelweiche Gegenteil. It’s a tough job but someone’s gotta do it.

Lernen wir, uns daran zu ergötzen. Lernen wir zumindest, damit kühl umzugehen. So wie die Kaste der Kritiker lernen muss, dass sie nicht mehr allein auf weiter Flur den Ton angibt. Sondern hinter jeder Ecke Stachelköpfe, Nadelträger und Cyber-Punks rumlungern. Postings rule OK!

Es gilt die Unmutsverschuldung

5. August 2010

Popkultur & Fernsehen, das geht gut zusammen. Auf der ganzen Welt. Nur nicht im Österreichischen Rundfunk. Warum nicht? Darüber darf gerätselt werden. Was allerdings – bald – nicht mehr gilt, ist die Unschuldsvermutung.

Österreich ist ein Biotop ungenierter Klientelpolitik. Ob Betriebskrankenkassen oder Beamtenprivilegien, Parteienfinanzierung oder ÖBB-Pensionisten – jede Berufsgruppe, jeder Interessensverband, jeder Kleingartenverein hierzulande hat im Lauf der Jahre irgendeine Lücke erkannt, einen Subventionsgeber aufgetan, einen schlaumeierischen Vorteil herausgeschunden. Und im Aktenordner mit Wortbeiwerk wie „wohlerworbene Rechte“, „Vertrauensschutz“ oder strikt „im Interesse des Allgemeinheit“ abgeheftet. Wäre man (all)gemein, eventuell sogar ein Volksvertreter, der diese Funktion ernst nimmt (und sich nicht nur seiner Lobby, seinem Sparverein, seiner Klientel verpflichtet fühlt), müsste man den Dingen auf den Grund gehen. Und sie gegebenfalls ändern. Oder zumindest ändern wollen. Dieser Wesenszug ist aber dem gelernten Österreicher nicht eigen: wozu die Dinge an-, um-, aufrühren? Das war schon immer so, warum sollte es jemals anders sein?

Diese Vorrede habe ich mir von der Seele geschrieben. Denn es scheint auch die conditio sine qua non für eine Thematik zu sein, der ich diese Kolumne widmen möchte: Popkultur im Fernsehen. Speziell im österreichischen Fernsehen. Insbesondere in den Programmen des ORF. Ich blättere, während ich diese Zeilen schreibe, in einer aktuellen Ausgabe von „TV Media“. „Ein Sommer zum Schunkeln!“ springt mir eine fette Schlagzeile ins Auge. „Der ORF setzt voll auf Volksmusik und Schlager. Der Samstagabend gehört bis zum September Hansi Hinterseer & Co“. Na bumsti!, denke ich mir. Und blättere um. „Fendrich bei den „Helden?“ lese ich da. Der „I am from Austria“-Sänger, laut der Gazette ein „Ausnahmekönner“, soll an Bord der Herbst-Castingshow kommen. Eine offizielle Bestätigung gibt es aber noch nicht. Die werden sich freuen, die Nachwuchshelden und –Heldinnen, dass ihnen ausgerechnet eine leicht verschnupfte Achtziger-Showgrösse Tipps im Umgang mit Medien, Musikindustrie und Managern gibt. Da hat sich ja auch wenig getan, da gelten die alten Spielregeln, da muss man einfach nur frischfröhlich drauflos trällern. Oder?

Ich blättere abermals um. Erste Reihe fußfrei werden nun die Salzburger Festspiele serviert. Denn natürlich muss man sich nicht nach Salzburg begeben, um zu sehen und gesehen zu werden. Zumindest ersteres liefert der ORF frei Haus. Vom „Jedermann“ bis zur Opernpremiere: wenn’s um den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag geht und um den Nimbus der Hochkultur, darf schon mal ein Übertragungswagen ausrücken. Oder eine ganze Armada.

Gut, soll sein. Volksmusik, volkstümliche Klänge, Schlager, Fendrich, Klassik. Aber, meine Damen und Herren am Küniglberg, gab und gibt es nicht auch noch anderes? Pop etwa. Im weitesten Sinne. Nicht: Austropop. Und, nein, ich bin nicht der Meinung, daß dieses Genre mit ein paar Falco-Dokumentationen von Dolezal & Rossacher erschöpfend abgehandelt ist. Oder Video-Zusammenschnitten vom Donauinselfest. Denn zufälligerweise handelt es sich um jenes Musikgenre, das den überwiegenden Teil der Bevölkerung interessiert. Ö3, Radio Wien, FM4 leben davon. Am Rande sogar Radio Burgenland und Radio Vorarlberg. Ich weiss schon: diese Hörer- (und potentielle Seher-)Gemeinde ist relativ unstet. Weil noch beweglich. Geistig und körperlich. Und nicht ganz so anspruchslos wie Hansi Hinterseer-Fans und in Ehrfurcht erstarrt wie „Jedermann“-Zaungäste.

Eventuell nehmen sie die relativ seltenen, eh gut gemeinten ORF-Pop-Angebote nicht zur Kenntnis. Oder jedenfalls nicht in jenem Mass, wie sich das diverse Programmverantwortliche gedacht hätten. Da gab’s etwa erst vor wenigen Monaten eine Übertragung eines Festivals vom steirischen Schwarzlsee, und das im Hauptabendprogramm (!). Leider ein Flop. Was heisst Flop: eine Totalniederlage. Quotenmässig. Vom Image ganz zu schweigen. Dass es vielleicht keine glorreiche Vision war, Acts wie Scooter, DJ Ötzi und Papermoon, Wolfgang Ambros, Heino und Sido zusammenzuspannen, darauf ist man erst im Nachhinein gekommen. Leider steht zu befürchten, dass diese Schnapsidee von Programm(ierung) auf Monate, wenn nicht Jahre hinaus der letzte Anlauf des ORF war, Flagge in punkto Popkultur zu zeigen. Was natürlich ebenso zynisch wie fatal wäre.

