Archive for November, 2009

Was ist gute Musik?

28. November 2009

Eine simple Frage. Die jedoch hintergründiger ist, als es sich zunächst darstellt – meint doch jede(r), sofort, zweifelsohne und allumfassend „gute“ Musik und „schlechte“ unterscheiden zu können. Ich würde mir das nicht leichtfertig herausnehmen. Letztlich aber muss es doch sein. Ein Streiflicht.

Was ist gute Musik? Seltsam, über diese Frage habe ich eigentlich nie wirklich nachgedacht. Vielleicht, weil ich mich immer auf meinen Instinkt verlassen habe. Vielleicht, weil gerade Musik nicht so sehr eine intellektuelle Übung ist, mehr ein emotionales Sich-Einlassen, Sich-Einlassen-Wollen, Sich-Einlassen-Können. Vielleicht auch, weil mir diese Frage so noch nie explizit gestellt wurde. Obwohl sie implizit meinen Alltag beherrscht. Seit Jahrzehnten.

Gestern, bei der 15-Jahr-Bestandsfeier des MICA, wurde diese Frage gestellt. Genauer: Musikschaffende aller Genres waren eingeladen, im Rahmen des Themenschwerpunkts „Sprechen über Musik – Polemiken“ ein persönliches Statement zur Fragestellung „Was macht heutzutage gute Musik aus?“ abzugeben. Und dieses mit Hörbeispielen zu untermauern. Eingeladen waren Renald Deppe, Christof Dienz, Electric Indigo, Sven Hartberger, Manuela Kerer, Doris Knecht, Fritz Ostermayer und Matthias Rüegg.

Letzterem gelang es, mir gleich mal die Mundwinkel nach unten zu ziehen. Dass ausgerechnet der langgediente Jazz-Avantgardist Rüegg, „Porgy & Bess“-Mitbegründer und Vienna Art Orchestra-Motor, die Rolling Stones, Abba, Michael Jackson und HipHop nicht zu schätzen weiß – geschenkt. Musik ist letztlich, das ist der ewige Anfangs- und Endpunkt jeglicher Diskussion, vor allem eines: Geschmackssache. Dass der Schweizer aber Handwerkliches an vorderste Stelle rückt, „Progressivität“ gar nicht schätzt und die Kunst gern im Elfenbeinturm daheim sieht („Keine Politik!“), ist schon arg konservativ. Um nicht zu sagen: reaktionär. Hätte ich nicht erwartet. Die MICA-Runde nahm es erstaunt, aber ohne Widerrede hin. Eines kann man Rüegg immerhin nicht vorwerfen: Feigheit. Aber wem er mit seinem Rundumschlag die Leviten lesen wollte, und warum, blieb unklar.

Reichlich launig, gelegentlich auch improvisiert beiläufig fielen die Statements der „Female Pressure“-Gründerin Susanne Kirchmayr alias Electric Indigo, von Christof Dienz („Die Knödel“) und Manuela Kerer, einer Psychologin und Komponistin aus Südtirol, aus. Aussagen wie „Gute Musik muss mich überraschen“ oder „Hansi Hinterseer begeistert viele Leute, er ist authentisch und hat Respekt verdient“ erzeugten ob ihrer Knallerbsen-Brisanz auch nicht gerade massiven Widerhall. Oder gar Beifall. Was beliebt, ist auch erlaubt. Eine grosse ästhetische Leitlinie, einen Konsens, was gute Musik von schlechter trennt, oder gar einen von der Volksschule bis zum Pensionistenheim gültigen Kultur-Kanon gibt es Anfangs des 21. Jahrhunderts wohl nicht mehr, Laissez-faire ist Grundhaltung, alle denkbaren Varianten – von totalem Lärm bis zu absichtsvoller Stille – sind durchgespielt. Also lassen wir auch Hinterseer gelten. Oder doch nicht?

Die Kolumnistin Doris Knecht setzt auf das Diktat des Individuums („Gute Musik muss mir gefallen“) und knallte dem Auditorium mit einem Blues/Electro/Punk-Hadern von Dead Weather („Bone House“, hier ein Video) eine vor den Latz. Beifälliges Kopfnicken. Dass die Stücke alle vor der Zeit ausgeblendet werden mussten – „erlaubt“ war ein Sample von zwei Minuten, selbst unter Kunstfreunden herrscht wohl zeitgemässe Ungeduld – war schade. Zumindest bei jenen Hörproben, die aus sich heraus die suggestive Kraft und Wirkung auch innerhalb dieser kurzen Aufwärmzeit entfalteten. Und das war, keine Überraschung, doch die Mehrzahl.

Renald Deppe (Komponist und Kurator), Fritz Ostermayer (FM4 „Im Sumpf“) und Sven Hartberger (Klangforum Wien) griffen auf persönliche Erfahrungswelten und Vorlieben zurück, bei gleichzeitigem Verlangen nach zeitloser Grösse. Geistesheroen wie Plato, Jean Dubuffet und Pierre Bourdieu dienten als Zeugen. Oder Zitat-Steinbrüche. Die Hörbeispiele der Herren, egal ob mittelalterliche Vokaldarbietung, folkloristische Film-Tonspur oder zeitgenössische E-Musik, überzeugten. Sofort. Eindringlich. Erstmals gehört, meinerseits. In der Tat: gute Musik. Sie muss mich nicht überraschen. Im Gegenteil: auch nach tausendmaligem Hören verliert sie im Idealfall nicht ihre Spannung, ihre Instant-Wirkung, ihren subjektiv überragenden Wert.

Was also ist „gute Musik“? Eventuell lässt sich die Frage als Komplimentärmenge zur Antwort auf die Gegenfrage „Was ist schlechte Musik?“ definieren. Auch da kann, muß  und will ich mich wieder – fast ausschliesslich – auf meinen Instinkt verlassen. Und auf die Ohren, die wohl direkte Gehörgänge, Nervenverästelungen und Verbindungslinien zu den Gehirnganglien und zum Solar Plexus besitzen. Ist Musik nicht ergreifend (und, so pathetisch dieses Wort auch klingen mag, es trifft den Kern), lässt sie mich gleichgültig. Und Gleichgültigkeit ist ein ästhetisches Todesurteil. Insofern ist sie ein Indikator für „schlechte“ Musik. Die es in Wahrheit aber nicht gibt. Oder doch? Denn: Hansi Hinterseers volkstümliche Hervorbringungen, geschaffen als Auftragswerk von Fremdautoren, ohne jeden künstlerischen Impetus, nur als kommerzielles Surrogat, repräsentieren schlechte Musik. Ohne Zweifel. Denn diese Art von Schöpfung lässt mich nicht kalt. Sie macht mich übellaunig, apathisch, unwillig, aggressiv, negativ erstaunt. Erstaunt darüber, dass man ernsthaft Künstlichkeit mit Kunst, Fliessband-Emotionen mit Authentizität und Volksdümmlichkeit mit Empathie verwechseln kann. De gustibus disputandum est.

