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Helden von heute

25. November 1998

Als gestern heute war. Ein Rückblick auf die Musik und Pop-Kultur der „Idealzone“ Wien ’78-’85.

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„Wir hab’n das richtige Weltbild
wir sind ab heute voll dabei
wir haben den Blick in die Zukunft
wir sind die Helden von heute“

(Falco, „Helden von heute“)

„Wir tanzten bis zum Ende
bis zum Herzschlag der besten Musik
jeden Abend, jeden Tag
wir dachten fast, es wär‘ ein Sieg
das war vor Jahren“

(Fehlfarben, „Das war vor Jahren“)

I. DRAH‘ DI NET UM – DAS FALCO-SYNDROM

Natürlich war es Falco, der – aus einem bewußt verengten, lokalpatriotischen Blickwinkel – das Jahrzehnt prägte.

Zyniker meinen allerdings, das größte Pop-Phänomen, das Österreich in den achtziger Jahren hervorgebracht habe – also lange, bevor ein Robert Menasse Kruder & Dorfmeister als Prototypen des neuen, internationalen Staatskünstlertums Bernhardscher Prägung (was immer das sein mag) entdeckte -, seien Dolezal & Rossacher.

Es war und ist weniger die Omnipräsenz der beiden Videoproduzenten, die solche Thesen nährt, als die professionelle Treffsicherheit, mit der sich die „Torpedo Twins“ ihre Wirte suchen – Stars, die Bedeutung und Glanz und Zeitkolorit auch auf parasitäre Dienstleister zu übertragen vermögen. Die Stones, Queen, Zappa, Bowie, Falco: Helden von gestern. Rossacher & Dolezal haben einen guten Teil von ihnen überlebt. Und während die Erinnerung bereits zu verblassen beginnt (dagegen hilft ein gut bestücktes Videoarchiv!), leuchten die knallbunten Sakkos der Torpedo Twins greller denn je. Multimedial. Auf allen Kanälen.

Im Ernst: wenn die achtziger Jahre, zumindest vor der Pop-Kulisse Österreich, erst mit dem Tod von Falco endeten (ein gewiß nicht allzuweit hergeholter Vorschlag), dann sind sie eigentlich noch nicht beendet. Denn noch ist der Rummel, ähnlich jenem um die größte britische Pop-Legende Lady Di, nicht abgeklungen, sondern schwillt zu immer neuen, abgründigeren Höhen der Verehrung und Verklärung an. Falco. Das Begräbnis. Das Video. Die CD. Das Buch. Der Film. Der Rückblick auf Hans Hölzel – jenen Menschen, der vielleicht letztlich daran scheiterte, die Deckungsgleichheit mit seinem alter ego Falco nie wirklich erreichen zu können – ist verstellt durch ein geschäftiges Konsortium. Die Erinnerungsindustrie, en gros / en detail. Helden von heute.

II. DIE GUTEN KRÄFTE

Dezember 1980. Der Satz „Alles schon mal dagewesen“ gehöre zum reaktionärsten Gedankengut, das dieser Planet gesehen hat, verkünden die Künstler Werner Büttner und Albert Oehlen in der Musikzeitschrift „Sounds“. Folglich: „Er blockiert das Leben selbst und sollte jeden Tag aufs Neue widerlegt werden“.

Anfang der achtziger Jahre wurde tatsächlich tagtäglich widerlegt. Sofern man jung war, sprich: jenseits des Stimmbruchs, und neugierig, also diesseits einer altklugen Abgeklärtheit, die einem Sätze wie jenen vom Duo Büttner/Oehlen so heftig angefeindeten erst auf die Zunge zu legen vermögen. Nichts, absolut nichts war „schon mal dagewesen“.