Keine Ahnung, welche „Experten“, Pop-Kenner und (Untergangs)-Propheten den ORF beraten. Und welche Klientelkapitäne, Industrievertreter und Lobbyisten meinen, der Sender dürfe nur Volksmusik, Klassik und Schlagernächte zeigen. Und damit auf offene Ohren stossen. Während andererseits Wrabetz & Co. offensichtlich nicht mal erwägen, den Musikpreis „Amadeus“ auszustrahlen – hier springt wieder mal Puls 4 ein – oder ein zeitgemässes Pop-Format zu entwickeln. Hier zeigt Servus TV, was denk- und machbar ist. Schade, denn die Musikszene dieses Landes ist vital, vielfältig und vielversprechend wie selten zuvor. Insbesondere im Off-Mainstream-Sektor. Und es geht hier – auch – um Geld. Investitionen. Zukunftsinvestitionen, eventuell.

Bleibt noch abzuwarten, was dem ORF zum Songcontest einfällt. Immerhin hat man sich nach jahrelangem Trotzwinkerlexil für 2011 – heiliger Stefan Raab, bitt’ für uns! – wieder zur Teilnahme entschlossen. Wetten, dass ein Reagenzgeschöpf der „Helden“-Riege antreten darf, nein, muss?

Noch gilt die Unschuldsvermutung. Bald wohl aber die Unmutsverschuldung.

Im Bauch von Bombay

8. März 2008

Der Grossteil der heimischen Pop-Elite ist „weltberühmt in Österreich“. Von kosmopolitischem Erfolg lässt sich aber erst erzählen, wenn man etwa in einer Stadt reüssiert, die allein dreimal soviele Einwohner hat wie die gesamte Republik. Was der Accapella-Truppe Bauchklang in Mumbai gelang, dem wirtschaftlichen Zentrum Indiens. Eine Magical Mystery Tour. 

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Vorab, zur Klarstellung (hat hier gerade noch irgendjemand etwas von „Dritter Welt“ gemurmelt?): Mumbai hat eine bessere Presselandschaft. Die deutlich bessere, wachere, gütigere Presselandschaft jedenfalls im Vergleich zu unserem medialen Alpen-Streichelzoo. Man male sich, um dieses Urteil ähnlich rasch und ultimativ fällen zu können wie der Autor dieser Zeilen, folgendes Szenario aus: eine weithin einzigartige, doch letztlich auch höchst exotische Pop-Attraktion wählt den umgekehrten Weg und landet, aus Indien kommend, in Wien. Und macht hier drei Tage lang Station. Ich wette, kein Schwanz würde auch nur eine Zeile schreiben. Sieht man eventuell von Blog-Aktivisten mit einem Schuss Goa in den Genen ab.

In Mumbai aber überschlägt sich die Presse schon in der Luft, bevor Bauchklang auch nur einen Ton von sich geben. Das „Time Out Magazine“ bringt einen ersten Vorbericht. Die „Hindustan Times“ und der „Mumbai Mirror“ ziehen nach. „Radio One“ bittet ins Funkhaus. Selbst der legendäre „Rolling Stone“, lokal frisch am Markt, hält Hof. Für das Quintett, dessen Wurzeln im beschaulichen Umfeld von Sankt Pölten in Niederösterreich liegen, ein ermunterndes Signal. Schliesslich ist man nicht an die westindische Küste aufgebrochen, um mit gehobenem Strassenmusikantentum ein paar Urlaubstage zu finanzieren. Im Gegenteil. Das „Blue Frog“, so der Name und das Logo des Gastgebers, ist der hippste, grösste, feinste Club des ganzen Subkontinents. Und Bollywood klopft auch an. Aber alles der Reihe nach.

Von oben, vom Flieger aus sieht die Stadt eigentlich recht harmlos aus. Was vielleicht daran liegt, daß ihre Grenzen nicht recht abzustecken sind auf einer imaginären Landkarte und nächtens der Lichterschein weniger gleissend, dicht und stolz funkelt als in vielen urbanen Knotenpunkten dieses Planeten. Aber Mumbai, bis Mitte der neunziger Jahre landläufig unter dem Namen Bombay bekannt, ist eine gewaltige Metropole. In jeder Hinsicht. Das wirtschaftliche Zentrum Indiens. Die wichtigste Hafenstadt eines Erdteils. Kulisse von Bollywood, der weltgrössten Filmindustrie-Maschinerie. Und wenn wir schon bei Superlativen sind: ob diese Metropole jetzt die bevölkerungsreichste der Welt ist (im engeren Sinne: 13,7 Millionen Einwohner zählt Mumbai bereits ohne Vorortegürtel, mehr als 21 Millionen die gesamte Region, aber die Behörden sind eher auf Schätzungen angewiesen denn auf exakte Statistiken) oder nur die fünftgrösste, ist relativ.

Relativ egal, da einen Mumbai vulgo Bombay – beide Namen stehen in Verwendung – bei gleissendem Tageslicht anspringt wie ein als (Wirtschafts-)Tiger getarntes Alien. Was der Reiseführer in sachlich-unterkühlter Diktion „unzureichende Entsorgungs- und Reinigungskapazitäten für Abwasser, Abgase und Abfälle nennt“, dringt schon wenige Minuten nach der Landung in Mund, Nase, Augen. Es stinkt. Mitreisende in einem der Abermillionen schwarzgelben, Trabant-artigen „Premier“-Taxis (die rasch zur mobilen Standardbehausung mutieren, obwohl ein durchschnittlicher Europäer noch nicht mal ohne Rückenverkrümmung drin sitzen kann) witzeln, selbst die Luxushotels in der Nähe des Flughafens hätten ein Problem, das sich mit Luftfiltern, Ventilatoren und Raumdeos nicht lösen liesse: die Stadt selbst.