Wenn Kunst von Können kommt, eine beliebig verwend- und interpretierbare Argumentationshülse, muss auch der Zuhörer hören können. Ästhetische Kriterien, Erkenntnisprozesse und historische Querverbindungen gilt es in der Regel hart zu erarbeiten. Und doch siegt oft, eventuell zu oft der innere Schweinehund. Aber regiert er, flankiert von Gevatter Kommerz und Mutter Markt, wirklich mein, Dein, unser Musikuniversum? Seltsam: gerade fällt mir eine Zeile aus Leonard Cohens „Hallelujah“ – populär geworden zuletzt durch eine berückende Version von Jeff Buckley – ein: „But you don’t really care for music, do you?“. Kitsch, eventuell. Aber ich liebe Kitsch. Es ist das billigere Opium für das Volk der Rührseligen. Wer Kitsch für das Gegenteil von Kunst hält, hat eventuell recht. Ich misstraue aber den Kategorien per se.

Meine persönliche Erfahrung in Sachen Musik, ja Kunst schlechthin, ist: nicht das, was sich sofort erschliesst, sich ranschmeisst und aufreizend anschmiegt, erweist sich langfristig als Gewinn. Spricht das gegen die Masse, wider Popularität, gegen Charts? Das „Hit“-Prinzip, so sehr ich es respektiere, enthält (oft, nicht immer) zuviele Geschmacksverstärker und künstliche Süßstoffe. Verlangt einen nach Mehr, nach Gehalt, nach dauernder Gültigkeit und nachhaltigem Genuß, gilt es, Widerstände zu überwinden, innere Abwehr, sogar offensive Ablehnung. Gerade diese Ausgangssituation schlägt oft in Faszination um. Und ein Verlangen nach Mehr. Nicht immer, aber Qualität ist keine Frage von Masse und Häufigkeit. Das gilt für Pop genauso wie für Jazz, Techno oder Neue Musik. Hätte ich nicht mit zwölf Jahren die Beatles auf mich wirken lassen (ok, zugegeben, auch Suzi Quatro und Gary Glitter), mit fünfzehn Jahren Led Zeppelin, Pink Floyd und Neil Young, mit siebzehn Jahren King Crimson und „Close To The Edge“ von Yes, mit neunzehn Kraftwerk, Fehlfarben oder „Sandinista“ von The Clash oder mit zwanzig Sun Ra, Mozarts „Requiem“ oder „A Love Supreme“ von John Coltrane, könnte ich nicht heute auf ein weitgefächertes, reiches Erfahrungs- und Erkenntnisspektrum zurückgreifen. Und ich schäme mich auch nicht für Abba, Slade, Manfred Mann’s Earth Band, Genesis, The Police, Falco, Wolfgang Ambros, Wham oder Madonna. Gewiss nicht.

Aktuell liegt gerade Wolfgang Mitterers „Music For Checking e-mails“ in meinem CD-Player. Und, ja, das ist gute Musik (obwohl mich meine Freundin gerade frägt, ob ich sie damit „nun endgültig in den Wahnsinn treiben will“.) Ob das nun Avantgarde, Pop, Neue Klassik, U- oder E-Musik, Ambient, Jazz oder Elektronik-Crossover ist, ist mir egal. Und ob Matthias Rüegg sie schätzt oder verdammt, auch.

Einsicht auf vier Rädern

28. November 2009

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (37) Der Honda „Insight“ ist das billigste Hybrid-Auto am Markt. Es fährt sich dennoch reichlich sexy.

„Insight“ bedeutet Einsicht, Verständnis, Erkenntnis. Man muss nicht zum Wörterbuch greifen, um das Signal zu verstehen, das der japanische Autohersteller Honda mit einem Modell dieses Namens setzen will. Der „Insight“ ist das billigste Hybrid-Fahrzeug, das derzeit in Österreich käuflich zu erwerben ist. Zu Mitbewerbern wie dem Toyota Prius – von Lexus ganz zu schweigen – hält man einige tausend Euro Abstand. Die Japaner, die nun schon in dritter Generation auf die intelligente Kombination von Benzin- und Elektromotoren setzen, haben mit ihrem breit gefächterten Angebot einen respektablen Vorsprung zur restlichen Autowelt. Die forciert in ihren Entwicklungsabteilungen gerade das Thema Elektroantrieb pur. Wenn ich aber Leuten wie David Staretz, dem feinsinnigsten Motorjournalisten des Landes, Glauben schenken darf, ist man von einer wundersamen Lösung aller Umwelt-, Mobilitäts- und Wirtschaftsprobleme via Steckdose noch Lichtjahre entfernt.

Kann nun eine Kiste wie der „Insight“ etwas? Und, wenn ja, zu welchem Preis (jenseits der mindestens 20.000 Euronen, die man am Verkaufsschalter ablegt)? Ich hab’s ein Wochenende lang ausprobiert. Gleich vorweg: mit weniger Spass an der Freud’ bezahlt man nicht. Im Gegenteil. Es ist kurzweilig, im leicht überkandidelten Cockpit des Hybrid-Honda mit allerlei Farbspielen, Info-Displays und Blumensymbolen sanft zum Spritsparer erzogen zu werden. Die Kraft des 14 PS-Elektromotors reicht aus, um den 88 PS-Benziner in punkto Beschleunigung stupend zu unterstützen. Im Stand und beim Rollen schaltet der Benziner ganz ab. Die Energierückgewinnung zehrt von Bremsvorgängen, kommt in der Stadt also stärker zum Tragen. Sonst fährt sich das Auto wie jedes andere auch. Einen Verbrauch unter fünf Liter Benzin auf hundert Kilometer habe ich nicht geschafft. Aber man bewegt sich immer in die richtige Richtung: nicht mehr Kraft, Maximalgeschwindigkeit und Protzfaktor sind massgeblich, sondern Co2-Ausstoss, Verbrauch und persönliche Öko-Bilanz. Dieser Imperativ, fünfzig Jahre früher forciert, hätte unseren Ölvorräten und dem Planeten insgesamt gut getan.

