MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (324) Reflexion, Baby! Warum Abschalten oft mehr bringt als Hochaktivität – jedenfalls dem non-maschinellen Wesen Mensch.
„The future’s so bright I gotta wear shades“ sangen einst die US-Country-Rocker Timbuk 3. Freilich war das eher skeptisch gemeint denn zukunftsgläubig. Jedenfalls rutscht mir der Satz immer ins Gedächtnis, wenn ich – wie jetzt gerade – im Freibad im nördlichen Niederösterreich herumliege und mit der Seele baumle. Jack Nicholson-like mit schwarzer Ray Ban-Sonnenbrille vor den Augen, die Sonne brennt gnadenlos.
Und die Lektüre ist keine allzu leichte. Stanislaw Lems „Memoiren, gefunden in der Badewanne“ habe ich zuletzt in der Pubertät verschlungen – ohne damals zu verstehen, worauf der polnische Science Fiction-Philosoph hinauswollte. Das Buch nochmals aus dem Regal des Feriendomizils hervorzuholen, macht jedenfalls anno 2015 doppelt Sinn. Und, wie fast immer bei Lem, auch mächtig Spaß.
Denn die bereits 1961 verfassten „Memoiren“ (eigentlich: „Aufzeichnungen eines Menschen des Neogen“) lesen sich wie eine prophetische Zustandsbeschreibung der Jetzt-Zeit. Rezensenten etikettieren das Buch wahlweise als „satirische Farce“, „surrealistische Anti-Utopie“ oder „eine Schmähschrift auf die absolute Bürokratie und den totalen Polizeistaat, in dem alles und jeder gelenkt, einem geheimen Zweck untergeordnet und von Spitzeln überwacht wird.“ (so Lems deutscher Verlag Suhrkamp). Dass die Geschichte in einem Land namens „Ammer-Ku“ spielt – ein kaum verhohlener Fingerzeig auf die USA – ist so trefflich wie nebensächlich.
„Was dort das stets am Leib getragene Dechiffriergerät, ist hier das permanent Informationen ein- und auslesende und umwandelnde iPhone“, resümierte die Neue Zürcher Zeitung. „Was im Roman das Monster einer papierlastigen Bürokratie, sind heute aus dem Netzverkehr zusammengesaugte Riesenarchive und digitale Datenbunker – die nicht nur, wie wir inzwischen wissen, von Milliardensummen, sondern vor allem von einer universalen Paranoia des Verdachts gespeist werden.“
Man tut gut daran, bisweilen das Smartphone auszuschalten, den Alltag abzuschalten und in das Reich vergilbter Zukunftsprognosen und gewitzter Anti-Utopien abzutauchen. Reflexion, Baby! Jede Denkmöglichkeit ist in Big Data-Land längst Realität. Die Science Fiction-Elite von damals – jedenfalls ihre hervorragendsten Vertreter wie Lem, Philip K. Dick oder J. G. Ballard – wusste so einiges über den Pappenheimer Mensch. Und, nein, es ist kein Stilbruch, sich die Lektüre auf den E-Book-Reader runterzuladen. NSA & Co. lesen auch im Urlaub gerne mit.