Diesen Moloch von Stadt. Menschen, Menschen, Menschen, wohin das Auge blickt. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Dann sind die Bettdecken oft aus Asphalt. Ein Ameisenhaufen auf Amphetamin. Oder Chai Tee. Etwa die Hälfte der Bevölkerung Mumbais lebt in Slums, ohne Wasseranschluss und Kanalisation. Daß der jährlich vier Monate lang anhaltende Monsunregen die Megatonnen an Müll, Schlamm, Staub und Smog regelmässig hinwegspült wie eine Sintflut, löst das Problem nicht. Im Gegenteil. Es verschärft die Situation. Die unabwendbare Vermengung von Nutz- und Abwasser ist Seuchenherd Nummer eins. Impfungen sind nicht Pflicht, werden aber dringend angeraten. Die Bevölkerungsdichte – etwa die zehnfache einer durchschnittlichen europäischen Metropole – ist abnorm. Die kaum je absente Hitze wirkt wie ein zusätzlicher Brennspiegel. Babylon lässt grüssen.

Apropos: die Sprachverwirrung hält sich – trotz zweihundert in diesem Schmelztiegel der Kulturen gebräuchlicher Sprachen und Dialekte – in Grenzen. Englisch liegt offiziell nur an zwölfter Stelle der Nutzer-Statistik. Und wird hier doch so gut wie jedem gesprochen. Zumindest rudimentär. Oder äusserst elegant. Und mit kosmopolitischem Selbstverständnis. Wie im Fall von Dhruv Ghanekar, einem Musiker, Studiobetreiber und Gesellschafter des „Blue Frog“. Er ist die eigentliche Triebfeder hinter der Einladung an die Bauchklang-Jungs. Daß Philipp Sageder, ein Fünftel der Acappella-Formation, mit einer Inderin liiert ist, baldige Hochzeit inbegriffen, hat wohl auch mitgeholfen. Und über die Qualität von Bauchklang, die hierzulande zu den Publikums- und FM4-Lieblingen zählen, zwei „Amadeus Awards“ kassiert und zuletzt das Album „Many People“ veröffentlicht haben (ein neues ist in der Pipeline und darf im Herbst erwartet werden), besteht nach kurzem Online-Check selbst im fernen Osten kein Zweifel. Aber ganz ohne ist so ein Trip über den Indischen Ozean dann doch nicht. Bei aller Mystifizierung potentieller „Magical Mystery Tours“, die schon berühmtere Kollegen nach Bombay, Delhi und darüber hinaus lockte (allen voran die Beatles mit ihrem Abstecher zum erst kürzlich verstorbenen Yogi Maharishi), stellt sich rasch die Frage: wie reagiert das Publikum – so es denn kommt – auf Breitwand-Klänge aus dem Bauch der westlichen Pop-Kultur? Und wer, bitte, ist eigentlich das Publikum?

Letzteres zumindest lässt sich rasch beantworten. Das „Blue Frog“ ist ein Hedonisten-Tempel der oberen Zehntausend von Mumbai. Und das bedeutet – hier existiert nackte Armut neben fast schon obszönem Reichtum, oftmals Tür an Tür – wirklich, sagen wir mal: konsequenten – Hedonismus. Die Jeunesse d’oré Mumbais ist hier geschlossen (in jeder Hinsicht des Wortes) versammelt. Der Fahrer, der uns tagelang durch Mumbai kurvt, durch groteske Staus und archaisch-anarchistische Regel-Absenz, weigert sich mitzukommen, obwohl er von der Band persönlich eingeladen wird. Sorry, no way. Ein reservierter Tisch in dem seventiesmässig UFOesk elegant gestylten Club, der erst vor wenigen Monaten eröffnet wurde, kostet mehr, als andernorts eine ganze Familie im Monat verdient.

An der Adresse D/2 Mathuradas Mills, N.M. Joshi Marg Lower Parel, Mumbai 13 würde man diesen Hort weltläufigen Kultur-Inszenierung – das Areal birgt auch einen Studiokomplex und ein geräumiges Büro – nicht vermuten. Es riecht nach Hühnerbatterie. Das tut es aber fast immer. Und überall. Nebenan ist eine Spinnerei. Um die Ecke eine Nähmaschinen-Werkstatt, Modell Singer ca. 1952. Trübes Licht taucht die üblichen Hinterhof-Fabriken, aus denen einem dutzende aufgeschreckte Werktätige entgegenblinzeln, in die Camouflage-Färbung schamhaften Old School-Unternehmertums. Dhruv Ghanekar aber strahlt übers ganze Gesicht. Er hat auch allen Grund dazu.

Bauchklang biegen Bombay. Okay, sagen wir’s auf herkömmliche Art: sie rocken, bezwingen, erobern diese Stadt. Nur mit ihren Stimmen. Und einer gehörigen Portion Charme, Diplomatie und Kommunikationsfreude. An zwei von drei Abenden stehen mit dem Tabla-Maestro Ustad Zakir Hussain und dem Percussionisten Taufiq Qureshi plötzlich zwei örtliche Superstars in einer Reihe mit Andreas Fränzl, Alex Böck, Gerald Huber, Christian Birawsky und Philipp Sageder auf einer Bühne. „Ach was, Superstars“, flüstert man mir ergriffen ins Ohr. „Das sind hier Götter!“. Generell schwankt das Publikum, das wenig bis nicht mit Beatboxing und Mouth Percussion, dem Instrumentarium des „Vocal Groove Projects“ (Eigendefinition) Bauchklang vertraut ist, zwischen starrer Faszination und begeisterten Anfeuerungsrufen. Hier agieren Sampling-Apparate aus Fleisch und Blut. Noch dazu mit hübschen, blassweissen Gesichtern. Schnöde Genre-Schubladen wie Ragga, HipHop, Drum’n’Bass, World Music und Elektronik scheinen hier niemanden zu interessieren. Die pure Energie, hemmungslose Vitalität und kopfhautmassierende Vibrationsmächtigkeit des Quintetts allerdings schon. 