Insofern sind mir Fahrzeuge wie der Honda „Insight“ grundsätzlich sympathisch. Ich weiss schon: man muss die Produktion in die Gesamtbilanz einrechnen, solch ein Blechhaufen ist immer noch – zumeist unnötig – plump und schwer, es mangelt ungebrochen an Hybrid-Kleinwägen, und die Welt lässt sich so auch nicht retten. Aber die Einsicht, dass Nichtstun der sichere Weg in den Untergang ist, ist schon mal ein Anfang.

Zukunftszone ohne Zukunft?

21. November 2009

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (36) Die „Futurezone“ ist so öffentlich-rechtlich wie der Rest-ORF. Mindestens. Was hat die Politik dagegen?

Es war nur eine Randnotiz. Aber sie machte mich stutzig. „Mit der „Futurezone“ könnte der ORF unerlaubt privaten Medien Konkurrenz machen“, schrieb Patricia Käfer in einem „Presse“-Artikel über den „rot-schwarzen ORF-Deal“, der dem Unternehmen 160 Millionen Euro bringt. Und eine Verschnaufpause bis zum Jahr 2013. „Darüber entscheidet künftig eine neue, weisungsfreie Medienbehörde.“ Punktum.

Ich will hier nun kein Lamento darüber anstimmen, dass sich die Medien-Visionen unserer Politiker offenbar im Austausch missliebigen Personals, dem Drehen an der Finanzschraube und der Aufschichtung zusätzlichen bürokratischen Überbaus erschöpfen – gewiss gänzlich weisungsfrei, nichts anderes vermutet man als gelernter Österreicher. Aber warum soll diese neue Behörde zuvorderst die „Futurezone“ ins Visier nehmen?

Für jene, die das Angebot nicht kennen: es ist einer von acht „Channels“ auf ORF.ON, dem Online-Angebot der grössten Medienorgel des Landes. Schwerpunkt: Technik, Neue Medien, digitaler Alltag. Also Kernthemen für einen ernstzunehmendes journalistisches Portfolio der Jetzt-Zeit. Und tatsächlich machen die Kolleginnen und Kollegen einen guten Job: einerseits gewinnt man, so man sich nicht nur für Fussball, Lady Gaga oder Dessous-Mode interessiert (dafür gibt es andere ORF-Kanäle), einen probaten Themen-Überblick, andererseits gehen manche Stories richtig in die Tiefe. Oft mehr – Online-Medien kennen keine Platzprobleme – als alteingessene Print-Platzhirsche und Kommerz-Privatiers. „Futurezone“ ist gehaltvoller, zukunftsträchtiger, öffentlich-rechtlicher als vieles andere, was uns unter diesem Titel verkauft wird. Was sollten institutionalisierte Medienwächter dagegen haben? Oder gar die EU? Vom Gebührenzahler mal ganz abgesehen.

Von wegen „unerlaubte Konkurrenz“: natürlich könnte man argumentieren, die „Futurezone“ würde – im ORF-Kontext weit mehr als zur Hälfte gebührenfinanziert – etwa den Technik-Seiten von „Presse“, „Standard“, „Kurier“ usw. das Wasser abgraben. Und Petitessen wie diese „Maschinenraum“-Kolumne be-, wenn nicht gar verhindern. Das ist natürlich Unsinn. Erstens ist die Dichte und Qualität des Angebots jenseits reiner Boulevard-Berichterstattung und PR-Medienpartnerschaft endenwollend. Zweitens: warum sollte eine Fremd- oder Selbstbeschränkung der ORF-Themenfindung gerade diesen Bereich treffen? Da schienen mir Dessousmode oder Lady Gaga-News schon verzichtbarer.

Und last, but not least ist im konkreten Fall der wesentlichste Mitbewerber nicht in Österreich anzutreffen. Sondern kommt aus Deutschland – es ist der technikorientierte News/Content-Aggregator heise.de. In Hannover wird man sich herzlich bedanken für die Schützenhilfe des österreichischen Gesetzgebers. Werbebeschränkungen oder Verbote für hiesige Online-Angebote, die natürlich auch vom ORF kommen können und sollen, bringen dem lokalen Qualitätsjournalismus keinen Eurocent mehr. Sondern lassen mögliche Umsätze viel eher in Richtung Deutschland abfliessen. Schon jetzt ist spiegel.de eines der fünf meistgenutzten Online-Angebote hierzulande. bild.de ist ebenfalls auf der Überholspur. Deckelt man bei den ORF-Online-Diensten die Werbung, lohnt es sich für die Deutschen, es wie im TV-Sektor zu machen und lokale Werbefenster einzurichten. Das geht im Internet übrigens noch hurtiger als beim Fernsehen. In diesem schwierigen Umfeld scheint auch der VÖZ (Verband österreichischer Zeitungen), ganz auf Spurenelemente eines möglichen eigenen Vorteils bedacht, kurzsichtig zu agieren – um es mal vorsichtig auszudrücken.

Insgesamt drängt sich der Verdacht auf, dass uns wieder einmal unter unverfänglichen Stichworten wie „Qualitätssicherung“ und „Public Value“ ein Schleiertanz um den Futtertrog untergejubelt wird. Ich schätze nur, wenn die Politprofis dieses Landes so tolldreist weiter vor sich hinwursteln – holen Sie schon mal Ihr Faxgerät aus dem Gerümpelkeller, um ev. an der urdemokratischen ORF-Publikumsrats-Wahl teilnehmen zu können! – gibt’s bald keinen Futtertrog mehr. Weder hie noch da. Sondern ein Publikum, das sich sein Programm selbst macht. Und seine Medienpolitik. Wie, ist schon heute in der „Futurezone“ nachzulesen. Hoffentlich auch morgen noch.

Unfreiwillige Selbstkontrolle

15. November 2009

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (35) Digitale Medien: der Staat versucht die Jugend vor Schmutz & Schund zu schützen. Allerdings mit den falschen Mitteln.

