Immer mehr Meerschweinchen

8. Oktober 2009

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (30) TV, Radio, Print, Web: die Zukunft der Medien findet nicht in Messehallen statt.

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Können Sie sich vorstellen, für diese Kolumne extra zu bezahlen? Sagen wir mal: 20 Cent. Das ist leicht leistbar. Oder nur für diese Kolumne zu bezahlen, den Leitartikel, das Kreuzworträtsel und die Sportseiten der „Presse am Sonntag“, keinesfalls aber für die Society- und Innenpolitik-Berichte. Weil Sie das nicht die Bohne interessiert. Oder – falls Sie Geiz so geil finden, wie uns ein penetranter Werbespruch seit Jahren suggeriert –, würden Sie es akzeptieren, wenn ich diesen Text von Markenartiklern, Technikunternehmen und Sponsoren (mit)finanzieren liesse, eventuell zuungusten kritischer Berichterstattung? Dafür dürfen Sie das Papier gratis lesen. Wahlweise, á la longue wohl auch realistischer, Ihrem Drucker entnehmen. Oder via Monitor, Handy oder Mobile Reader, wie jetzt gerade, einen von Werbebannern und Pop-Ups weitgehend unbeeinträchtigten Blick auf Sätze wie diese werfen.

Absurd? Das sind Szenarios, wie sie von Fachleuten und Zaungästen diese Woche auf den „Österreichischen Medientagen“ (samt angeschlossener Medienmesse) in Wien diskutiert werden. Ich muß gestehen, ich habe mir das Eintrittsgeld erspart, da ich es leid bin, den ewig gleichen Protagonisten der engen heimischen Medien-, Werbe-, Marketing- und Mobilfunkszene beim Karussellfahren am Jahrmarkt der Eitelkeiten zuzusehen. Ersatzweise liess ich mir dies und jenes, quasi live, von Journalistenkolleg(inn)en via Twitter erzählen.

Und was sie erzählten, klang nicht selten bissig bis zynisch. „Hausaufgabe: endlich dieses Internet probelesen“. Oder: „Social Media macht Kunden und Werber nervös“. Oder, hui!: „Print ist tot, weil die 2. Führungsebene (nicht die Chefs, aber diejenigen dahinter) nicht mehr daran glaubt“. Zwischenresümée: „Immer wieder nett: wie manche Print-Leute über Online-Medien reden. Mischung aus Unverständnis, Angst, Abneigung und Hochnäsigkeit.“ Schulterzucken: „Langweilen kann ich mich auch anderswo“. Lakonisch: „Wir sind im Chaos und probieren weiter“. Oder auch: „Twitterwall #fail“. Letztlich: „Für ein paar Jahre ist der Glamourfaktor jetzt mal weg“. Warum nur, warum erinnert mich das alles so sehr an die „Midem“ oder die „PopKomm“, die Leit-Messen der Musikbranche, die gern von Journalisten geschmäht wurde (und, tendenziell leiser, immer noch wird)? Jener Branche, der man zuvorderst nachsagt, das „Digitalzeitalter“ verpennt zu haben? Die „PopKomm“ hat, nebstbei, anno 2009 das Zeitliche gesegnet.

Lautet der Kulturkampf der Gegenwart: Schlafmützen versus Web 3.0-Propheten? Sparmeister gegen Zukunfts-Investoren? Besitzstandswahrer versus Risikomanager? Fiebrige Unmittelbarkeit contra Recherche, analytische Tiefe und Bedächtigkeit? Das p.t. Publikum geht mit dem Tohuwabohu jedenfalls pragmatisch um: das Medium ist die Botschaft. Und der kurzweiligste, spannendste, probateste, niveauvollste – kurzum: beste – Inhalt immer da, wo man ihn findet.

Der Vorarlberger Verleger Eugen Russ verkündete, Apples iPhone halte 95% aller mobilen Zugriffe bei seinem Medienhaus, obwohl das Gerät nur drei Prozent Anteil am Handymarkt hat. Der Chef des Mobilfunk-Unternehmens „3“, Berthold Thoma, ist darüber nicht glücklich: „Das iPhone ist der Horror“. Weil er die Kontrolle über Inhalte und Revenue Streams, zumindest partiell, aus der Hand geben muß. Das deutsche Medienhaus Gruner & Jahr sieht einen Fluchtweg aus der Krise ausgerechnet darin, das österreichische „News“-Verlagsmodell aufzugreifen: Mitarbeiter in Hamsterrädern, pardon, Grossraumbüros produzieren Fliessband-„Content“ für alle möglichen Printprodukte, Line Extensions und Web-Plattformen.