Auch Bollywood kann – und will – sich dieser Wucht nicht entziehen. Die Einladung, am Soundtrack des Action-Reissers „Drona“ mitzuwirken, einem Film, von dem halb Indien schon Monate vor der Premiere spricht, kommt bald von Dhruv. Am vorletzten Tag geht’s ab ins Studio, um Standard-Synthesizer-Sounds mit menschlichen Stimm-Spuren aufzufetten. Allgemeine Aufgekratzheit, satte Zufriedenheit auf Seiten der Produzenten. Möglichkeiten weiterer Zusammenarbeit werden spontan erörtert. Irgendwie greift allmählich, aber immer deutlicher die Überzeugung Raum, daß dieser Indien-Ausflug nicht der letzte seiner Art bleiben wird und muß. If you can make it there you can make it anywhere. Oder so. Schliesslich ist schon ein Bruchteil der Bevölkerung Mumbais in absoluten Zahlen ein Millionenpublikum. Und daß es boomt in diesem Eck der Welt, die Autoindustrie (Tata!), der Handel, die Computerei, das ist unübersehbar. Daß dennoch viele – noch – nicht nach Bauchklang gieren werden, weil das Knurren ihres eigenen Magens unüberhörbar ist, leider auch.

Dem „Weltberühmt in Österreich“-Syndrom entkommen Fränzl & Co. mit Gastspielen wie diesem allemal. Das hat das Quintett immer schon vom Grossteil der heimischen Szene separiert: Selbstbewusstsein, Eigenwilligkeit und Gelassenheit. Und eine unangestrengte Internationalität, die in einem Tondokument „Bauchklang live in Bombay“ ihren bisherigen Höhepunkt gefunden hätte. So er denn je auf den Markt kommt. Kann gut sein, daß die fantastischen Fünf in absehbarer Zukunft eher weniger Interesse an alten Formaten, Medienkanälen und Spielorten haben.

Hier spielt die Musik!

10. September 2007

Der gebürtige Oberösterreicher und frühere ORF/FM4-Mitarbeiter Martin Stiksel ist einer der Gründer von Last.fm – “The Social Music Revolution”, der erfolgreichsten europäischen Web 2.0-Community und einer der grössten weltweit mit ca. 20 Millionen Usern und monatlich 20 Prozent Wachstum. Last.fm wurde im Mai 2007 für 280 Millionen Dollar an den US-Konzern CBS verkauft. Der Aufbau, die Übernahme und weiteren Zukunftsaussichten des Projekts ergeben eine der bemerkenswertesten internationalen Wirtschafts-Stories der letzten Jahre.

Last.fm ist eine nicht ganz unkomplexe Angelegenheit. Kannst Du uns Dein Unternehmen kurz erklären?

Last.fm gibt Musik im Netz ein Zuhause. Wie bringen alle Services zusammen, die mit Musik zu tun haben. Was Last.fm speziell macht, ist das Angebot zu personalisieren. Wir finden raus, welche Art von Musik du magst, und wir präsentieren nur jene, die relevant ist für dich.

Nun impliziert schon der Name einiges. Last.fm: das letzte Radio, oder das Radio, das alle anderen überdauert…

Glory oder Failure! Entweder wird Last.fm wirklich das letzte, sprich: ultimative Radio, oder es ist das Allerletzte, von niemandem akzeptiert. Auf jeden Fall ist es eine Alternative zu den ganzen langweiligen Formatradios.

Wie verlief die Geschichte von Last.fm, eine der bislang wenigen wirklichen Web 2.0-Erfolgsstories, aus Deinem Blickwinkel?

1999 habe ich einen der jetzigen Partner, Felix Müller, bei einem Konzert kennengelernt. Wir haben damals sehr viel mit Napster rumgespielt und waren richtige Computer-Nerds. Nach zwei Wochen Napster-Intensivnutzung ist uns aufgefallen, daß wir nichts Neues entdecken. Wir hatten alles runter geladen, was uns gefällt, und partout nichts Neues kennengelernt. Dann haben wir das Feature entdeckt, daß man die MP3-Sammlung, also eigentlich den „Shared Folder“ einer Person, auf Napster browsen kann. Diese Idee hat uns sehr inspiriert. Wir hatten damals eine Online-Plattenfirma, „Insine“, und waren innerhalb kürzester Zeit mit großartiger Musik überflutet, die aber keiner kannte. Also haben wir uns die Frage gestellt: wie können wir diese Musik an die richtigen Leute und in deren Ohren bringen, ohne großartig Playlists bauen zu müssen oder Promotion-Aktionismus zu veranstalten. Wir wollten sicherstellen, daß die Musik die Leute automatisch findet.

Ab 2002 haben wir konkret an Last.fm zu arbeiten angefangen. Sehr enthusiastisch. Wir haben gedacht, das ist ja eine großartige Idee, da haben wir sicher gleich mal Funding, sprich: potente Investoren an der Hand, und das geht dann ganz leicht. Es war natürlich nicht so. Damals war grad der Gerichtprozess am Laufen, wo man Napster in Grund und Boden verklagt hat, und diese Klage hat die Online-Musikszene um Jahre zurückgeworfen. Weil eben alle Leute verschreckt waren von den Klagen der Plattenfirmen. Wir haben trotzdem weitergemacht. Mit Minimalbudget. Alles Geld, das wir zusammenkratzen konnten, reingesteckt – Ersparnisse, Zuschüsse der Eltern… 2003 haben wir uns mit „Audioscrobbler“ zusammengeschlossen, mit Richard Jones, der Plug-Ins entwickelt hatte, die mit iTunes, Windows Media Player und Winamp zusammenspielen und auflisten, was ein User auf seinem persönlichen Computer so tagtäglich abspielt. Das führte zur automatischen Erstellung eines Musikprofils. Und war die andere Seite der Medaille, die wir noch brauchten, um unser System vollständig zu machen.

Klingt einfach. War es wahrscheinlich aber nicht.