FSK 18

Moral und Marketing, diese Wörter haben wohl nicht zufällig denselben Anfangsbuchstaben. Eine Ereiferung über die reichlich durchsichtige, aber immer wieder auf’s Neue wirksame Provokationstechnik der deutschen Rockband Rammstein – rollen Sie bitte das „R“ bei lautem Vorlesen rrrichtig geräuschvoll! – ist an dieser Stelle nicht angebracht. Deren neues Album „Liebe ist für alle da“ landete in Deutschland zuerst auf Platz eins der Verkaufscharts, dann auf dem Index. Dass aber Ministerien und Staatsbehörden den Jugendschutz mit Mitteln forcieren, die bestenfalls unwirksam und lächerlich sind, im schlimmsten Fall jedoch sogar noch den Bekanntheitsgrad und Reiz indizierter Produkte steigern, soll, darf und muss auch abseits des Feuilletons kommentiert werden.

Die Sache ist nämlich die: Texte, Töne, Spiele, Bilder, Filmchen – was immer in digitaler Form vorliegt (und das tut heute fast alles), wird kaum mehr über eine Ladentheke verkauft. Und damit auch nicht unter einer Ladentheke. Oder „unter der Budel“, wie man in Ostösterreich sagen würde. Die Ware ist längst zu unkontrollierbarem, beliebig vervielfältigbarem und watscheneinfach zu verbreitendem „content“ mutiert, den weder die Herstellerfirmen, der Handel noch Vater Staat richtig zu fassen kriegen. Eine „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“, wie in Deutschland, kann noch so oft darauf hinweisen, dass die geprüfte Materie moralisch zweifelhaft, tendenziell sittengefährdend und inhaltlich mindestens so fragwürdig ist wie Privatfernsehen nach Mitternacht – es juckt keinen. Vor allem keinen Jugendlichen. Die haben das Zeug natürlich alle längst aus dem Internet oder von der Festplatte der Schulkollegen auf die eigene Festplatte gezogen. Oder sehen sich allerlei Unartiges, Rammstein-Videos zählen da eher zu den harmloseren Dingen, als Pixel-Stream an. Eventuell sogar hochauflösend. Nur der Handel und die Plattenfirma fallen um das Geschäft nach alter Manier um. Und eine Band wie Rammstein darf ob der offiziellen Aufwertung ihres Böse Buben-Status frohlocken.

Bei allem Verständnis für pädagogische Signalsetzungen: wirklich ärgerlich ist dieses längst zu sinnlosem Aktionismus verkommene Hase-Igel-Spiel aber dann, wenn der Staat meint, Kunst- und Kultur-Konsumenten á priori bevormunden zu müssen. Etwa, in dem er auf unübersehbaren, färbigen Stickern erklärt, ein Film wäre z.B „ab 12 freigegeben“. Oder „ab 18“. Oder „ab 0“. Letzteres ist besonders lächerlich. Diese Altersfreigaben müssen seit einiger Zeit fix auf den Hüllen von DVDs angebracht werden. Unablösbar. Also gedruckt. Auf der Vorderseite. Sorry: das läuft meinem ästhetischen Empfinden zuwider. Eventuell haben sich ja Grafiker etwas gedacht bei der Gestaltung eines Covers oder einer DVD-Hülle. Eventuell ist es einer „MediaMarkt“- oder „Libro“-Verkäuferin schnurzegal, wenn sie einem 13jährigen eine DVD verkauft, die erst „ab 16“ freigegeben ist. Eventuell kann ich ja auch soetwas wie Eigenverantwortung zeigen, wenn mich mein vierzehnjähriger Sohn nach dem „Letzten Tango in Paris“ frägt (aber erstens frägt er mich wahrscheinlich nicht, wie ich meine Eltern auch nicht gefragt habe, ob ich frischfröhlich Marquis de Sade lesen dürfe… Und zweitens finde ich den neuen Roland-Emmerich-Katastrophen-Blockbuster – freigegeben ab 12 Jahren – ungeschaut obszöner als Bertoluccis Filmklassiker.)

Was folgt als nächstes? Bücher, deren Umschläge mit fettgedruckten Leserichtlinien versehen werden? Rundgänge durch Museen, wo Rubens– und Hieronymus Bosch-Bilder überhängt sind? Oder auf den Gemälden Warnpickerl kleben? Stadtpläne, in denen Sperrzonen und „No Go Areas“ markiert sind? Technik-Kolumnen, deren Lektüre eine Ausweiskontrolle voraussetzt? Wenn Ihnen jetzt die „Rauchen kann Krebs verursachen“-Kennzeichnungen auf Zigarettenpackungen einfallen: bigotter geht’s wohl nicht. Selbst vom allerletzten Lungenzug der Suchtopfer kassiert der Staat noch annähernd fünfundsiebzig Prozent Tabaksteuer.

Die Filmfirmen haben auf ihre Weise geantwortet: sie bieten „Wendecover“ an, die den FSK-Sticker flugs wieder verschwinden lassen.

P.S.: In Österreich gibt es keine „Freiwillige Selbstkontrolle“ nach deutschem Vorbild. Jugendschutz ist Ländersache, sehr uneinheitlich geregelt (man hat den Eindruck, oft gar nicht), und in Sachen DVD hängt man sich pragmatisch quasi beim grossen Bruder an. Rechtliche Bindung hat das aber nicht. Was nichts an den mehr als markanten, hierzulande erst recht unsinnigen und störenden FSK-Aufklebern ändert.

Die neuen, toten Österreicher

14. November 2009

Die Debatte um ein neues ORF-Gesetz ist in der heissen Phase. Nicht vorrangig, aber doch, geht es auch um Inhalte. Etwa um den österreichischen Film. Oder heimische Musik. Letztere leidet seit Jahren unter massiver Ignoranz in TV- und Radioprogrammen des öffentlichen-rechtlichen Leitsenders. Auch Aktionen wie „Die neuen Österreicher“ auf Ö3 bewirkten wenig Positives. Eher das Gegenteil.

