Vor dem Kopf: ein schwarzes Brett

9. Januar 2015

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (294) Die Makler der Angst lieben die modernen Medien-Biotope. Sie sind Echokammern unserer Seelenabgründe.

je-suis-charlie

„Es ist dies das Zeitalter der Angst, weil die elektrische Implosion uns ohne Rücksicht auf ‚Standpunkte‘ zum Engagement und zur sozialen Teilnahme zwingt.“ Es war dieser Satz des visionären Medientheoretikers Marshall McLuhan (er hat ihn 1964 formuliert), der mich aufmerken ließ. Gepostet hat ihn der vielleicht beste Technik-Kolumnist des deutschsprachigen Raums, der in Berlin lebende Grazer Peter Glaser.

Der Anlass war ein trauriger, und er steckt uns allen noch in den Knochen: die infame Ermordung des halben Redaktionsteams der französischen Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo plus weiterer Opfer, mutmasslich durch religiöse Fanatiker. Dieses Fanal neuzeitlichen Terrors konnte natürlich nicht unkommentiert bleiben – und die Schlacht der Emotionen, nur bisweilen durchsetzt mit rationalen Argumenten, tobt ungebrochen in den „magischen Kanälen“, die McLuhan prognostizierte. Zuvorderst in Facebook und Twitter lässt sich der akute Grad der allgemeinen Empörung, Verwirrung und Selbstermächtigung wie auf einem schwarzen Brett ablesen.

Dass auch Zeichen spontaner Solidarisierung – „Je suis Charlie“, gemeint ist: ich bin bzw. wir alle sind Teil einer Wertegemeinschaft, die Satire schätzt (oder jedenfalls nicht mit automatischen Waffen bekämpft) – fast zeitgleich mit der Schockwelle von einer Minderheit spitzfindiger Ego-Apostel abgekanzelt wurden („Je ne suis pas Charlie!“), war in diesem Kontext vorherzusehen.

Denn es wimmelt in diesen Kanälen von Individualisten, die zu schlichter Empathie eher unfähig scheinen. Und noch das letzte Fitzelchen an Distinktion herauszukitzeln gewillt sind, um sich über die vermeintlich stupide Masse der Couch Potatoes, Gutmenschen, Systemmedienmacher und sonstigen Gleichgeschalteten zu erheben. Vice versa betonen Political Correctness-FetischistInnen nun – noch etwas zaghaft, aber doch – die „Problematik“ der derben, inkorrekten, allseits respektlosen Charlie Hebdo-Witze. Noch darunter rangieren Nemesis-Apologeten, die meinen, letztendlich wären die so „provokant“ blasphemischen Karikaturisten „doch irgendwie“ selbst schuld an ihrem Schicksal.

Ich finde derlei ja aufreizend realitäts- und menschenverachtend. Kurzum: dumm. Aber auch das ist unerheblich in einem grösseren Kontext. Die neue Medienwelt zwingt uns ihre Formatierung auf, die Kommunikation mit Mobilisierung gleichsetzt. Bedächtige Nachdenklichkeit, Zurückhaltung, gar Stille haben hier keinen Platz. Individuelle Standpunkte, die komplexer Erklärung bedürfen, sind eher chancenlos. „Ihr seid nicht Charlie!“ schreien uns nun die (eher selten so ausführlich) erklärungswütigen Scharfrichter der Medienmoral entgegen. Aber was sind wir dann? Und was sind sie? Und wer ist „wir“? Und wer „sie“? Warum? Wofür? Wogegen? Und wieviele?

So lassen wir uns alle (!) formidabel auseinanderdividieren. Meinungsfreiheit kann auch die Absenz sensibler Meinungsbildung und fundierter Schlüsse daraus bedeuten. Die Makler der Angst kostet das nicht einmal ein Lachen.

3 Antworten to “Vor dem Kopf: ein schwarzes Brett”


  1. Die meisten von uns werden bald wieder dieselben sein, die sie schon vor dem 07.01.2015 gewesen sind!

  2. Peter Jebsen Says:

    Hat dies auf http://www.Sozialgeschnatter.de rebloggt und kommentierte:
    Mein geschätzter Kollege Walter Gröbchen schreibt: >> Die neue Medienwelt zwingt uns ihre Formatierung auf, die Kommunikation mit Mobilisierung gleichsetzt. Bedächtige Nachdenklichkeit, Zurückhaltung, gar Stille haben hier keinen Platz. Individuelle Standpunkte, die komplexer Erklärung bedürfen, sind eher chancenlos. <> Vice versa betonen Political Correctness-FetischistInnen nun – noch etwas zaghaft, aber doch – die “Problematik” der derben, allseits respektlosen Charlie Hebdo-Witze. <<

    Schade, dass Walter hier einen Begriff verwendet, den ich fast so sehr für ein "Unwort" (bzw. einen "Un-Begriff") halte wie "Gutmensch". "PC" und "Gutmensch" werden mir zu oft denunziatorisch eingesetzt – um sich nicht mit individuellen Statements beschäftigen zu müssen, sondern sie bequem in eine Schublade verfrachten zu können.

    Ich habe in den vergangenen Tagen selbst häufiger die "Problematik" der CH-"Witze" kommentiert. Aber nicht, weil ich sie für zu "derbe" oder "respektlos" hielt. (Satire, die niemanden als zu derbe oder respektlos nervt, ist nämlich meist sterbenslangweilig.)

    An manchen der jetzt aus Solidarität veröffentlichten Charlie-Hebdo-Zeichnungen stört mich nicht, dass sie "Gruppen von Menschen kränken oder beleidigen können" ("PC"-Definition von Wikipedia). Ich persönlich empfinde sie einfach nur als unwitzig, grobschlächtig, handwerklich … ähem … "ausbaufähig" und ans Rassistische grenzend. (Dennoch verteidige auch ich selbstverständlich das Recht von CH, so was zu veröffentlichen. Wer's nicht mag, muss es ja nicht lesen.)


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