In der Tat. Richard ist nach London gezogen, hat dann ein paar Monate im Zelt auf der Dachterrasse schlafen müssen, weil wir wirklich null Geld hatten. Felix hat einmal am Tag für unsere Leute – wir waren damals zu dritt oder zu viert – gekocht. Das hat das Team zusammengehalten. Es war eine lange Durststrecke, bis ungefähr Ende 2005, wo wir die Seite neu gelauncht haben mit einem eleganteren Design. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir eine Million User, während es vorher nur ein Bruchteil war. Dann war auch die Flaute vorbei, was das Funding angeht, und wir hatten zum ersten Mal Geld zur Hand, um wirklich wachsen zu können. Vorher war das eher eine Gefahr, weil uns die Server ab und an abgeraucht sind, wenn zu viele Leute gleichzeitig Last.fm hören wollten.

Kurze Zwischenfrage: Was hat Napster eigentlich falsch gemacht? Mit dem Einstieg des Mediengiganten Bertelsmann hatte man das Gefühl, da gewinnt eine kühne Idee eine seriöse Business-Unterfütterung. Aber schon nach wenigen Monaten kam das Aus, und das Unternehmen führt heute nur mehr ein Rand-Dasein.

Es ist oft so, dass nicht nur die Letzten die Hunde beißen, sondern auch die Ersten. Die waren einfach zu früh dran. Viele ihrer Konzepte waren total revolutionär. Nur, ich glaube, die Leute die damals Breitband hatten, um Tauschbörsen-Angebote zu nutzen, waren nicht die, die Musik sukzessive kaufen würden Das war eine sehr, sehr frühe Avantgarde, nicht der breite Konsummarkt.

Die Musikindustrie ist heftig kritisiert worden. Der Vorwurf lautet, sie hätte die Entwicklung verschlafen, ihre Manager wären Betonköpfe, würden eigentlich nur unschuldige Kids verklagen… Siehst du das differenzierter?

Große Unternehmen ändern sich nur schwer. Wenn du tausende Mitarbeiter hast, die auf ein Geschäftsmodell eingeschossen sind, das bis vor kurzem ziemlich gut funktioniert hat, dann kann man sich nicht so schnell ändern. Da ist auch Beton, auf jeden Fall. Ich weiß nicht ob’s eher Betonköpfe sind oder Betonfüße, aber auf jeden Fall ist man nicht mehr so flexibel. Und ich glaub’ einfach auch, daß die Musiklabels nicht wirklich realisiert haben, daß sich nun alles so revolutionär ändern würde.

Bevor ich zum millionenschweren Kauf von Last.fm durch CBS komme, sollten wir noch mal ganz kurz auf diese Start Up-Romantik eingehen – von wegen Zelt auf dem Balkon… Das mag ja im Rückblick durchaus eine aufregende Episode gewesen sein, aber wahrscheinlich wird es genug Leute gegeben haben, die gesagt haben: „ Was treibt ihr da eigentlich? Seid ihr verrückt?“

Auf jeden Fall. Es gab lange Durststrecken. Nachdem die erste Euphorie verflogen war, war die harte Realität da. Es war die Idee, die uns zusammengehalten hat. Am Anfang mit „Insine“ waren wir noch ein Kollektiv, eine grössere Gruppe. Da waren Designer dabei, Programmierer, Musiker. Es waren zunächst viele Österreicher und Deutsche, aber auch Italiener und Litauer und Schweden… Im Prinzip sind viele Leute auf der Strecke geblieben, die einfach irgendwann gesagt haben: „Na, das zahlt sich nicht mehr aus. Das wird nix mehr.“ Im Nachhinein verklärt man immer die Entwicklung, aber es waren auf jeden Fall Opfer zu bringen. Ich kann jetzt meinen ersten Urlaub in dreieinhalb Jahren antreten. Nächste Woche. Ich weiß aber nicht wirklich, was ich machen soll im Urlaub. Ich hab das ein bisschen verlernt.

War denn London ein logisches Ziel?

Was Musik betrifft, ist London einfach wirklich einer der besten Plätze. Viele Trends und neue Entwicklungen haben diese Stadt als Durchlauferhitzer. Die Engländer sind Spezialisten darin, irgendwelche Sachen aufzugreifen, neu zu verpacken und wieder zurückzuverkaufen. Das hat ja schon angefangen mit den Beatles und Stones. Die haben da eine lange Tradition und es gibt dafür eine gute Infrastruktur. Für die Cultural Industries, wenn man das so bezeichnen will.

Dem Klischee entsprechend wäre das Silicon Valley der richtige Ort gewesen.

Das ist ziemlich fad. Da tut sich nicht viel. Und ich glaube wir wären da auch sehr derivativ geworden, wenn wir dort rumgehangen wären. Dort redet jeder mit jedem, und in London waren wir freiwillig in einer Art Isolationszustand. Ich glaube, das hat geholfen, uns wirklich zu fokussieren.

Gibt’s jetzt auch Ex-Kollegen und Mitstreiter, die sich jetzt nach dem CBS-Deal in den Arsch beißen?

Ich glaube, da gibt’s nicht wenige, die jetzt erst wirklich erkennen, was wir damals gemacht haben. Die verstehen das erst jetzt, nachdem eine große Summe auf dem Papier steht. Zuvor, wenn man sagt, man hat 20 Millionen User, die die Website regelmäßig nutzen, das bedeutet eigentlich für niemanden etwas, das ist abstrakt. Und das hat uns eigentlich angetrieben. Diese Zahl. Und das gute Feedback, die Akzeptanz der User, jener Leute, die es wirklich verstanden haben, die wirklich begeistert waren davon.

Bist du jetzt Multimillionär?

Das ist eigentlich nebensächlich. Es hat sich nicht wirklich etwas großartig geändert hier in der Firma. Der Weiterbestand ist gesichert. Wir waren gerade auf dem Scheideweg – entweder noch mal Geld aufnehmen von Investment-Partnern oder eben die Liaison mit CBS eingehen. Diese Konstellation gibt uns einen freien Kopf. Unsere White Boards sind voll mit Ideen von vor drei Jahren, die wir einfach noch nicht umsetzen konnten, weil wir immer Woche für Woche überleben mussten. Das ist schon ein sehr befreiendes Gefühl.

