Vom Dasein und vom Wegwollen

11. Mai 2011

„Es Lem“, das neue Album von Ernst Molden, erzählt vom Leben. Es gibt keinen gehaltvolleren Stoff. Es gibt nicht viele, die ihn kneten und formen und ausformulieren können. Molden kann.

Eines kann man Ernst Molden nicht nachsagen: Unproduktivität. „Es Lem“, das zehnte Album aus seiner Feder, erscheint kaum mehr als Jahr nach dem Theatererfolg „Häuserl am Oasch“ (samt gleichnamigen Album). Und wenige Wochen nach der Veröffentlichung des ersten Liederbuchs im Deuticke Verlag. Quasi nebenbei, entstanden im Spannungsfeld zwischen Alltagspflichten, Zeilenschinderei und Live-Terminen landauf landab, hat der Singer/Songwriter noch ein Coverversionen-Album („Weidafoan“) im Talon, dessen offizieller Release für Herbst 2011 avisiert ist. Nun aber, entschuldigen Sie die Bestimmtheit der Ansage, bitten wir um Aufmerksamkeit für die vorliegende Song-Kollektion. Es ist eine wichtige. Eine wesentliche.

„Es Lem“ sagt der Wiener ja, wenn er seine Existenz meint, sein Dasein, „das Leben“ an und für sich. Wenn ein Künstler einem Album einen dermaßen puristischen, alles und jeden umarmenden Titel gibt, hat er einen gewissen Reifegrad erreicht. Einen Status, der nicht mehr nach Zuspitzung, Überzeichnung und Provokation verlangt, sondern ganz im Gegenteil Gelassenheit ausstrahlt. Und, ja, eventuell eine gewisse Abgeklärtheit, die Weisheit und Altersmilde vorwegnimmt. Aber dafür ist Molden, mit Verlaub, noch zu jung. Und der Rock’n’Roll, der – wie immer – das Unterfutter für Moldens Musikkosmos ist, zu vorlaut. Zu mitteilsam. Definitiv zu lebensfroh.

Tatsächlich gehört die zehnte Katalognummer im Werk Ernst Moldens nicht nur dem Namen nach zu seinen existentiellsten Arbeiten. Der Dichter und Liedermacher ist mit Frau und drei Kindern nach Wien-Erdberg gezogen, in eine gleichermaßen „gestandene“ wie im Umbruch befindliche Stadtgegend. Dabei entstanden Songs, die vom höchstpersönlichen Eindruck der neuen, rauhen und gleichzeitig anmutigen Gegend aus ins Grosse und Ganze aufbrechen.

„Papa, warum nennst Du das neue Album nicht „Das Leben?“ hat Sohn Karl vorgeschlagen. Trefflicher Einfall. Lieder wie „Schlochdhausgossn“, „Neiche Wohnung“, „Flagduam“, „74A“, „Joe Zawinul Park“ oder „Bundesbod“ sind einerseits beiläufige Einträge in einem auf das Unmittelbare, Wesentliche, Lokale beschränkten Welt-Journal, andererseits auch markante Stationen einer Erkundungstour des eigenen Ichs. Der Weg ist das Ziel, und die Zielstrebigkeit und -genauigkeit des Künstlers der intellektuelle Proviant des Wegbegleiters. Auch wenn es Niederungen und nachdenkliche Momente gibt: zu bremsen ist der Anführer dieser Tour de Force unter keinen Umständen. „I dadaad überall schbüün, wanns mi frogn / und frogn’s mi ned dann spü i hoit bei dia“. Mit sentimentalen Song-Kleinoden wie „Hameau“ („Am Anfang steht alles no offen, am Schluss bist dann selber gern zua“), intoniert gemeinsam mit Willi Resetarits, schließt sich der Kreis.

Mit von der Partie sind auf „Es Lem“ neben Resetarits auch Der Nino aus Wien, „Popfest“-Kurator und FM4-Korrespondent Robert Rotifer und Klemens Lendl („Die Strottern“) sowie die bewährte Band rund um Ernst Molden, bestehend aus Marlene Lacherstorfer (Bass), Sibylle Kefer (Flöte, Gesang), Hannes Wirth (Gitarre), Walther Soyka (Akkordeon) und Heinz Kittner (Schlagzeug). Produziert hat einmal mehr der Münchner Kalle Laar, der das angenehm zurückhaltende und unverstellte Klangbild des Albums jenseits aller Formatradio-Sachzwänge verantwortet.

Das Cover zu „Es Lem“ zeigt Ernst Molden als Teil einer Au-Landschaft, zwischen wucherndem Grün und mächtigen Baumriesen. Auf den ersten Blick ist der Protagonist und Namensspender des Albums kaum zu entdecken. Ein Henry David Thoreau der Moderne? Ja und nein. Denn einerseits beschreibt „Es Lem“ ein zutiefst urbanes Szenario, ein stetes, bewusstes und waches Durchschreiten des Häuserdschungels und der Rückzugszonen der Stadt. Andererseits wohnt in vielen Zeilen die Sehnsucht nach der Unmittelbarkeit der Natur. Und der Ungekünsteltheit, die der Begegnung seelenverwandter Naturen innewohnt. Eine Zigarette, ein Glas Wein, eventuell zwei, ein Dialog voll stiller und dann wieder intensiver Momente, ohne Anfang und Ende. Der altertümliche Plattenspieler – natürlich gibt es dieses Album auch auf Vinyl – setzt gerade wieder die Nadel zurück in die Einlaufrille, zum wievielten Mal heute?

„Es Lem“ erzählt vom Leben. Es gibt keinen gehaltvolleren Stoff. Es gibt nicht viele, die ihn kneten und formen und ausformulieren können. Ernst Molden kann.

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