Die erste Konfrontation mit dem, was noch kommen sollte, passierte um ’78. Statt über Barockmusik zu referieren oder kulturelle Liberalität dadurch unter Beweis zu stellen, daß er Übersetzungen von Pink Floyd-Texten zuließ, fiel unser Professor für Musikerziehung am BRG Wien 4 eines Tages ebenso lautstark wie überraschend aus der Rolle. Begleitet von einer zwischen Leichenblässe und erregtem Puterrot schwankenden Hautfarbe, berichtete er – ohne, daß ihn jemand darauf angesprochen hätte – vom „schrecklichsten Musikkonzert seit langem“. Er sei da nur zufällig hineingeraten, jedenfalls hätte eine wilde Horde in ungestümer Manier ihr Instrumentarium malträtiert und dabei hätte der Sänger – unvergeßlicher Höhepunkt des Vortrags! – immer wieder „Nervengas! Nervengas!“ geschrien. Der Weltuntergang aus der Sicht eines Mozart-Verehrers.

Von dieser Stunde an wußten wir, was Punk bedeuten könnte, bedeuten mußte, bedeutete (obwohl der „Meki-Katalog“ unter diesem Stichwort auch Künstler wie Patti Smith, Blondie oder Devo subsummierte). Die stundenlangen Abhörsitzungen im „Schallplattenclub der Jugend“ am Judenplatz, die zum Erwerb von Manfred Mann-, Gentle Giant- oder ELO-Tonträgern geführt hatten, waren schlagartig passé. Hätte ich ahnen können, daß mindestens ein Protagonist der „Nervengas“-Session ebendort als Verkäufer vorzufinden war? Erst einige Zeit später vermochten Kenner zu rekonstruieren, daß es sich bei dieser Punk-Initialzündung um ein Konzert von Chuzpe in einem der Wiener „Häuser der Begegnung“ gehandelt haben mußte. Chuzpe und die Mordbuben AG und AGen 53 und Uschi Paranoia & Die Kranken Mönche zählten da schon zu den landläufigen Namen im persönlichen Musikarchiv.

Immerhin hatten wir Heimvorteil. Nicht nur der Musikprofessor rieb sich an den neuen Tönen aus dem Untergrund, auch der Professor für Bildnerische Erziehung konfrontierte uns – ziemlich konträr – mit dem „Wiener Blutrausch“. Der Sampler, der als eines der ersten Dokumente der nachwachsenden Szene gilt, war von ihm mitinitiiert worden. Der Name der Lehrkraft: Stefan Weber. Konzertbesuche bei Auftritten seiner Band Drahdiwaberl, berüchtigt für ihren schamlosen Aktionismus, standen nicht auf dem offiziellen Lehrplan, waren aber für den progressiveren Teil der Schulgemeinde Pflicht. Dann war da noch der Englisch-Professor, der ad personam Querverbindungen zur Konkreten Poesie und zum Jazz ermöglichte – Ernst Jandl. Und der übrige Lehrkörper, mehr tot als lebendig (merke: „Tote Körper tanzen anders“), der Punk und Poesie zu willkommenen Überdruckventilen werden ließ. Die übliche Geschichte halt: die Schule, das Leben.

III. WIENER, FALTER, ETCETERA

Hemmungslose Nostalgie? Ach wo. Pop-Geschichte ist, sofern sie ein Quentchen Vergnügen bereiten soll, immer ein streng subjektives Suhlen im Geflecht kollektiver Erinnerungen, Referenzen und Werte. Und Pop bedeutet, so eine gängige Meinung, sowieso nichts anderes als nimmerendende Pubertät. Die Erzählungen über seriöse Feuilleton-Größen, die als junge Spunde bei den Kinks in der Stadthalle und später bei den Clash im Porrhaus Stühle zertrümmerten oder in Bands mit Namen wie „Frequentierte Bushaltestelle“, „Kamillentee“ und „Psychedelic Forces Of Sudan“ wirkten, sind Legende.

Dennoch gibt es aus meinem Blickwinkel (der gewiß der eines Menschen ist, dessen Beschäftigung mit Popkultur bis heute andauert), eine Bruchstelle. Einen Punkt, an dem aus Spaß Ernst wurde, aus rein hedonistischem Fan-Dasein soetwas wie Arbeit.