Der Einstieg von Venture Kapital-Gebern ist üblicherweise ein richtiger Knackpunkt. Vom Nerd und Musikliebhaber zum knallharten Manager, der sich mit Finanzierungs-Fragen herumschlagen muss, ist ja ein weiter Weg.

Die einzige Chance, die wir hatten, war Vollgas drauf zu steigen und so viele Leute wie möglich zu begeistern. Das setzt aber technische Infrastruktur voraus, das setzt ein gewisses Development Level voraus, mit anderen Worten: das kostet einfach Geld. Das Internet ist ja ein harter, kapitalistischer Spielplatz, wo eigentlich im Prinzip immer nur einer übrig bleibt in einer Kategorie. Als Suchmaschine gibt’s Google, als Buchladen Amazon, für Auktionen ebay. Wenn einer mal der dominante Player in einem Bereich ist, dann war’s das. Und um da mitspielen zu können braucht man ein gewisses Startkapital, sonst hat man verloren von vornherein.

Wenn das Prinzip gilt: es kann quasi nur einen geben – ist Last.fm im Jahr 2007 schon unangreifbar?

Na ja. Seit ungefähr einem Jahr gibt es gewisse Projekte, iLike zum Beispiel, die Aspekte von Last.fm, wie soll ich sagen, kopieren. Oder imitieren. Es ist interessant: normalerweise ist es in diesem Markt so, dass die Europäer von den Amis kopieren, dieses Mal ist es umgekehrt. Wie haben uns durchaus ein bisschen geehrt gefühlt.

Die wirklich gewichtigen Investoren, die Last.fm kräftig nach vorn befördert haben – kamen die auf euch zu, oder habt ihr sie gefunden?

Das war so eine Mischung aus beidem. Wir sind auf jeden Fall oft kontaktiert worden mit Investitionsvorschlägen. Allerdings wollten wir einen Geldgeber, der hier in London ansässig ist, und auch eine Geschichte mit Consumer-Internet hinter sich hat. Da gibt’s nur zwei, drei im Endeffekt, und dann haben wir halt so ein bisschen Show gemacht und jeden getroffen. Es geht in erster Linie um die Personen an sich. Kann man mit denen arbeiten oder nicht? Wie ist das Bauchgefühl? Und dann waren eben die Index-Leute die besten. Die hatten die Erfahrung mit Skype und Trolltech und den ganzen Open Source Background. Die haben auch sofort verstanden, worum es bei uns geht, und daß es eben nicht nur ein lustiges Social Network mit Musik ist. Sondern daß es sich wirklich um eine neue Art von Unterhaltung und deren Verteilung dreht.

Jeder Investor pokert auf hohem Niveau. Es stand auch ein Deal mit dem MTV-Eigner Viacom im Raum, war in der Presse zu lesen, der offensichtlich höher angesetzt war als der Deal mit CBS.

Es gibt jede Menge Gerüchte. Da gibt’s welche, wo Yahoo eine Rolle spielt oder Apple. Mit Apple zum Beispiel haben wir nie geredet, und die haben nie mit uns geredet. Viel Schall und Rauch. Viacom fällt auch in diese Kategorie.

Warum CBS?

Das hat mehrere Gründe. CBS betrieb die erste Radiostation in Amerika in den zwanziger Jahren. Und sieht jetzt natürlich als großes Medienunternehmen, daß sich viele Dinge ändern und ändern müssen. Sie haben unser Konzept verinnerlicht, daß man dem Publikum Kontrolle über Inhalte geben muss, weil sonst irgendwann mal Schicht im Schacht ist. Unser Konzept umfasst mehr als nur Musik. Es funktioniert genauso mit Videoclips, mit Fernsehserien, mit Filmen. Wir haben schon 2005 last.tv registriert, weil wir uns dessen bewusst waren, dass sich das Konzept ausdehnen lässt. Und dann war da auch die Historie von CBS. „Twin Peaks“ und „Raumschiff Enterprise“ und solche Sachen… (lacht).

Seit ihr jetzt nur mehr als Executives an Bord, oder haltet ihr auch noch Anteile?

Nein, wir sind jetzt Angestellte. Felix ist nach wie vor der CEO, ich bin der CCO, Richard ist der CTO. Also nach wie vor in voller Kontrolle. Die Startup-Phase davor ist immer eine schwierige Zeit, weil natürlich viele Leute hier auch miterlebt haben, daß eine Firma sich von einem Tag auf den anderen in Rauch auflöst. Wir haben Mitarbeiter, die auf radikalste Art und Weise anderswo rausgeschmissen wurden. Nach dem Motto: „Geht mal auf Mittagspause“ und dann war das Büro zugesperrt, und die haben den Leuten die Sachen aus dem Fenster nachgeschmissen. Das heißt, als wir nun im sicheren Bereich angelangt waren, gab es ein großes Aufatmen.

Das heißt, für einige Mitarbeiter von Last.fm hat sich nun Loyalität bezahlt gemacht. Die haben einen sicheren Job, ihr seid jetzt ein seriöser Arbeitgeber, und nicht mehr einfach nur eine anarchistische Nerd-Bude.

Genau, das kommt schon dazu. Gewisse Corporate-Insignien sind ja gar nicht so schlecht. Gesundheitsversicherung und Pensionsplan und solche Sachen. Das hatten wir früher überhaupt nicht.

Kannst du mir aktuelle Eckdaten von Last.fm nennen? Wie viele Angestellte gibt es? Wie viele User? Ich denk, du hast das als Firmenchef ständig parat.