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Die Meldungen waren relativ versteckt. In der Presse. Auf jener Seite, die am engagiertesten über jene Handvoll Künstler berichten sollte, die man so demonstrativ ans Herz gedrückt hatte, stand dagegen kein Pieps zu lesen. Fakt ist: SheSays haben sich aufgelöst. Mondscheiner haben sich aufgelöst. Und bei Luttenberger-Klug kracht’s auch heftig im Gebälk. Selbst Christina Stürmer schwächelt. Bleibt die Hoffnung, daß Österreichs Pop-Mainstream (und zuvorderst Österreichs medialer Pop-Mainstream-Durchlauferhitzer, also Ö3) auf Dauer Gefallen an Anna F. oder Eva K. Anderson findet. Denn sonst sieht’s eher düster aus. Acts wie Tuesday, Saint Lu (die als Debut ein famoses Retro-Rock-Album hingelegt haben), Cama, The Whazz oder Leo Aberer kennt kaum jemand. Cardiac Move, die Gewinner des letztjährigen „Ö3-Soundcheck“, verschwanden alsbald wieder in der Versenkung. Und andere „Neue Österreicher“-Hoffnungsträger wie Zweitfrau, Valerie, Band WG, Zeronic, PBH Club oder Excuse Me Moses leiden, wenn sie nicht schon jede Hoffnung fahren haben lassen, an Ö3-Lippenbekenntnissen, gepaart mit zögerlicher Aufmerksamkeit und mangelndem Airplay.

Warum ich Ihnen das alles erzähle? Nun: der mögliche Einwand, mich interessiere diese dünnhäutige und -blütige Szene ja wohl auch nur am Rande, stimmt nur zum Teil. Denn Pop als Format und Konzept trägt das Populäre, die Reichweite, den Mainstream in sich. Und Popkultur hat mich immer interessiert. Schliesslich gab es auch mal Zeiten bei Ö3, da war man mittendrin im Geschehen, ein geschätzter Kommunikationspartner und wesentlicher Katalysator, wenn nicht gar Antriebsmotor für die Entwicklung und das Aufblühen einer Szene. Heute ist Ö3, so hart dieser Befund klingen mag, eher ein entscheidender Faktor für das Absterben einer Idee. Der Idee, daß guter, konsensfähiger, populärer (und gewiß auch weithin verkäuflicher) Mainstream-Pop auch aus Österreich kommen kann.

„Die neuen Österreicher“ mögen ursprünglich eine gut gemeinte Projektion gewesen sein. Ein pragmatisches Vehikel, die selbstauferlegten Kommerz-Spielregeln und Formatzwänge eines öffentlich-rechtlichen Privatradios zu durchbrechen oder doch clever zu umgehen, und solchermassen on- und off air etwas für heimische Künstler zu erreichen. Aber „gut gemeint“ ist das Gegenteil von „gut“, und die Aktion – sie läuft nun schon einige Jährchen, mittlerweile wohl nur mehr auf Sparflamme – trug und trägt, wenn überhaupt, nur zum gern geübten Selbstbetrug der hiesigen Medien- und Kreativszene bei. Der Selbstbetrug lautet, verkürzt: weltberühmt in Wien zu sein genügt. Die ganze Chose sei letztendlich bedeutungslos. Und natürlich seien alle guten Willens, aber es gebe einfach zu wenig Qualität und Quantität und Finanzkraft und Vision und Bedarf in diesem kleinen, engen Land. Insofern mache man eh das Beste draus.

Das ist natürlich eine Bankrotterklärung. Oder zumindest eine Selbstbescheidung, die einer grossen, mächtigen, stolzen Medienorgel, deren Organisten bei Bedarf so gern die „österreichische Identität“ und jegliche damit verbundene Sinnstiftung im Munde führen, nicht annähernd gerecht wird. Gewiß: gerade Mondscheiner und SheSays hat es an Ö3-Airplay nicht gemangelt. Aber ich wage zu behaupten, daß die enge Formatierung des Senders (und der noch engstirnigere programmatische Umgang damit) eine künstlerische Weiterentwicklung der Bands nicht gerade begünstigte. Die „Neue Österreicher“-Punzierung viele eher abschreckte als anzog. Und es die Künstler schliesslich zerriss im Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Eine künstliche Pop-Glückseligkeit, fassbare Authentizität und eine stringente Karriere kann auch der ORF nicht vermitteln. Oder gar garantieren. Die typische „Starmaniac“- oder „Neue Österreicher“-Karriere verlief denn auch so: stark begonnen, stark nachgelassen, ganz schwacher Abgang. Oder: schwach begonnen, starker, weil baldiger Abgang. Ausnahmen bestätigen die Regel. Die A&R-Spürnasen des Senders, zumeist strikt parallel operierend mit der A&R-Politik weniger Major-Firmen (oder vice versa), setzten zu oft aufs falsche Pferd.

Es ist seit Jahren immer dieselbe Geschichte. Um ehrlich zu sein: ich kann sie nicht mehr hören, ich will sie nicht mehr erzählen, ich bin es müde, die ewig gleichen, gleich gültigen und für die Empfänger gleichgültigen Argumente herunterzubeten. Der „Dialog“ mit dem ORF gleicht einer Konfrontation mit einer Gummiwand. Es hat auch offensichtlich wenig Sinn, auf jene aktuell besonders vitale, weit aufgefächerte, in Qualität und Quantität höchst bemerkenswerte österreichische Pop-Szenerie zu verweisen, die abseits Ö3 blüht. Und trotz der Ignoranz des Senders – oder gerade wegen ihr? – gelernt hat, ein Publikum zu suchen und zu finden. Teils über die Grenzen des Landes hinaus.

Das letzte, halbwegs konstruktive Gespräch, das ich diesbezüglich mit den Managern des mit Abstand wichtigsten Senders zwischen Eisenstadt und Bregenz (mit Strahlkraft bis nach München, Bozen, Bratislava) geführt habe, enthielt einen sehr ernstgemeinten Vorschlag: spielt doch Clara Luzia, Soap&Skin, Russkaja, Parov Stelar, Ernst Molden, Florian Horwath, Mauracher, Dzihan & Kamien, Guadaljara, Sabina Hank, Rodney Hunter, Ja, Panik, Madita, Texta, Waldeck, Axel Wolph, Hot Pants Road Club, Vera, Coshiva, Bauchklang, A Life, A Song, A Cigarette, Ramon, Celia Mara, Count Basic, Son of the Velvet Rat, Herbstrock, Zeebee, Naked Lunch oder Louie Austen (just to name a few) rauf und runter.