Zunächst ist da ein unscharfes, dennoch unauslöschliches Bild. Eine Momentaufnahme des Auftritts der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft (DAF) im 20er-Haus in Wien 1981. Robert Görl und Gabi Delgado-Lopez, die beiden Protagonisten von DAF, verkörperten für ein paar Monate alles, was damals neu und anders war an einer Musik, für die man noch keinen passenden Namen gefunden hatte. „Neue Deutsche Welle“ war, wenn ich mich recht erinnere, noch nicht geboren, Electronic Body Music noch Jahre entfernt, Punk und/oder New Wave erwiesen sich als unpassende, schlecht haftende Etiketten für diese brachiale Neudefinition von Pop. Pop? Nicht im hergebrachten Sinn. Diese Musik triefte vor Schweiß und Kraft, gab sich sehr körperlich, elektronisch-minimalistisch, pathetisch, provokant. „Geht in die Knie / und klatscht in die Hände / beweg Deine Hüften / und tanzt den Mussolini /… / und macht den Adolf Hitler / … / und jetzt den Jesus Christus…“ Das saß. Und wir saßen da, in irgendeinem billigen Hotel im neunten Bezirk, zum DAF-Interview herbeigeholt von Heide Spacek, der gutherzigen Promotion-Tante der Plattenfirma Ariola, und saugten uns Fragen und Thesen und Bewertungen aus den Fingern. Plötzlich war alles anders. Hatte ein Davor und Danach. System. Und ein Netzwerk.

Pop ist wenig bis nichts ohne Netzwerk. Pop, sprich: Populärmusik, braucht eine Spielfläche, eine Instanz, die sie über den persönlichen Wirkungskreis hinausträgt. Das Aufkommen neuer Medien und gleichzeitige Erstarken alter Institutionen (wie der „MusicBox“ in Ö3 oder der TV-Sendung „Ohne Maulkorb“ im Gefolge der Arena-Bewegung) war einer der wichtigsten Faktoren, die einer lokalen „neuen Welle“ Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre zu einem ungleich größeren Widerhall verhalf als beinahe allen Beatles-Epigonen, Rock’n’Roll-Lokalheroen und Austro-Liedermachern zuvor. Blätter wie der 1977 gegründete „Falter“ (mit Schreibern wie Eberhard Forcher und Thomas Mießgang) oder die „Arena Stadtzeitung“ sorgten für die Ankündigung von Konzertterminen und mehr. Magazine wie der – die Zeitgeist-Ära prägende – „Wiener“ (hier werkten u.a. Michael Hopp, Günter Brödl und Christian Brandl), „Tschin Bumm“, „Trichter“ oder „Musiklandesrundschau“ reagierten, reflektierten und rezensierten mit Verve. Die großen Tageszeitungen entwickelten eigene Jugendseiten. Auch ein Printprodukt namens „etc.“ soll hier nicht unerwähnt bleiben. Das „Magazin für Jugendkultur“, herausgegeben vom Autor dieser Zeilen, existierte bis 1982 und war die erste Homebase für eine Generation von Musik-Professionalisten, darunter Chris Duller, Martin Blumenau und Charly Bednarik.

Kurios: die erste und zugleich letzte Bestandaufnahme der „guten Kräfte“ (ein halbironisches Szene-Etikett, das einem Chuzpe-Song entlehnt wurde) wurde 1982, noch mitten in der Aufbruchsstimmung jener Tage, in die Schreibmaschinentastatur gehackt. „Neue Rockmusik in Österreich“ ist der Untertitel der von Günter Brödl, dem nachmaligen „Entdecker“ des Ostbahn-Kurti, herausgegebenen Anthologie. Die Palette der Beiträge reicht von Blümchen Blau bis Wilfried (!), von Falco bis Morak. „Die guten Kräfte“ ist bis heute das gültigste Dokument jener Ära. Sollten Sie irgendwo ein vergammeltes Exemplar in einem Antiquariat erspähen – eine Zeitlang gabs den Hannibal-Band auch in den Ramschkisten von Libro -, schlagen Sie zu.