Wir sind jetzt so ungefähr 50 Leute, wachsen aber stark. Das Büro nebenan haben wir gerade übernommen. Dann sind da über 20 Millionen User weltweit und mehr als 3,5 Millionen Musikstücke in unserem Katalog – Tendenz stark steigend. Neben EMI und Warner haben wir nun auch mit Sony-BMG einen Vertrag abgeschlossen, neben Aggregatoren und Independent-Labels, mit denen wir ja schon viel länger zusammenarbeiten. Also neue Musik reinzuholen und neue Musikvideos ist einfach nach wie vor oberste Priorität, und da geht uns die Arbeit auch nicht so schnell aus. Wir wissen, daß ungefähr 100 Millionen verschiedene Songs existieren. Bis wir die alle im Radio haben, das dauert schon noch eine Zeit.

Was ist denn nun genau euer Geschäftsprinzip?

Bezahlte Downloads in Kombination mit Online-Radio – weil es einfach die direkteste und schnellste Art ist, Musik zu beziehen. Das Geschäftsmodell von Last.fm ist dreilagig. Erstens haben wir gezielte Werbung auf der Seite, sogenannte „targeted banners“. Zweitens bieten wir ein Subscription Service mit mehr Musik-Interaktivität und ohne Werbung an; derzeit ist das noch im Beta-Stadium. Und drittens sind da die Affiliate-Verkäufe, da fallen Downloads rein, aber auch CDs, Schallplatten, Konzertkarten und so weiter. Die werden von Dritten bei uns angeboten.

Last.fm wäre im Idealfall die letztgültige Anlaufstelle für Musik im Netz.

Das ist ein guter Slogan. Den sollte ich adaptieren. Das hätte ich sagen sollen zu Beginn unseres Interviews! (lacht)

Kann Last.fm diese Rolle erfüllen? Und, wenn ja: welche Auswirkungen hat das letztendlich auch auf die Radiostationen dieser Welt bzw. auf die Musikindustrie. Da steckt schon Sprengkraft drin.

Auf jeden Fall. Ich glaube, was Last.fm erreichen kann ist, so einen ähnlichen Status einzunehmen wie YouTube für Videos. Es ist einfach der größte und zentrale Platz im Web – wenn Leute Video schauen wollen, gehen sie zu YouTube. Ist überhaupt keine Frage. Die haben einfach alles.

Ständig umschwirren uns Schlagworte wie Web 2.0, Social Network, Social Revolution, User Generated Content…. Das ist wohl Knetmasse für Journalisten und Investoren. Auf der anderen Seite gibt’s natürlich auch genug Leute, die sagen: „Bitte lasst uns jetzt mit diesem Scheiss in Ruhe“.

Also ich hab auf jeden Fall erkannt, dass es auch sehr gut ist, Schlagwörter zu haben. Um einfach Entwicklungen zusammenfassen zu können. Das Internet hat sich stark verändert. Es ist nicht mehr nur Jetzt wird es dafür benutzt, wofür es wirklich gut ist: den Leuten die Möglichkeit zu geben, Inhalte zu teilen und sich auszutauschen. Deshalb ist es schon bis zu einem gewissen Grad berechtigt, von Web 2.0 zu sprechen. Ob das Wort jetzt so großartig oder nicht ist, sei dahingestellt. Aber es ist jetzt auf jeden Fall etwas anderes, als es vor zehn Jahren war, oder auch nur vor fünf Jahren. Als wir angefangen haben, war noch nicht einmal Friendster unterwegs. Später haben wir uns gedacht: „Ah, das ist ein Social Network. Die haben da User Profile Pictures und Profile Pages. So ähnlich ist es bei uns ja auch. Gar nicht schlecht“ Und dann, von wegen User Generated Content: wir mussten einfach die ganze Arbeit den User machen lassen. Wir hatten ja keine Personalressourcen, also haben wir das alles abgeladen. Es ist erst später zur quasi-religiösen Überzeugung geworden. Im Nachhinein sieht man dann: ja, ja, ganz klar. Und dann kann man sich auch die Geschichte zurechtlegen und sagen, man hätte das immer schon so geplant.

Du scheinst Dir eine gewisse gesunde Distanz zu all den Modeerscheinungen und Internet-Hypes gewahrt zu haben… Es gibt ja auch genug Entrepreneure, die laufen mit dem „Wired“ rum wie mit der Bibel und erklären die alte Welt für längst tot und die neue zum Heiligen Gral.

Ich glaube, wir sind da eine sehr interessante Generation. Wir kennen das Vorher und das Nachher. Die Generation, die jetzt gerade aufwächst, ganz selbstverständlich mit Internet und Computern, das ist dann schon etwas anderes. Wir sind halt in der ziemlich einmaligen Situation, dass sich Teile unseres Gehirns noch entwickelt haben, bevor es Computer gab. Ob das jetzt besser oder schlechter ist, sei jetzt total dahingestellt. Es ist auf jeden Fall anders. Und ich glaube auch, daß es in unserer Möglichkeit liegt, die besten Aspekte beider Welten zu verknüpfen.

Du hast sicher mal vor Investoren auf einer Tafel Grafiken gezeichnet, nach dem Motto: hier ist MySpace, hier ist YouTube, hier ist Wikipedia und hier sind wir. Bewegt man sich in solch einer Matrix, vergleicht man sich, oder sind das andere Planeten, die man eigentlich nicht wirklich weiter wahrnimmt?

MySpace oder YouTube, das sind auf jeden Fall rote Riesen. Die haben extreme Gravitation. Die ziehen viele Leute an, und verschlucken auch viele. Wir sind ein eher kleinerer Stern. Vielleicht so groß wie die Sonne. Man fühlt sich jedenfalls von der Konkurrenz inspiriert. Wir sind in Kontakt mit MySpace und YouTube und Google. Man kennt einander, hier in London. Was Musik betrifft, ist Last.fm mittlerweile ein ernstzunehmender Player. Und das ist schon von Vorteil, weil das Spielfeld Musik einfach noch relativ ungeklärt ist und unbesetzt ist.

Wer sind den die anderen großen Spieler?