Sie existieren real, sie schlagen sich achtbar, sie sind keine künstlichen „Starmania“-Kreaturen, sie haben Aufmerksamkeit und Airplay verdient. Seit vielen Jahren. Klebt ihnen kein dämliches „Neue Östereicher“-Etikett auf – das haben sie nicht gern. Und noch weniger verdient. Denn es sind keine Neulinge, keine Newcomer, und vor allem keine Geschöpfe, die man im eigenen Treibhaus gezüchtet hat. Diese, die alten „Neuen Österreicher“, haben sich ja in freier Wildbahn meist als eher wenig widerstandsfähig, glaubwürdig und überlebenstüchtig erwiesen (quod erat demonstrandum, wenn ich zum Anfang dieser Polemik zurückkehre). Tut das, was ein guter, zeitgemässer, noch dazu mit öffentlichen Mitteln finanzierter Sender tun soll: nehmt sie wahr. Nehmt sie ernst. Und nehmt euer Publikum ernst. Denn das würde durchaus gerne etwas mehr von den Künstlern in seiner nächsten Nachbarschaft hören. Und sehen. Haltet euch einfach an den Programmauftrag. Und den Kulturauftrag. Erfüllt ihn mit Leben. That’s it. Und alles wird gut. Und ihr werdet – das ist ja die grösste Angst der Macher in der Heiligenstädter Lände – keinen einzigen Hörer und keine einzige Hörerin verlieren.

Wie gesagt: das waren meine letzten, direkten Worte an diverse Ö3-Potentaten. Zumindest in der Causa „Airplay für österreichische Künstler“. Das ist nun doch schon einige Zeit her. Seither herrschte Funkstille. Weitgehend. Nun: dieser Tage nehmen ein paar Damen und Herren, die aus verschiedensten Ecken, Landeswinkeln, Vereinigungen und Interessensverbänden kommen und gemeinsam eine nicht ganz unbeachtete Initiative gesetzt haben, einen neuen Anlauf. Es wird wieder geredet. Noch mehr geredet. Eventuell konkreter, härter, deutlicher geredet als all die Jahre zuvor. Mit ORF-Direktoren, Senderchefs, Musikredakteuren. Ob es hilft?

Damit zurück zum Ausgangspunkt: zumindest eine Nachricht wären sie wert gewesen, an der Realitäts-Nebenfront. Eventuell hätten sie sich auch einen Nachruf verdient, SheSays, Mondscheiner und einige mehr, die in diesem endlosen, endlos zähen und endlos beschämenden Kampf bislang auf der Strecke blieben. „Die neuen Österreicher“ von ORF-Gnaden sind tot. Die neuen, untoten ÖsterreicherInnen werden nicht endlos Geduld haben.

Reaktion des Tages

9. November 2009

Dichandtwitter

Bild des Tages

8. November 2009

Krone 08.11.2009 (2)

Fragliche Innovationen, leere Pisten

7. November 2009

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (34) Stichwort Wintersport. Der manische Innovations-Drang der Skihersteller beschleunigt nur ihre wirtschaftliche Talfahrt.

Ski

Österreich, die Nation der Skifahrer, hat ein Problem: der Nachwuchs pfeift auf’s Skifahren. Eine halbe Million Schüler, rechnete ein Wirtschaftskammer-Funktionär, Sparte Tourismus, öffentlich vor, sei seit der Abschaffung verpflichtender Schulskikurse Mitte der neunziger Jahre nicht auf Wintersportwoche gefahren. Was den Mann nicht ruhen lässt – dann müsse man die Jugend und die Schulen eben wieder in die Pflicht nehmen. Denn: was Hänschen nicht lernt, lerne Hans nimmermehr. Dabei gibt der durchschnittliche Ski-Crack im Lauf seines Pistendaseins rund 47.000 Euro aus. Für g’führige Brettln, Skischuhe, Bekleidung, Skipässe, Hotel und Anreise. Zweifelsohne ein teurer Spass.

Und er wird immer teurer. Armadas von Schneekanonen, exorbitante Preiserhöhungen für Liftkarten (samt schlaumeierischen, verdeckten „Vorzugspreisen“ für Einheimische), DJ Ötzi-verbrämte Abzocke auf den Almhütten – die Misere ist hausgemacht. Auch die Skihersteller klagen. Jahr für Jahr. Allzuviele gibt es ja nicht mehr: die drei grössten Anbieter Amer (Atomic, Salomon), Rossignol und K2-Völkl beherrschen 70 Prozent des Weltmarktes. Megatrends wie Snowboards und Carving-Skier konnten nichts daran ändern, dass die Hersteller kaum mehr Profit machen. Überproduktion, das Verschleudern von Auslaufmodellen, der nervöse Handel und ein generell schwache Konjunktur beschleunigen die Talfahrt.

„Die Technik wurde erfolgreich weiterentwickelt, aber die Preise konnten nicht angehoben werden“, zitiert die „Welt am Sonntag“ einen Sprecher der Händlervereinigung Intersport. Und exakt hier möchte ich einhaken: die Innovation um der Innovation willen ist eine Pest, die auch diese Industrie erfasst hat. Vielleicht stärker noch als andere. Oft sind es nur preistreibende Pseudo-Verbesserungen, elitärer Zierrat oder kuriose Mode-Gimmicks, die einen brutalen Verdrängungswettbewerb abfedern sollen. „Power Switch“, „Flex Adapter“, „Vario Cut“, „Dynamic Grip Control“, „Doubledeck“-Technologie etc. usw. usf. – merken die Designer und Entwickler nicht, dass die breite Masse mit dieser ewigen Neuigkeiten-Manie wenig anfangen kann? Und will? Oder, wenn schon, gern zum Leihski greift? Es geht schlichtweg darum, halbwegs elegant und/oder rasant den Berg hinunter zu kommen. Und das zu erschwinglichen Preisen. Vielleicht kann man ja mit den High Tech-Wunderdingern dieser Saison auch bergauf fahren. Ich fürchte nur, viele Jugendliche betreten eine weisse Piste, wenn überhaupt, nur mehr virtuell. Mit dem PC-Steuerknüppel in der Hand.