IV. TOUR RETOUR: BLUEBOX – MUSICBOX

Wann endlich kommt die Musik zu Wort? Sorry, da hat jemand eine Lektion verpaßt. Die Pop-Blüte der frühen achtziger Jahre war ein Medienphänomen. Jedenfalls eine Erscheinung, die nur im Wechselspiel mit Rundfunk und Print entstehen und existieren konnte. Bands wie Blümchen Blau, Minisex, Cosmetics usw. waren tönende Kalküle. Sie fügten sich zu keinem Zeitpunkt ein in das alte Karrieren-Muster jahrelanger Proben, instrumentaler Virtuosität (und sei es auch nur angestrebter) und künstlerischer Transzendenz. Pragmatismus und ein geschickter Umgang mit Images, Reizthemen und medialen Strukturen bestimmen ihre – oft nur sehr kurze – Existenz. Sie sind prototypisch für jene Ära.

Der wichtigste Umschlagplatz für Pop war (und ist in gewissem Maß nachwievor) das Medium Radio. Das hieß in den siebziger und achtziger Jahren: Ö3. Man muß nicht im Hintergrund das große Klagelied wider das Formatradio anstimmen, um zur entschiedenen Behauptung anzusetzen, daß das „Vollprogramm“ jener Tage ungleich bessere Möglichkeiten zu kultureller Konfrontation und Infiltration bot. Wenn um 15 Uhr, präziser: fünf Minuten nach 15 Uhr, die Signation der „Musicbox“ ertönte, schaltete halb Österreich auf die Regionalwellen um. Die andere Hälfte aber lauschte entweder gebannt oder irritiert dem Wort- und Musikschwall, der da folgte. Namen wie Kos, Schrott, Hütter, Koch, Brödl, Geier, Forcher, Blumenau, Hiess, Distl/Dee sind ebenso fixe Begriffe in der Sozialisierungs-Historie einer Generation wie „Die komplette LP“. Die „Musicbox“, wie ihr Pendant „ZickZack“ verantwortet von der ORF-Abteilung „Jugend, Gesellschaft, Familie“ (existiert soetwas heute noch?) unter Hubert Gaisbauer, machte es sich zur Aufgabe, Pop abseits des Ö3-Mainstream gleichzeitig zu transportieren und zu reflektieren. Dabei sprang man ab und an, ganz der spielerischen Ideologie jener Ära verpflichtet, auch über den eigenen Schatten. Dem „Wiener“ diente man gefälschte Charts zum Abdruck an, Falco übersetzte „The Message“ von Grandmaster Flash & The Furious Five ins Wienerische und „Box“-Größen wie Wolfgang Kos („Leider Keine Millionäre“), Alfred Hütter, Günter Brödl oder Eberhard Forcher („Tom Pettings Hertzattacken“) wagten selbst den Gang ins Tonstudio oder gar den Sprung auf die Bühne – oder zumindest hinter die Bühnenkulissen.

Der Monopol-Sender war aber auch über die „Musicbox“-Nische hinaus – und abseits der Spezialistenecken wie jener von Gerhard Bronner oder Walter Richard Langer – bereit, in Sendungen wie „Treffpunkt Ö3“ neuen Tönen Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Immerhin schaffte es „Love Will Tear Us Apart“, ein wenig anheimelnder Joy Division-Song, in einer Bearbeitung von Chuzpe 1980 an die Spitze der Hitparade. Auch die Mod-Hymne „The Frozen Seas Of Io“ von The Vogue erklomm Platz zwei der Charts – wobei mitgeholfen haben mag, daß das Bandmitglied Ronald Iraschek (auch bekannt als Ronnie Urini) auf Ö3 die „Roaring Sixties“ programmierte.