Auch RTL-Oberzampano Gerhard Zeiler hatte keine guten Nachrichten: das Fernsehgeschäft bricht massiv ein, jetzt sei Kreativität gefragt. Ich nehme an, der Appell richtete sich nicht nur an genuin Kreative, sondern zuvorderst an Personalchefs und Controller. Nebstbei: wie „kreativ“ ist Werbung, die sich nicht wegzappen oder überspringen lässt? Oder pixelmächtiges HDTV-Pay-TV? Immerhin: die „ORF TVThek“, das lang erwartete Online-Archiv der grössten heimischen Medienorgel, ist startklar. Und soll noch vor Jahresende etwa ein Drittel des ORF-Gesamtangebots (d.h. Eigenproduktionen, an denen man alle Rechte hält) jeweils eine Woche lang abrufbar machen. Inklusive extra-langer, ungeschnittener Interview-Versionen. Anerkennendes Kopfnicken in den Hallen der Medienmesse. Wo angeblich doch der eine oder andere Stuhl leerblieb. Weniger bei den New Media-Panels. Eher schon bei den Old School-VIP-Runden.

Der Betreiber der „Medientage“, der Verleger Hans Jörgen Manstein, stellte zum Auftakt der Diskussionen die Frage: „Wo ist der Nachwuchs? Wo sind die jungen Thurnhers?“. Die Antwort lautet: hier am Messegelände eher nicht. Einige schlagen sich gerade online mit dem alten Thurnher rum, der im „Falter“ die Internet-Generation launig mit „Meerschweinchen“ gleichsetzt. Natürlich nur auf Papier. Immerhin: der Vergleich mit Lemmingen, so sehr er sich auch aufdrängt, ist bislang ausgeblieben. Da wie dort.

10 Antworten to “Immer mehr Meerschweinchen”


  1. […] darüber, wie böse Google sei und ob man nicht doch für “Online” irgendwen irgendwie zur Kasse bitten könnte. Dabei haben gerade diese “Medienmanager” den Untergang von Print […]


  2. […] nicht in Messehallen zu finden“ schreibt der Verleger und Journalist Walter Gröbchen in seinem Blogbeitrag „Immer mehr Meerschweinchen“ bzw. in der Kolumne „Maschinenraum“ der Tageszeitung „Die Presse“ vom 11. Oktober 2009 . […]

  3. aiiiia Says:

    schade, hätte mich über eine verlinkung (wäre bei zitaten in einem online-medium doch eine elegante lösung gewesen) sehr gefreut. dann hätte es auch wesentlich mehr spaß gemacht, sich creditlos in der printvariante zu finden.


  4. Hat jemand ne Ahnung wie sehr dies verallgemeinerbar ist?


  5. Da frage ich mich beim groben Überfliegen ja schon, ob man selbst nicht komplett bescheuert ist. Dankeschön für eure Erklärungen


  6. […] Sie bestimmen und vermehren also jetzt gerade – danke! – mein Einkommen. Man muss nur, so meine Fiktion, exakt messen, wieviele Rezipienten diese Kolumne wirklich hat. Auf Papier. Und online (da […]


  7. […] nicht in Messehallen zu finden“ schreibt der Verleger und Journalist Walter Gröbchen in seinem Blogbeitrag „Immer mehr Meerschweinchen“ bzw. in der Kolumne „Maschinenraum“ der Tageszeitung „Die Presse“vom 11. Oktober 2009 . […]


  8. […] Ich persönlich z.B. habe diese Woche eine ganz bewusste Entscheidung getroffen. Die Entscheidung, einmal mehr den „Österreichischen Medientagen“ fernzubleiben, wo angeblich die Gegenwart und Zukunft der […]


  9. […] Ich erinnere mich noch an die Zeiten, als man der ähnlich strukturierten und somit probat vergleichbaren Musikindustrie publizistisch lautstark zurief, sie wäre hinterwäldlerisch, denkfaul, fortschrittsfeindlich und zugleich gierig und satt. Und blockiere quasi die Zukunft. Heute treffe ich die kecken Kommentatoren von damals meist an der Theke, wenn sie in ihr Bier weinen und den Zustand ihrer Medienhäuser und der Printmedien generell beklagen. […]


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