P.S.: Manchmal wünsche ich mir die schlichten – und schönen, im Gegensatz zu den vom Design-Overkill verunstalteten Plastik-, Carbon-, Aluminium- und Hybrid-Konstruktionen von heute – Uralt-Modelle Blizzard „Firebird“, Fischer „C4“ oder Head „Hot“ zurück. Die begehrtesten Brettln meiner Jugend. Man fuhr auf ihnen, der Kondition und dem skifahrerischen Können entsprechend, durchwegs probat. Die Erinnerung verklärt, würden mir wahrscheinlich die Skiexperten von heute bedeuten. Aber die Freude am Herumteufeln im Schnee entsteht auch (und vielleicht zuvorderst) im Kopf. Wenn Unsicherheit, Minderwertigkeitsgefühl ob eventuell veralteteter Technik, Ärger über die leere Geldbörse oder Desinteresse an Sport generell Raum gegriffen haben, wird’s wohl nichts (mehr) mit dem gepflegten Winter-Spass.

P.P.S.: Immerhin, ein Hype der letzten Jahre macht Sinn: man sieht immer mehr Skifahrerinnen und Skifahrer, junge wie alte, gute und schlechte, mit Helm auf der Piste. Gut so.

Beiläufige Musiktipps (6)

2. November 2009

ROBERT ROTIFER ist jedem Pop-Fan, FM4-Hörer und Musik-Kenner hierzulande ein Begriff. Als Kritiker, weniger als Musiker. Das sollte sich baldigst ändern. Viele gute Gründe dafür finden sich auf Rotifers neuem Album „The Children On The Hill“.

Cover ROTIFER - Children

Ich kann Google noch so oft quälen, aber die Suchkombination „rock critic, typewriter, stage“ ergibt keine brauchbaren Treffer. War es Lester Bangs? Waren es Blue Oyster Cult? Oder ganz wer anderer? Es gibt da jedenfalls diese eine Anekdote, die ich im Hinterkopf habe. Irgendwer hat sie mir wohl erzählt, irgendwann, und ob sie wahr oder unwahr ist, tut weiter nichts zur Sache. Es ist eine Geschichte, die das Verhältnis zwischen Musikern und Musikjournalisten, zwischen Lyrics-Urhebern und Texte-Schreibern, zwischen Berichterstattern und den bevorzugten Objekten der Berichterstattung trefflich umreisst. Die Geschichte geht so:

Musikkritiker gelten oft als verhinderte Musiker. Bisweilen nicht zu unrecht. So beschliesst die Band X eines Tages, den ihr gewogenen und befreundeten Kritiker Y mit einer freundlichen Geste zu bedenken. Ja, mehr als das: ihm einen besonderen Wunsch zu erfüllen. Y darf mit auf die Bühne, die Live-Atmosphäre geniessen, ein Instrument spielen. „Sein“ Instrument. Der Kritiker, ein leidlicher Amateur an der Gitarre, übt und übt. Und schliesslich ist es soweit. Ein umjubeltes Live-Konzert. Zum Höhepunkt und Schluß hin wird eine besondere Attraktion, ein spezieller Gast angekündigt: ein prominenter Fan als „part of the show“. Er darf, kann, soll seine Virtuosität unter Beweis stellen. X stimmen eine ausufernde Jam-Session an, Y betritt die Bühne. „Sein“ Instrument – er denkt wohl an das teuerste Stück der Gitarren-Kollektion der Band – ist sichtbar verkabelt, aber unter einer Abdeckung verborgen. Noch.

Der Sänger der Gruppe X tritt ans Mikrophon, spricht gestenreich und emphatisch einführende Worte, die zugleich an das Publikum und den neuen Bühnenmitstreiter gerichtet sind: man freue sich auf diesen bewegenden Moment, man erwarte Grosses, und man habe Y selbstverständlich ein exklusives Instrument zugedacht, das er wirklich exzeptionell beherrsche und das ihrem Sound eine ganz besondere Note hinzufügen werde… Der Kritiker ist sichtbar geschmeichelt. Die Band im Hintergrund hebt zum Höhenflug an. Die Abdeckung wird flugs entfernt. Das Instrument, das der gute Mann nun live bedienen soll, ist eine – Schreibmaschine. Eine elektrische, immerhin. Das Publikum tobt. Die Band wiehert. Der Kritiker schreibt. Bleibt ihm anderes übrig?

Warum ich diese Geschichte aus dem großen Fundus der Popkultur-Mythen hervorgeholt habe? Weil wir es bei Robert Rotifer zweifelsohne mit einem Mann zu tun haben, der sich auf beiden Gebieten – dem der Musikberichterstattung und jenem der Musik selbst – einen Namen gemacht hat. Und es wird ihn nicht kränken, wenn ich meine, daß bislang der Journalismus obsiegt hat, was den Rang der Bekanntheit, was Anerkennung und Einkommen und Respekt betrifft. Rotifer ist eine duale Erscheinung: einerseits einer, der samt Gitarre selbstbewusst auf die Bühne steigt, andererseits – vom österreichischen Nachrichtenmagazin „profil“ bis zur „Berliner Zeitung“, vom Radiosender FM4 (ORF) bis zum Deutschlandfunk – als einer der kompetentesten und besten Pop-Schreiber, -Kenner und -Kommentatoren des deutschsprachigen Raums gilt. Das hat damit zu tun, daß der Mann – seit jeher mit einem Hang zum Anglophilen ausgestattet – den Objekten der Begierde näher ist als viele seiner Kolleginnen und Kollegen. Ende der neunziger Jahre zog es den Journalisten samt Familie nach London. Heute leben die Rotifers in Canterbury, selbst Mittelpunkt einer kleinen, aber sprichwörtlichen Szene. Und immer noch nah genug am pochenden Herz der britischen Hauptstadt. Und damit an einer der Hauptschlagadern der Popkultur zumindest des europäischen Kontinents, wenn nicht weltweit.

Aber hilft derlei, wenn es darum geht, als Musiker und Songschreiber zu reüssieren? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht ganz enorm. Nicht jeder österreichische Künstler kann Wreckless Eric als Verfasser der Liner Notes einteilen. Oder eine lokale All Star Band (Darren Hayman, Ian Button u.a.) rekrutieren. Aber lassen wir Robert Rotifer selbst zu Wort kommen: „Es gibt viel mitzuteilen. Die Form des politischen Liedes – nicht der propagandistischen, sondern der reflektierenden Art – feiert nicht ohne Grund eine Renaissance. Durch Konzertreisen und Airplay ist es mir in den letzten Jahren gelungen, ein wachsendes aufmerksames Publikum für meine Songs zu finden. „The Children On The Hill“ soll dazu beitragen, dieses Publikum konsequent zu erweitern und die Reise fortzusetzen“.