Wem Iraschek alias Urini Zugang zu seiner Wohnung gewährte, der befand sich im Zentrum des Wiener Undergrounds. Oder sagen wir so: in einem möglichen Zentrum. Jedenfalls im optisch überzeugendsten. Inmitten eines absurden Szenarios aus Bildtapeten mit tropischen Sonnenuntergängen, einer Gummi-Gruseltier-Kollektion und unzähligen Pop-Memorabilia (vornehmlich britischer Provinienz), schwärmte Iraschek von Lokalen wie dem Linzer Elektro-Schmid und dem Landgraf, der Judengasse in Wien und den hiesigen Szene-Fixpunkten U4, Arena, Metropol (das eine Zeitlang ob seiner ÖVP-Nähe in einem fragwürdigen Ruf stand), Sophiensäle, Blitz, Flieger, Tempo, Schoko, Nana, Blue Box, Z-Club und Gassergasse (solange das besetzte Abbruchhaus von der Polizei unbehelligt blieb). Dazu kamen Plattenläden wie das „Ton um Ton“, „Why Not“, „Audiocenter“ oder der damals noch existente „Hannibal“ am Karlsplatz. Alle diese Orte waren wichtige Auffangbecken, Stützpunkte und Ideologie-Tankstellen – wenn es eine neue Mode, eine bislang unbekannte In-Gruppe oder einen geänderten Verhaltenskodex gab, konnte man davon hier erfahren, bevor noch der „Wiener“ oder die „Musicbox“ darüber berichteten.

Apropos: den geborenen Kremser Iraschek extra herauszustellen, hat schon seine Berechtigung. Kaum ein Musiker hat soviele wichtige Bands durchlaufen wie Ronnie Urini – Dirt Shit, The Vogue, Rucki Zucki Palmencombo, Die Letzten Poeten. Und der typische Wiener Pop-Impresario kommt auch heute noch in neunzig Prozent aller Fälle aus der Provinz.

V. WIENER BLUTRAUSCH

Die siebziger Jahre endeten in Österreich erst mit mehrjähriger Verspätung. Wichtige Dokumente der Punk-Bewegung, etwa die Sampler „Tödliche Dosis“ und „Heimat bist du großer Söhne“, erschienen 1982, als in England kein Hahn mehr nach Punk krähte. Sie markieren den gleichzeitigen Höhe- und Endpunkt einer Bewegung, die die Alpenrepublik mit gehöriger Distanz und nur als schwacher, bisweilen grotesk verniedlichter Abklatsch erreicht hatte. Punk, das bedeutete spätestens ’83, ’84 nur mehr bettelnde Irokesen vor der U-Bahn-Station Kettenbrückengasse.

Schon die ersten tönenden Lebenszeichen neigten zum Kuriosum. Eine „Kellerrock EP“, 1980 erschienen auf Razzz Recördz, präsentierte Chuzpe, Zytacorean Tirtum Gang, The Vogue und Underground Corpses auf grünem Vinyl. Chuzpe, die prototypische Wiener Punk-Truppe, hatten zuvor auf einer Single verkündet „I Love The Sixties“. Und „Wiener Blutrausch“, jenes Album, das 1979 die Revolution einläuten sollte, dokumentierte einen eigentümlich divergenten Querschnitt durch den Untergrund, der kaum einen gemeinsamen Nenner hatte außer einer rotzig-frechen Grundhaltung. Die auf dem „Blutrausch“ versammelten Ur-Töne von Drahdiwaberl, Minisex, Metzlutzkas Erben, Chuzpe und Mordbuben AG schafften immerhin Distanz zu einer Musikergeneration, die mit den Rolling Stones, Jethro Tull und Led Zeppelin großgeworden war – allein, Punk im engeren, britischen Sinn war das nur bedingt. Drahdiwaberl und Metzlutzkas Erben konnnten ihre Wurzeln zwischen Edgar Broughton, Tubes und Zappa nie leugnen, Minisex mutierten rasch vom Roxy Music-Klon zu einer buntlackierten Hitparaden-Erfolgsband, Chuzpe machten sich mit Intellekto-Pop verdächtig und nur den „Kellerkindern“ Mordbuben AG blieb es vorbehalten, das vorprogrammierte Schicksal irgendwo zwischen Suff, Zynismus und Lethargie einzulösen.