Es gibt Angebote wie Wikipedia oder All Music Guide, die einen riesigen Musikkatalog haben, wo du einfach Informationen nachlesen kannst ohne Ende. Allerdings ist die Navigation und die Verknüpfung zu anderen Musikern nicht ganz so intuitiv. Man muß genau wissen, wonach man sucht, um wirklich die Information rauszubekommen. Dann gibt’s so Sachen wie Pandora, die nur Webradio machen, Recommendation Webradio. Durchaus großartig, aber anders gestrickt als Last.fm. Und dann gibt’s halt Social Networks, die so ein Berührungspunkte mit Musik haben wie Myspace, wo die Leute schauen: „Was macht denn der gerade so“… Facebook ist auch ein ganz krasses Beispiel dafür. Musik ist ja ein großer Teil der eigenen Identität. Wie sich Leute repräsentieren. Wie sie sich abgrenzen oder eingliedern. Last.fm steht da so ein bisschen zwischen all den anderen Angeboten. Und vereint eigentlich die besten Sachen, hoffen wir zumindest, in sich.

Während die Schnittstellen, die Möglichkeiten, Musik zu entdecken und zu konsumieren, im Internet mehr und mehr werden, stirbt der traditionelle Musikhandel. Braucht es eigentlich noch Plattenfirmen?

Nicht nur die Verteilung von Musik ist einfacher als je zuvor, auch die Promotion und die Produktion sind es. Mittlerweile kann ja jeder auf seinem Laptop Musik machen, die sich zuvor nur Pink Floyd leisten konnte. Diese Faktoren haben zu einer Explosion von Musikproduktionen geführt. Um Stars aufzubauen, braucht es aber mehr. Ob das jetzt ein Label ist oder ein guter Manager oder ein PR-Agent, sei mal dahingestellt. Aber es ist auf jeden Fall nicht so, daß der Künstler jetzt wirklich alles selber machen kann und soll. Pop-Ikonen „larger than life“, die wachsen nicht unbedingt aus dem Schlafzimmer raus.

Wie steht es um sensible User, die sagen: „Alles gut und schön. Mir wird etwas geboten, aber ich muss ja auch etwas dafür geben, nämlich meine Daten“. Audioscrobbler erforscht meine Festplatte, erforscht meinen Computer, sieht, was ich spiele. Ich zieh’ mich da in punkto Geschmack ziemlich nackt aus vor der Öffentlichkeit.

Alle Daten, die wir einsammeln, sind auf der Website für jedermann zugänglich. Gratis. Ich glaube, dadurch, daß wir von vornherein immer klar gemacht haben, daß wir das so halten, ist es ein Pro-Argument für viele. Etwa, um ihren eigenen Musikgeschmack ein bisschen zu analysieren und zu vergleichen. Wir haben den Leuten die Möglichkeit gegeben zu sagen: hier ist eine Webseite, nächstes Mal, wenn du mich fragst, welche Musik ich mag, schau einfach dorthin. Da siehst du meine 100 Top-Künstler, und du kannst nachforschen, was ich vor 3 Jahren gehört habe. Bei Last.fm hast du auch die Möglichkeit anonym zu bleiben. Du brauchst jetzt nicht sagen: ich bin der und der, und ich wohn’ dort und dort. Du kannst dich „Joschi23“ nennen, und dann passt das auch.

Du selbst benutzst das Pseudonym „Mainstream“. Ironie?

Nicht wirklich. Einen gewissen Ansatz lieferte das Buch „Der Mainstream der Minderheiten“ von Mark Terkessidis. Er stellt die Frage: wie kann man einem Mainstream gegenüberstehen, der einfach alles sofort absorbiert, und wie lässt sich da Widerstand leisten? Und ich habe mich damals schon gefragt: warum eigentlich Widerstand? Wenn alles wirklich wirklich zugänglich ist, und man braucht nur rausgreifen, was man will und relvant findet, dann ist das gar keine so schlechte Sache. Dann muß man gar nicht unbedingt Widerstand leisten.

Alternative Mainstream, sozusagen. Ich habe mir ein bisschen Dein Profil angesehen. Was ich über dich erfahren habe…

Ich habe aber mehrer Profile, muß ich dazu sagen.

Gut… Aber dieses eine, dieses Mainstream-Profil, sagt mir, Du stehst auf Krautrock, bist 1974 geboren, weil du da auch in dieser Gruppe bist… „born 1974“…. magst Künstler wie Can oder Popol Vuh , Brian Eno, Fennesz. Wer ist denn Martin Stiksel, wenn Du dich selbst vorstellst?

Eine interessante Frage. Ich glaube, viel von der Musik, die da drin ist, habe ich im Zuge der Entwicklung von Last.fm entdeckt. Andere Sachen davon sind meine alten Favoriten. Man hatte früher so seine dreissig bis vierzig Lieblingskünstler – und jetzt sind es tausende. Das ist schon ein sehr interessantes Phänomen. Ich bin nur ein Typ hier in London, ein Musikfan eigentlich. Wir haben halt Sachen gemacht, die wir selber wollten, und dann hat sich herausgestellt, das andere Leute auch noch solche Sachen zu schätzen wissen.

Also mit der Verwirklichung des Traums hat man dann auch wie beiläufig noch den Jackpot geknackt?

Das war ein Nebeneffekt der ganzen Sache. Radio hat mich immer schon extrem fasziniert. Bei uns zu Hause, so lange ich mich erinnern kann, ist immer das Radio gelaufen. Das war eigentlich das Fenster zur großen, weiten Welt, als die „Ö3-Musicbox“ noch um drei Uhr am Nachmittag kam. Total arge Musik mitten am Nachmittag. Und das hat mich dann einfach so hineingezogen.

Eine letzte Frage: wenn du jetzt so zurückblickst die letzten Jahre – gibt’s irgendwas, was du definitiv gerne anders gemacht hättest?

Puh. Schwierig zu sagen. Wenn man da eine kleine Sache ändern würde, wäre wahrscheinlich nicht alles so gekommen, wie es jetzt gekommen ist. Und es ist eigentlich nicht so schlecht gekommen im Endeffekt.

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