Das ist in der Tat very british. Nämlich nobel zurückhaltend und äusserst zuvorkommend formuliert. Die Sache ist: Rotifer ist als Musiker immer noch unterschätzt. Sehr unterschätzt (ich neige ja weniger zur Zurückhaltung). Denn aus dem Stand wüsste ich kaum jemanden, der ursprünglich aus der deutschsprachigen Hemisphäre kommend, so elegant, nachhaltig und quasi nebenbei in das britische Pop-Selbstverständnis vor- und eingedrungen ist. Wie ein Virus, der sich als Fan tarnt. Oder ein als Reporter verkleideter potentieller Kulturattentäter, der das Interviewer-Mikrofon zückt, eigentlich aber lieber seine eigenen Songtexte auspacken würde.

Die sind ja auch wirklich nicht von schlechten Eltern, die Songtexte. „We Put It All In Gold“ etwa handelt von der Frage, so Rotifer, „wo in einer von Finanzmärkten und Machtpolitik beherrschten Welt eigentlich die zwischenmenschliche Wärme abgeblieben ist. Bilder der überlebenden Opfer von Bombardements hatten in mir die gegensätzliche Vorstellung von Steinzeitmenschen geweckt, die sich in der Wildnis rund ums Feuer kuscheln“.

Oder „The Chill Coming Coming Up From The Sea“… Laut dem Urheber des Songs „ein Aufschwungswalzer für die leistungsorientierte, nach vorne blickende junge Generation, die eingeladen ist, auf dem Dung ihrer Vorgänger aufzubauen“. Oder „The Pickle Jar“, ein „Überwachungsgesellschaftssong aus der Überwachungshauptstadt London. Wenn einmal jeder Moment unseres Handels aus mehreren Perspektiven erfasst und in den als gigantische Gurkengläser fungierenden Festplattenfarmen der Stadt festgehalten ist, gibt es irgendwann nichts als eine endlose Gegenwart, die das Vergangene nie mehr abschütteln kann“. Dazu Geschichten von einem Erpresserpärchen („Working The Room“), einem osteuropäischen Immigranten („The Branch Line“), einen im Zug eingenickten Pendler („Chinese For A Change“), eine übergeschnappte Finanzexpertin („The Damage“) und einen Betrugsfall, am eigenen Leibe erlebt („The Money Goes A Long Way“). Und und und.

Jener Song, der dem vorliegenden Album seinen Titel gab – das Cover-Ölbild, selbstverständlich vom Autor selbst verfertigt, illustriert ihn in naiv-sachlicher Manier, zu hören ist er hier auch – bringt einmal mehr eine Detailbeobachtung eines Alltags-Grenzgängers auf den Punkt. O-Ton Rotifer: „Bei uns zu Hause in Canterbury gehen meine Kinder zusammen mit dem Nachwuchs britischer Soldaten in die Schule, die zum Teil schon ihre dritte oder vierte Tour im Irak oder in Afghanistan hinter sich gebracht haben. Die gehobene Mittelklasse der Gegend meidet diese Schule, weil die Kinder aus den Armee-Baracken auf einem Hügel am östlichen Rand der Stadt einen eher schlechten Ruf genießen. Die Berufsarmee ist schließlich ein Auffangbecken derer, die sonst keinen Job finden, viele von ihnen aus den ärmsten Gegenden Schottlands, andere aus ehemaligen britischen Kolonien. Die Väter hinterlassen den Kindern CD-Rs mit Gute-Nacht-Geschichten drauf, wenn sie in den Krieg ziehen. Wenn sie dann wieder zurück in die Kaserne kommen, bleiben sie dagegen stumm“.

Mit den üblichen La-la-Klischee-Simplizitäten, wie wir sie von heimischen Bands, die sich einer (mehr oder minder) fremden Sprache bedienen, gewohnt sind, haben derlei „lyrics“ nichts zu schaffen. Es sind kleinere und grössere Stories, die hier in Pastellfarben, Zwischentönen und Akkordsprüngen gemalt und zu einem Album, einem Bilderalbum zusammengefasst werden, und sie erheben keinen Anspruch auf Unvergänglichkeit. Wie auch die – handwerklich nicht gerade ungeschickt gestrickten – Kompositionen, die diese Texte einfangen, nicht den Anspruch erheben, den Rock’n’Roll neu zu erfinden. Den Folk, den Pop, das Singer-/Songwriter-Genre. Oder gar, Gott bewahre!, Brit Pop. Man kann die Lieder, die uns Robert Rotifer hier auf der Silberscheibe serviert, als unaufgeregte, aber keineswegs unaufregende Kaminfeuer-Erzählungen geniessen. Sie jederzeit in einen Kontext mit der Musik-Historie der letzten fünfzig Jahre stellen, von den Beatles über die Kinks, Who und Small Faces über The Jam, XTC und Billy Bragg bis hin zu Blur, David Gray, Fleet Foxes und den Kings of Convenience (ich seh’ Rotifers Mundwinkel zucken). Oder sie zuvorderst als liebevoll vertonte journalistische Notizen, Kommentare und Ableitungen verstehen.

Wie immer auch: diese Quantitäten und Qualitäten zu überhören und zu übersehen, das gelingt wohl nicht. Oder nicht mehr. Oder nur ausgemachten Ignoranten, die meinen, Eulen von Wien über London (respektive Canterbury) nach Athen zu tragen, wäre ja á priori ausgemachter Blödsinn. Wer aber Pop als internationale Sprache versteht, als ewige Liebhaberei und zeitgemässe Form der Flaschenpost, der wird „The Children On The Hill“ als kleinen, aber bemerkenswert konsequenten Beitrag zur Popgeschichte betrachten. Als Rotifers bislang bestes Album. Als Destillat aus Drang, Distinktion und Durchhaltevermögen. Und als äusserst sympathisches Statement eines Universaltalents. Eventuell darf ich ja mal meinen Laptop live an seinen Vox-Verstärker anschliessen.

ROTIFER – „The Children On The Hill“