„Alles in Bewegung und doch keinen Schritt weiter“ konstatierte Eberhard Forcher in den Liner Notes zu „Wiener Blutrausch“. 1981 setzte er selbst den nächsten Schritt: „Wienmusikk“ versammelte die zweite Generation (sieht man von einem Siebziger-Relikt wie Novaks Kapelle ab), darunter Rosachrom, Peter Weibel & Hotel Morphila Orchester, die Hertzattacken und einige Phantomprojekte. Auf Veranstaltungen wie den „Alternativen Wiener Festwochen“ oder jenseits der Stadtgrenzen blieb man aber doch eine Ausnahmeerscheinung. „Die wienerische Radikalität ist immer eine nette Radikalität“, befand die „Musicbox“. „Anstelle teutonischer Gründlichkeit tritt ein gewisses Zögern und Zaudern“. Ein Element, das – Ausnahmen wie Falco oder Minisex bestätigen die Regel – vielen einen Strich durch die Rechnung machte. Bestes Beispiel: Hansi Lang. Nach dem Erfolg von „Keine Angst“ flog die Plattenfirma Journalisten aus Deutschland ein – auch im übergroßen Nachbarland war man auf das Szene-Idol aufmerksam geworden. Allein, Lang schmiß den Auftritt im „Metropol“, wahrscheinlich aus Angst vor der eigenen Courage. Klarerweise waren Drogen, Anfang der Achtziger überall präsent in Wien, mit im Spiel.

VI. ÜBER MIR DER HIMMEL SO BLAU

Persönliche Favoriten? Gewiß. Rosachroms „Ich möchte bei den Sternen liegen“. Blümchen Blaus „Flieger“. Drahdiwaberl feat. Falco, „Ganz Wien“. Der Eiserne Vorhang, „Meia“. Hotel Morphila Orchester, „Dead In The Head“. Minisex „Regen“. RPB, „Tenebrae“ . The Vogue, „Frozen Seas Of Io“. Mordbuben AG, „Mordbuben AG“. Der wilde Pinguin, „Viel zu nah“. Ronnie Urini & Die Letzten Poeten, „Niemand hilft mir“… Klassiker, allesamt. Und Fehlfarben, aber die waren keine Österreicher, keine Frage.

Pop in Österreich war und ist – allein ob der Enge des Marktes und der marginalen Verankerung im kulturellen Bewußtsein des Landes – vielfach nichts anderes als ein Spiel. Überzogener künstlerischer Ernst, professioneller Eifer oder große theatralische Posen stehen dem Akteur auf der heimischen Bühne schlecht. Was bleibt, ist ein Ausweichen in feine Zwischentöne, in die Ironie oder gar die Parodie.

„In der gesamten Geschichte des Austro-Pop gab es nur eine einzige, kurze Phase des Aufmuckens, des Aufblinkens, des Verstehens, des intuitiven Wissens um das Wesen der Popmusik – die Achtziger“, so Martin Blumenau in einem Beitrag für „Heimspiel – eine Chronik des Austropop“, erschienen 1995, wiederum bei Hannibal. Tatsächlich vertraten Bands und Interpreten wie Falco, Minisex, Blümchen Blau, Klaus Prünster, Hansi Lang, Tom Pettings Hertzattacken, DÖF und andere durch die Bank eine Formensprache, die Anspruch und Wirklichkeit zu erstaunlicher Deckung brachte. Kinderlied-Simplizität, spielerisch gepaart mit hochgezüchteter Technik – Synthesizer waren gerade für Normalbürger erschwinglich geworden – und unbeschwerten „Hoppla, so tönt der Fortschritt!“-Posen – diese Formel nutzte sich zwar rasch ab, aber nicht rasch genug, um nicht doch ein paar halbe und ein paar wirkliche Treffer im Musikgeschäft zu landen. Im Falle Falco sogar eine Nummer eins in den US-Billboard-Charts. Immerhin: Karl Gott und Gitti Seuberth, gewiß weniger bekannte Namen, sangen auf der Tonspur zum Niki List-Film „Malaria“, dem mit Abstand erfolgreichsten österreichische Film der Achtziger (Die Bilder: Pop, Pop, Pop!). Labels wie GIG, Lemon und Schallter (ein Sublabel der Ariola, betrieben von Eberhard Forcher und Rudi Nemeczek) griffen die Hausse beherzt auf – endeten mit wenigen Ausnahmen aber in der ökonomischen Sackgasse. Immerhin: man hatte Pop-Geschichte geschrieben.

Eines soll in diesem Kontext allerdings nicht untergehen: die Achtziger stehen auch für die letzte Hochblüte des Austropop traditioneller Bauart. „I wü ham nach Fürstenfeld“ sangen STS, die steirische Antwort auf Crosby, Stills & Nash, anno 1984, und es klang wie der Gegenangriff der Provinz auf den hochmütigen Wasserkopf Wien. Die Abgrenzungen, die man zuvor ebenso leger-großmütig wie unscharf gezogen hatte (waren nicht auch der Burgtheater-Punk Morak und der Disco-Jodler Wilfried den „guten Kräften“ zugerechnet worden?), mußten nun zwangsläufig schärfer ausfallen. Allein, mit dem Untergang der Aushängeschilder der „neuen österreichischen Welle“ im Gefolge der Verflachung und Verelendung der „Neuen Deutschen Welle“ und der Ablösung der „New Wave“-Internationale verschwanden weit und breit die Aktivposten eines neuen Pop-Bewußtseins. Bis Mitte der Achtziger war ihre Stelle weitgehend von Proponenten der Austropop-Tradition besetzt – STS, Rainhard Fendrich, EAV, Stefanie Werger, Ludwig Hirsch, Wolfgang Ambros. Günter Brödl hob gemeinsam mit Willi Resetarits die Kunstfigur des Ostbahn-Kurti aus der Taufe. Sie alle feierten erste große Erfolge oder erfreuten sich weitgehend ungebrochener Beliebtheit, obwohl spätestens zu jenem Zeitpunkt kritischen Beobachtern die unglückselige Begrifflichkeit und zunehmende Ungültigkeit der Chiffre „Austropop“ auffallen mußte. Es dauerte dennoch bis 1987, ehe man öffentlich am Denkmal von Ambros & Co. zu sägen begann – mit einer für manche lebende Legende überraschenden Vehemenz.

VII. IST GUT

Was blieb? Nicht viel. Das Spiel ging ein paar Jahre lang gut, machte Spaß, dann leerte sich über Nacht der Spielplatz. Einige der Schlager jener Ära sind im kollektiven Bewußtsein verankert, weil sie ungebrochen Witz und Pep und Charme besitzen. Der Erfolg einer CD-Reihe wie jener der „Flieger“-Sampler, die Mitte der Neunziger noch einmal fast alles versammelte, was einst kreuchte und fleuchte, ist dafür Beleg. Daß sich ein Wolfgang Strobl, Mitentdecker von Falco und Betreiber von Dum Dum Records (aus dessen Dunstkreis viele der heutigen DJ- und Szene-Größen hervorgegangen sind) mit „Flieger“- und „U4 Classic“-Nostalgie-Nächten zumindest ein Zubrot verdient, ist irgendwie tröstlich.

Die Avantgarde jener Tage – ein Weibel, ein Damisch, ein Rockenschaub, ein Konrad Becker, ein Curd Duca – hinterläßt nachwievor ihre Spuren, hat sich aber von den künstlerisch-ästhetischen Ausgangspunkten zwangsläufig weit entfernt. (Immerhin: Peter Weibel war erst unlängst bei einer „Hotel Morphila“ Gedenkveranstaltung zu bewundern. Augen- und Ohrenzeugen zufolge hat er einen guten Teil der Texte vergessen). Der Rest hat sich zurückgezogen, hat die Seiten gewechselt – ins Parlament, in die Medien, in die Werbung, ins Musikgeschäft -, hat einfach genug oder ist, schlicht und banal, tot. Und ich weiß nicht, ob es mir um Falco mehr leid tut als um, sagen wir, Christian Brandl oder Hansi Dujmic.

Der Protagonist des einzigen Rock’n’Roll-Romans, der in Wien anzusiedeln wäre (sofern jemand auf die verrückte Idee kommt, einen Wiener Rock’n’Roll-Roman schreiben zu wollen), kann sowieso nur Ronnie Urini heißen. Es ist die Geschichte eines tragischen Scheiterns. Heute ist Urini Cyberpunk (sagt er).

Aber Ende der siebziger, Mitte der achtziger Jahre war da noch Hoffnung. War Schönheit in Waffen. Waren wir alle Helden von heute.

http://www.maderthaner.cc/maderthaner.projekte/idealzone.htm